Durch die verheerenden Überschwemmungen und Erdrutsche im südindischen Bundesstaat Kerala wurden große Teile der Ernte zerstört. In der Bergregion Wayanad haben die Bäuerinnen und Bauern kaum Mittel, um nach den Überschwemmungen wieder in den Reisanbau zu investieren. Gemeindebasierter Tourismus, der eng mit der Landwirtschaft verknüpft ist, wird nun als Ausweg gesehen.
Nach über zwei Wochen mit sintflutartigen Regenfällen waren im August die Staumauernvieler Talsperren in Kerala geöffnet worden. Dies hatte in den Bergregionen Erdrutsche ausgelöst und in den Küstenregionen zu Überflutungen geführt. Nach offiziellen Angaben forderte die Überschwemmungskatastrophe 500 Todesopfer. Mehr als eine Million Menschen mussten ihr Zuhause verlassen und in Nothilfe-Camps unterkommen, einige auch bei Verwandten. Inzwischen sind die meisten wieder in ihre Häuser zurückgekehrt, die jedoch große Schäden davongetragen haben. Viele Häuser sind auch völlig zerstört.
Im Distrikt Wayanad ist die Landwirtschaft die wichtigste Einkommensquelle. Durch die Überschwemmungen standen Felder und Plantagen unter Wasser. Die von Erdrutschen verschütteten Gegenden sind nicht sicher, sodass dort kein Wiederaufbau stattfinden kann. Die meisten Bäuerinnen und Bauern haben ihren Lebensunterhalt verloren. Ebenso die Landarbeiterinnen und Landarbeiter, von denen viele indigenen Gemeinschaften (Adivasis) angehören. Auch der Tourismussektor wurde stark in Mitleidenschaft gezogen. Die Anbieter kämpfen nach wie vor darum, ihr Geschäft wiederzubeleben. Die Tourismuswirtschaft versucht mit MarketingkampagnenTouristinnen und Touristen anzulocken, ist damit aber kaum erfolgreich.
Landwirtschaft und Tourismus in Kombination
Ende September wurde „Naambu“ (Malayalam für „Schössling“) auf den Weg gebracht – ein innovatives Wiederaufbauprogramm für ökologischen Landbau in Kombinationmit Tourismus. Es wurde von einer Gruppe von Bäuerinnen und Bauern, Touristinnen und Touristen sowie Konsumentinnen und Konsumenten aus Städten wie Kozhikode und Bengaluru (Bangalore) gegründet. Gemeinsam mit dem Sozialunternehmen Kabani Community Tourism and Services wollen sie den Bauernfamilien und Adivasis helfen, ihre Lebensgrundlage wiederherzustellen. Von den Überschwemmungen betroffene Bäuerinnen und Bauern wurden von Kabani geschult, Reisende zu beherbergen und auf organischen Anbau umzustellen.
„Naambu wurde zum Symbol der Wiederbelebung der Landwirtschaft in Wayanad unter Zusammenarbeit aller beteiligten Akteure. In diesem Programm sind Touristinnen und Touristen eingeladen, an einem partizipativen und sinnvollen Wiederaufbau nach den Überschwemmungen mitzuwirken. Als Versuch, die physischen und psychischen Folgen der Katastrophe zu überwinden, wurde dieses Projekt als Partnerschaft mit gegenseitigen Verpflichtungen zwischen Bäuerinnen und Bauern sowie den Touristinnen und Touristen konzipiert. Es schaffteine direkte Verbindung zwischen den Produzierenden und den Konsumierenden von Nahrungsmitteln“, erklärt Oamjie John, der bei Kabani die Trainings- und Rechercheprogramme leitet.
Unterstützerinnen und Unterstützer decken das erforderliche Budget für den Reisanbau einer Bauernfamilie für ein Jahr ab und/oder helfen bei der Feldarbeit. Die Familien bieten ihre Gastfreundschaft und einen Teil ihrer zukünftigen organisch erzeugten Reiserträge. So kaufen einheimische Unterstützer Bio-Reis aus der nächsten Ernte im Voraus. Touristinnen und Touristen bezahlen für ihren Aufenthalt und können entscheiden, heute mehr zu bezahlen und sich den Betrag bei ihrem nächsten Besuch anrechnen zu lassen. Die Reisenden verbringen bei den Bauern einen einzigartigen Urlaub. Sie haben die Möglichkeit, das Dorf zu besuchen, bei den landwirtschaftlichen Aktivitäten mitzumachen und Feste mitzufeiern.
Bekannt gemacht wird das Programm vor allem über soziale Medien, durch Presseberichte und persönliche Empfehlungen. In der ersten Phase ging es zunächst um Reis, doch nun wird das Programm auch auf andere Anbauprodukte wie Kaffee und Pfeffer ausgeweitet. Der Tourismus ist für die Bäuerinnen und Bauern in der derzeitigen Krise das Haupteinkommen und wird ihnen in Zukunft, wenn sich die Landwirtschaft wieder erholt hat, ein Zusatzeinkommen bieten. Ein solcher multi-sektoraler Ansatz hilft den Dorfgemeinschaften, ihr Leben und ihre Lebensgrundlagen in Würde und voller Zuversicht wieder aufzubauen. Er geht weit über Wohltätigkeit hinaus.
Tourismus als Entwicklungsmodell?
Nach den Überschwemmungen in Kerala stellen sich fundamentale Fragen hinsichtlich der Eignung von Tourismus als Entwicklungsmodell. Klimaexperten warnen vor wiederkehrenden extremen Klimaereignissen und viele der Orte, die wahrscheinlich betroffen sein werden, sind beliebte Urlaubsorte, nicht nur in Kerala. Der Tourismus ist ein anfälliger Wirtschaftssektor, besonders für kleine und mittelständische Unternehmen.
Unmittelbar nach den Überschwemmungen wurde der Tourismus in Kerala als Übeltäter dargestellt – unter dem Eindruck, dass illegal errichtete Gebäude, sich ausbreitende touristische Anlagen und Veränderungen in der Landnutzung die Auswirkungen der Überschwemmungen und Erdrutsche verschärft hatten. Ärmere Bevölkerungsgruppen haben das Gefühl, dass sie vom Tourismus nicht profitieren und dass ihnen darin auch keine Rolle zukommt.
Von der Verzweiflung zur Hoffnung
Es braucht einen Paradigmenwechsel, bei dem drei grundlegende Aspekte berücksichtigt werden müssen: die Umwelt, die Menschen und ihre Lebensgrundlagen sowie das Management des Tourismus. Tourismusprogramme, die auf ländliche Ressourcen und die Beteiligung der Dorfgemeinschaften setzen, können zur Wertschöpfung auf dem Land beitragen. Homestays erfordern keine zusätzliche Infrastruktur oder Investitionen. Jedoch müssen diese Tourismusprojekte den Dorfgemeinschaften selbst gehören und das Management muss in ihren Händen liegen.
Es braucht dringend mehr Forschung und Entwicklung im Bereich Katastrophenvorsorge und Katastrophenmanagement. Gemeinschaften müssen darin geschult werden, mit Katastrophensituationen effektiv umzugehen. In Kerala war die Medienberichterstattung nach den Überschwemmungen für den Tourismus kontraproduktiv. Es ist wichtig, eine neue Narrative zum Umdenken zu entwickeln, damit aus der Verzweiflung Hoffnung werden kann. Auch braucht es mehr innovative, multi-sektorale und proaktive Ansätze, die die Lebensgrundlagen der Menschen auf positive Weise mit dem Tourismus verknüpfen.
Sumesh Mangalasseri ist Geschäftsführer des Sozialunternehmens „Kabani Community Tourism and Services“ und Direktor von “Kabani – The other direction“, einer Initiative in Kerala/Indien, die sich für eine nachhaltigere Tourismusentwicklung einsetzt.
Übersetzung aus dem Englischen: Christina Kamp