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Südafrika: Kulturelles Erbe verstehen und vermitteln

Perspektiven zur Sicherung des Lebensunterhalts für junge San im südlichen Afrika


Khwa ttu Trommler

Seit 20 Jahren bietet !Khwa ttu Ausbildungsmöglichkeiten und Jobs für gesellschaftlich benachteiligte, indigene San aus abgelegenen Gegenden in Südafrika, Namibia und Botswana. Sechsmonatige Praktika, die dem Kontext der indigenen Gemeinschaften Rechnung tragen, ermöglichen jungen San den Zugang zu Weiterbildung, Jobs und alternativen nachhaltigen Lebensgrundlagen.

!Khwa ttu ist ein Kultur- und Bildungszentrum für San. Es liegt in einem 850 Hektar großen privaten Naturschutzgebiet 70 km nördlich von Kapstadt. Das Gelände ist Teil des Yzerfontein-Schutzgebiets in der Pufferzone des West Coast National Parks.

Die heutigen San stammen von indigenen Jagenden und Sammelnden ab, die über Jahrtausende in dieser Region lebten, bevor sie von Farmern verdrängt wurden. Völkermord, der Verlust von Land, kaum Zugang zu natürlichen Ressourcen und Jagdverbote haben dazu beigetragen, dass die San heute zu den am stärksten benachteiligten Völkern der Welt gehören. In einem Bericht des südafrikanischen Ministeriums für traditionelle Angelegenheiten von 2021 wurde festgestellt, dass der sozioökonomische Status der San schlimmer ist, als man es sich vorgestellt hatte. Sie haben kaum Zugang zu Grundbildung und die Schulabbruchsquote ist hoch. Nur sehr wenige San besuchen weiterführende Schulen.

Essen wie die Ahnen

Elisabeth ist eine junge Frau aus einer Kleinstadt nahe der namibischen Grenze. „Ich habe in Upington Tourismus studiert. Aber ich musste mein Studium abbrechen, weil ich kein Geld hatte. Also bewarb ich mich um ein Praktikum bei !Khwa ttu“, erzählt sie. Heute hat sie einen festen Job bei uns in der Küche. Dort arbeitet auch Alister, der aus einem kleinen Ort im südafrikanischen Teil der Kalahari stammt. „In der Kalahari gibt es keine Jobs, keine Chancen“, sagt er. Nach seinem Praktikum bei !Khwa ttu hat er hier nun einen unbefristeten Vertrag als Küchenhilfe bekommen. Jeden Monat schickt er Geld an seine Familie.

Die Küche, in der Elisabeth und Alister arbeiten, hat ein Angebot entwickelt, durch das nicht nur kulturelles Erbe wiederbelebt wird, sondern bei dem auch sehr auf Nachhaltigkeit geachtet wird. Ein Großteil unserer Bemühungen gilt der Beschaffung von Getränken und Produkten von unserer Farm, von Handwerkerinnen und Handwerkern vor Ort und von verantwortungsbewussten Zulieferern. Jedes Gericht und jedes Getränk erzählt eine einzigartige Geschichte. 

Ein Ort der Hoffnung, der Möglichkeiten und des Wachstums

Als Jagende und Sammelnde waren die San traditionell eng mit der Natur verbunden. Sie sind bekannt für ihre hervorragenden Fähigkeiten im Lesen von Fährten und für ihr Wissen um Pflanzen und deren Nutzung. Leider können die meisten San heute nicht mehr vom Jagen und Sammeln leben und ihr traditionelles Wissen geht verloren. Bei !Khwa ttu haben wir gelernt, dass es möglich ist, Lebensgrundlagen zu schaffen, die mit dem Erbe der San in Einklang stehen. Diese Lebensgrundlagen gehen mit dem Schutz, der Wiederherstellung und der nachhaltigen Nutzung natürlicher und kultureller Ressourcen einher. 

Unsere Unterrichtsangebote zum kulturellen Erbe helfen den Praktikantinnen und Praktikanten, sich ihrer Identität bewusst zu werden. !Khwa ttu ermöglicht ihnen einen relativ langen Aufenthalt an einem sicheren Ort, wo ihre Bedürfnisse erfüllt werden. Nach unserer Erfahrung wissen viele junge Praktikantinnen und Praktikanten nur wenig über ihr Erbe oder die verschiedenen im südlichen Afrika lebenden San-Gruppen. Heute gibt es rund 130.000 San – ein multikulturelles Volk mit 13 verschiedenen Sprachen. Khwa ttu ist ein Ort, an dem San-Gruppen zusammenkommen, ihre Geschichten austauschen und andere San treffen können. „Wir haben hier !Xu, Khwe und ǂKhomani San, die bei !Khwa ttu arbeiten", sagt Alister und verweist auf ihre Vorbereitungen für den 24. September, am dem !Khwa ttu den Tag des Kulturerbes feiert, der in Südafrika als nationaler Feiertag begangen wird: „Wir treffen uns und besprechen, was wir vorhaben. Unsere Praktikantinnen und Praktikanten wollen tanzen." 

Praktika bei !Khwa ttu

Jedes Jahr bildet !Khwa ttu 16 - 20 junge San aus der Kalahari-Region aus. Die Praktika umfassen eine Kombination aus praktischer Ausbildung (vier Tage pro Woche) und je zwei Tagen Theorie-Unterricht. Durch die praktische Ausbildung steigen ihre Chancen auf eine Anstellung in den Bereichen Instandhaltung, Gartenarbeit, Hauswirtschaft, Restaurant, Küche, Reiseleitung, Rezeption, Verwaltung oder Museum. Der Schwerpunkt im Bereich Reiseleitung liegt auf Stätten des Natur- und Kulturerbes und der Vermittlung der San-Kultur an Gäste.

Zur Theorie gehören Kurse über Natur, Kultur, Ethnobotanik, Sprache, IT und nachhaltige Existenzsicherung. Wir bieten auch kurze Kurse durch externe Ausbilderinnen und Ausbilder an, z.B. zu Themen wie Erste Hilfe, HIV/Aids, Felsenkunst, Bewahrung des Kulturerbes und geistiges Eigentum. Betriebswirtschaftliche Kurse helfen den Praktikantinnen und Praktikanten, eigene Kleinunternehmen zu planen, die sie in ihren Gemeinden gründen könnten, um ein Einkommen zu erzielen. So gründeten beispielsweise Praktikantinnen aus Namibia eine kleine Bäckerei und eine Korbflechterei in ihrer Heimat, wo es kaum Jobs gibt. In einigen San-Gemeinden liegt die Arbeitslosigkeit bei über 90 Prozent.

Wir schaffen auch ein Netzwerk von Ehemaligen in den Dörfern, damit diese sich gegenseitig helfen können, und wir unterstützen besonders gute Praktikantinnen und Praktikanten bei Bewerbungen um Stipendien zum Erwerb beruflicher Qualifikationen. So ist zum Beispiel unser Ausbildungsleiter ein !Khwa ttu-Alumni, der sich zu einem hochqualifizierten und zertifizierten Reiseleiter weitergebildet hat.

Naturschutz bei !Khwa ttu

Von einer Paläobotanikerin haben wir gelernt, welche Pflanzen auf der Farm von den San vor Tausenden von Jahren geerntet wurden. Mit ihrer Hilfe konnten wir eine Tour zum Thema "Essen wie die Ahnen" entwickeln. Die Pflanzen, die wir verwenden wollen, bauen wir dort an, wo sie in der Natur wachsen. Unser Renaturierungsprojekt befindet sich auf dem höchsten Punkt des Geländes in einem Gebiet, das für Naturschutz und Renaturierung vorgesehen ist. Dort gibt es auch Wander- und Mountainbiking-Wege.

Der Zaun um das Renaturierungsgebiet lässt die Besuchenden stutzen und bietet Gelegenheit, ihr Bewusstsein für die Notwendigkeit zu schärfen, das Gebiet vor größeren Wildtieren wie Elenantilopen und Zebras zu schützen, sowie für die historische Rolle des Lebensraums für die früheren Jagenden und Sammelnden im südlichen Afrika. Die Renaturierungsakvitäten und die nachhaltige Nahrungssuche sorgen für wunderbare Geschichten für die Gäste und ermöglichen ihnen ein einzigartiges kulinarisches Erlebnis. 

Mit unserer Arbeit tragen wir dazu bei, das kulturelle Erbe der San wiederzubeleben und den San ein tieferes Gefühl von Identität als indigene Kultur zu geben, die der Menschheit auf ihrem Weg zu einer gleichberechtigten, respektvollen und nachhaltigen Lebensweise viel zu bieten hat.

Michael Daiber ist der Geschäftsführer von !Khwa ttu, einer 2004 eingetragenen gemeinnützigen Organisation in Südafrika. !Khwa ttu wurde mit dem TO DO Award für sozialverantwortlichen Tourismus 2018 ausgezeichnet.