Klimagerechtigkeit im Tourismus?
Acht Prozent der globalen Emissionen klimaschädlicher Treibhausgase – also fast jede 12. Tonne - entstehen im Tourismus1. Der Löwenanteil davon entsteht bei der An- und Abreise, vor allem beim Fliegen.
Klimakiller Flugzeug
Fliegen ist mit Abstand die klimaschädlichste Art der Fortbewegung. Neben Kohlenstoffdioxid (CO₂) werden noch weitere Substanzen auf Flughöhe freigesetzt, die Wolken bilden. Diese Faktoren verstärken die Klimawirkung etwa um das Dreifache der reinen CO₂-Emissionen2. Und dennoch wächst der Flugverkehr ungebremst weiter. Innerhalb der nächsten 20 Jahre ist mit einer Verdopplung der Passagierzahlen auf knapp 8 Milliarden zu rechnen3. Das zieht auch rasant wachsende Emissionen nach sich. Die Europäische Kommission schätzt, dass sich die Treibhausgasemissionen aus dem Luftverkehr bis 2050 vervier- bis verachtfachen werden4.
Nur wenn die Emissionen bis 2030 halbiert werden, kann ein Temperaturanstieg von mehr als 1,5 Grad verhindert werden. Bis 2050 muss der Ausstoß dann in der Summe auf Null gebracht werden. Doch die Welt ist weitab vom Zielkurs. Den aktuellen Zusagen der Staaten im Rahmen des Pariser Abkommens zufolge, steuert die internationale Staatengemeinschaft auf eine Erwärmung zwischen 2,6 und 4 Grad zu. Ohne eine drastische Reduktion der absoluten Emissionen aus dem Flugverkehr, wird das 1,5 Grad-Ziel nicht zu erreichen sein.
Weitere Informationen: www.de-ipcc.de/256.php
Wer fliegt? Wer zahlt?
Fliegen bleibt vor allem besser gestellten Teilen der Weltbevölkerung vorbethalten. Nach Schätzungen der Initiative Stay Grounded sind weniger als 10 Prozent der Menschen jemals geflogen5. Der Großteil stammt aus dem Globalen Norden und zunehmend auch aus den wachsenden Mittelschichten der Schwellenländer. Menschen im Globalen Süden, die selbst nie geflogen sind, leiden am stärksten unter den Folgen der Klimakrise. Umweltkatastrophen wie Taifune zerstören Häuser und Felder; anhaltende Dürren und Wassermangel gefährden kleinbäuerliche Existenzen; steigende Meeresspiegel werden zur Fluchtursache.
Der wahre Preis
Heute kostet das Taxi zum Flughafen oft mehr als das Flugticket. Doch wie ist das möglich? Mit miserablen Arbeitsbedingungen, Lohndumping und Deregulierung drücken Airlines die Preise. Viele Staaten fördern Flughäfen, Fluggesellschaften und Flugzeugbauer mit Subventionen und Steuererleichterungen6. In der EU wird weder Kerosin besteuert noch auf internationale Flugtickets Mehrwertsteuer erhoben. Nach Informationen des Umweltbundesamtes belaufen sich diese Steuerbegünstigungen allein in Deutschland auf mehr als 10 Milliarden Euro7. Das verzerrt die Preise zugunsten der klimaschädlichen Flugindustrie.
Den wahren Preis zahlen weder die Airlines noch die Vielfliegenden. Die vom Klimawandel am stärksten Betroffenen werden mit den negativen Folgen des Flugverkehrs allein gelassen. Lärm- und Feinstaubbelastung rund um Flughäfen gefährden die Gesundheit der AnwohnerInnen. Um für den wachsenden Flugverkehr gewappnet zu sein, befanden sich 2017 weltweit über 550 Flughäfen im Neu- oder Ausbau8. Damit steigt auch der Flächenverbrauch für immer neue Terminals und Landebahnen. In der Folge werden ganze Gemeinschaften zwangsumgesiedelt, der Lebensraum für Mensch und Tier immer knapper und Landschaften zerschnitten.
Das Märchen vom grünen Fliegen
Durch technische Neuerungen und effizientere Flugzeuge lassen sich die Emissionen teilweise reduzieren. Die Branche wächst jedoch deutlich schneller als sie ihre Effizienz steigert, sodass die absoluten Emissionen weiter steigen. Selbst wenn ein technischer Durchbruch gelänge, bräuchte es Jahrzehnte bis diese Effekte im Massenmarkt ankommen. Zudem setzt die Branche auf den vermehrten Einsatz von Biokerosin aus nachwachsenden Agrarpflanzen, statt wie bisher allein aus fossilen Brennstoffen. Für die industriellen Monokulturen sind fruchtbare Ackerflächen nötig. Wenn Nahrungsmittel im Tank statt auf den Tellern landen, drohen Landraub und Hunger.
Auf UN-Ebene ist die Internationale Zivilluftfahrtorganisation (ICAO) für die Regulierung der Emissionen aus dem internationalen Flugverkehr zuständig. Die Politik der ICAO wird jedoch vorwiegend von den Interessen der Luftfahrtindustrie bestimmt. Das zeigt sich auch in den 2016 entwickelten Plänen „Carbon Offsetting and Reduction Scheme for International Aviation“, kurz CORSIA.
Darin verpflichtet sich die Branche ab 2020 ihre CO₂-Emissionen zu deckeln und strebt ein „klimaneutrales“ Wachstum an. Das bedeutet im Klartext, dass das Emissionswachstum im Flugverkehr ab 2020 durch Klimaschutzaktivitäten in anderen Sektoren kompensiert werden soll. Im Rahmen von CORSIA wird ein zusätzlicher markt-basierter Kompensationsmechanismus aufgebaut. Seine Wirksamkeit hängt stark davon ab, welche Umwelt- und Sozialstandards die Klimaprojekte erfüllen müssen. Bis heute ist jedoch nicht klar, wie ambitioniert die Klimaprojekte ausfallen müssen, die dann unter CORSIA ihre Zertifikate an die Staaten bzw. Airlines verkaufen können.
Publikationen
Grüner Fliegen
Potenziale, Risiken und Perspektiven für Agrotreibstoffe im Flugsektor
Download (PDF)Tourismusentwicklung im Klimawandel
Hintergründe und Perspektiven zur Rolle des Tourismus in der internationalen Klimapolitik
Download (PDF)Was Sie tun können:
Erkunden Sie ihre Umgebung
Es muss nicht immer gleich eine Fernreise sein. 75 Prozent der Emissionen im Tourismus entstehen in der Mobilität. Je kürzer die Anreise, desto geringer die Klimawirkung Ihrer Reise.
Klimafreundliche Verkehrsmittel nutzen
Verzichten Sie aufs Fliegen und nutzen klimaschonende Alternativen. Besonders Kurzstreckenflüge belasten die Umwelt überproportional, da Start und Landung zusätzlich Energie verbrauchen. Innerhalb Deutschlands ist man von Haustür zu Haustür mit dem Zug ohnehin schneller als mit dem Flugzeug. Auch lassen sich viele Strecken innerhalb Europas gut mit dem Zug oder Fernbus erkunden.
Seltener Fliegen, länger bleiben
Klimagerechtigkeit hört am Flughafen auf. Grundsätzlich gilt: Fliegen Sie seltener und bleiben Sie länger vor Ort. Von einem längeren Aufenthalt profitiert auch die lokale Bevölkerung, weil Sie mehr Leistungen in Anspruch nehmen. Verzichten Sie auf Zubringerflüge. Nutzen Sie Rail and Fly Angebote und fahren Sie mit der Bahn zu ihrem internationalen Abflughafen.
Flugreisen kompensieren
Wenn Sie eine Fernreise unternehmen und nicht aufs Flugzeug verzichten können, dann kompensieren Sie. Wählen Sie Anbieter, die ihre Emissionen nach höchsten Standards kompensieren und nicht nur den reinen CO₂-Ausstoß, sondern auch die Klimawirkung der Flughöhe mitberücksichtigt. Ein sog. Radiative Forcing Index (RFI-Faktor) von mindestens 2,7 ist angemessen. Wir empfehlen zum Beispiel Atmosfair und die kirchliche Klima-Kollekte.
Tourism Watch fordert: Systemwandel statt Klimawandel
Die absoluten Emissionen im Flugverkehr müssen drastisch reduziert werden, damit das 1,5 Grad-Ziel noch erreicht werden kann. Das ist nur durch weniger Flüge zu erreichen. Regierungen auf nationaler, regionaler und internationaler Ebene sind gefordert, langfristige Wege für eine Dekarbonisierung des Flugsektors festlegen. Sie müssen ambitionierte Reduktionsziele für ihre CO₂- und Nicht-CO₂-Emissionen festlegen und die Flugindustrie zur Verantwortung ziehen. Dazu bedarf es einer grundlegenden Verkehrswende hinzu klimafreundlichen Alternativen zum Fliegen. Kurz- und Mittelstreckenflüge sollten auf die Schiene verlagert werden. Außerdem gilt es weltweit klimaschädliche Subventionen abzuschaffen. Wir fordern Steuern auf Kerosin und Mehrwertsteuer auch auf internationale Flugtickets in Deutschland.
- Lenzen et al (2018):The carbon footprint of global tourism. https://www.nature.com/articles/s41558-018-0141-x
- Amosfair (n.D.): Klimawirkung des Flugverkehrs https://www.atmosfair.de/de/fliegen_und_klima/flugverkehr_und_klima/klimawirkung_flugverkehr/
- IATA (2016): IATA Forecasts Passenger Demand to Double Over 20 Years https://www.iata.org/pressroom/pr/Pages/2016-10-18-02.aspx
- European Commission (n.D.) Reducing emissions from aviation https://ec.europa.eu/clima/policies/transport/aviation_de#tab-0-0
- Stay Grounded (2018): Am Boden bleiben. 13 Schritte für ein gerechtes Transportwesen und eine schnelle Verringerung des Flugverkehrs. https://stay-grounded.org/position-paper/position-paper-de/
- Gössling. Fichert und Forsyth (2017): Subsidies in Aviation. Sustainability 2017, 9(8), 1295; doi:10.3390/su9081295
- Umweltbundesamt (2014): Umweltschädliche Subventionen in Deutschland. http://www.umweltbundesamt.de/publikationen/umweltschaediche-subventionen-in-deutsch- land-2014
- Finance and Trade Watch (2017): Grünes Fliegen – gibt es das? http://www.ftwatch.at/wp-content/uploads/2017/10/FT-Watch_Gruenes-Fliegen_2017.pdf
Weitere Quellen
- BUND e.V. et al (2015): NGO-Luftverkehrskonzept: Schritte zu einem zukunftsfähigen und umweltverträglichen Luftverkehr in Deutschland
- Hall, Scott und Gössling (2013): The Primacy of Climate Change for Sustainable International Tourism.
https://www.researchgate.net/publication/264488262_The_Primacy_of_Climate_Change_for_Sustainable_International_Tourism - Peeters, P. (2017). Tourism’s impact on climate change and its mitigation challenges: How can tourism become ‘climatically sustainable’? https://www.cstt.nl/userdata/documents/peeters-phd2017-thesis.pdf