Es ist wohl einer der fundamentalsten Widersprüche der Moderne: je mehr das Religiöse aus unserem Alltag verdrängt wird, desto größer wird die Nachfrage danach im Urlaub. In der touristischen Kommunikation wird dann nicht mehr von Religion gesprochen, sondern von Spiritualität und „New Age“. Viele der Achtsamkeitsangebote und Besichtigungen von heiligen Stätten haben mit Religion allerdings so wenig zu tun, wie der Wellness-Bereich im Hotel mit einer medizinischen Intensivstation.
Ein Grund mehr für uns, genauer zu beleuchten, welche Einflüsse der moderne Tourismus auf den religiösen Alltag hat und welchen Stellenwert religiöse Zeremonien auch im Tourismus haben können. Dafür schauen wir auf die indonesische Insel Bali und nach Israel und Palästina. Auf Bali bedroht ein Landgewinnungsprojekt nicht nur die Umwelt, sondern auch das gesellschaftliche und spirituelle Gefüge. Im Heiligen Land widersprechen viele Menschen entschieden der voreiligen Interpretation vom religiös motivierten Konflikt und betonen die Gemeinsamkeiten der Religionen. Reisen, die Begegnungen in Israel und Palästina ermöglichen, sind auch deshalb ein Hoffnungsschimmer für den Frieden.
Religion, Spiritualität oder Pilgerreisen waren in den letzten Jahren vielfach Themen auf internationalen Konferenzen. Die Referenten waren oft Marketing-Fachleute, unter den Zuhörern waren viele Tourismusplaner, die ihre Urlaubsregionen fit machen wollen für neue Zielgruppen. Wer kaum zu Wort kam, waren „Religions-Praktiker“ – Pfarrerinnen, Theologen und Aktive aus Kirchen und Gemeinden unterschiedlicher Konfessionen.
Dabei kommt es nicht von ungefähr, dass es zuerst und oftmals bis heute die Kirchen im globalen Süden sind, die einer massentouristisch motivierten Umformung von Natur und Gesellschaft entgegentreten. Aktuell erschienenen ist der englischsprachige Sammelband „Deconstructing Tourism: A Challenge of Justice for the Church“, aus dem wir verschiedene Auszüge übersetzt haben. Die Analysen und Herausforderungen sind heute so aktuell wie zu Beginn der kirchlichen Tourismuskritik vor 40 Jahren.