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Tourismus statt Kohle in Rumänien

Neue wirtschaftliche Bedeutung durch Just Transition


Bergbau im Jui-Tal, Rumänien

Besichtigung des Bergbaus im Jui-Tal, Rumänien

 

Tourismus ist einer der CO2-intensivsten Sektoren der Welt. Laut einer Studie aus dem Jahr 2018 verursacht jeder US-Dollar, den Reisende ausgeben, ein Kilogramm CO2-Äquivalent. Das liegt 25 Prozent über dem Durchschnitt anderer Branchen. Es gibt jedoch Industrien, die das Klima noch stärker belasten. Die Kohlewirtschaft ist eine von ihnen. War sie lange Zeit ein Motor für Wirtschaftswachstum, wird das ehemals schwarze Gold immer unwirtschaftlicher. Viele Länder nutzen nun die Chance für einen Strukturwandel - so wie Rumänien, das den alten Kohlerevieren im Jiu-Tal durch Tourismus eine neue wirtschaftliche Bedeutung gibt.

Gastgewerbe: Die neue Hoffnung für das Jiu-Tal

Der Kohlebergbau war einst ein florierender Industriezweig in Rumänien, der fast einer Million Menschen Arbeit brachte. Im Jiu-Tal waren noch in den 90ern rund 80 Prozent der Arbeitskräfte vom Kohleabbau abhängig. Es war daher ein harter Schlag für das Kohlezentrum Rumäniens, als 1997 im Rahmen eines Weltbank-Programms unrentable Zechen und Tagebaue geschlossen wurden. Das Ausmaß der Arbeitslosigkeit war verheerend, neue Arbeitsmöglichkeiten für die entlassenen Kumpel und ihre Familien gab es kaum. Auch viele Jahre später, als bereits elf der ursprünglich fünfzehn Bergwerke geschlossen wurden, blieb das Jiu-Tal monoindustriell, und viele Arbeitsplätze sind nach wie vor vom Bergbau und der Energieerzeugung durch Kohle abhängig. Doch die weltweite Nachfrage nach Kohle geht weiter rapide zurück. Regionen wie das Jiu Valley stehen daher unter Druck, tragfähige Alternativen für die wirtschaftliche Entwicklung vor Ort zu finden. Um die Abhängigkeit von der Kohle zu überwinden, plant die rumänische Regierung, das Gebiet in einen Tourismusstandort umzuwandeln. Das lokale Erbe, eine gesunde und nachhaltige Lebensweise sowie die natürliche Schönheit der Region sollen die Eckpfeiler der wirtschaftlichen Entwicklung im Jiu-Tal sein. Tourismus und Infrastrukturentwicklung müssen daher Hand in Hand mit dem Erhalt der Umwelt gehen.

Ausgleich für den rückläufigen Kohleabbau: Diversifizierung ist der Schlüssel

In mehreren Projekten wurde die Tragfähigkeit neuer Wertschöpfungsketten, wie etwa des Tourismus, zur Diversifizierung der Wirtschaft im Jiu-Tal untersucht. Geplant sind eine Vielzahl touristischer Aktivitäten, wie zum Beispiel Skitourismus, Wandern und Radfahren in den umliegenden Bergen, Kulturtourismus mit Besichtigungen ehemaliger Bergwerke und Industriestätten, ethnografischer Tourismus in den ländlichen Teilen des Tals, aber auch Ökotourismus in den umliegenden Naturschutzgebieten. Den Anwohnerinnen und Anwohnern, darunter auch ehemaligen Kohlearbeiter, gefällt die Idee, das Jiu-Tal zu einer Touristenattraktion zu machen, sagt Dan Dobre von Bankwatch Rumänien: "Der Kohlebergbau im Jiu-Tal ist seit den 90er Jahren auf dem absteigenden Ast. Die Menschen setzen nicht mehr allzu viel Hoffnung in die Kohle als rentable Wirtschaftstätigkeit, die meisten von ihnen orientieren sich beruflich um, einige verlassen das Land, um Arbeit zu finden. Der Tourismus scheint für die meisten Bewohner und Bewohnerinnen der Region die attraktivste Option zu sein. Auch ich halte den Tourismus für eine gute Alternative. Nur muss die Regierung auch sicherstellen, dass die Region sich wirtschaftlich breiter aufstellt und nicht alles auf eine Karte setzt."

Nachhaltige lokale Entwicklung von unten

Es scheint so, dass die Region aus ihrer schmerzhaften Vergangenheit gelernt hat, als Kohleminen ohne wirtschaftliche Alternativen zum Bergbau geschlossen wurden. Für die anstehende Wende wurde eine Vereinigung lokaler Interessengruppen gegründet, um Möglichkeiten für bestehende oder neu entstehende Branchen auszuloten, die der Region zu neuem Wirtschaftswachstum verhelfen können. Ein Zusammenschluss lokaler Akteure mit dem Namen 'Jiu Valley Involved' hat bereits einige interessante Projekte umgesetzt. So hat beispielsweise die Basisorganisation Planeta Petrila das bergbauliche Erbe der ältesten Kohlemine Rumäniens, des 1858 eröffneten Petrila-Bergwerks, gerettet und umgestaltet. Die Stiftung Noi Orizonturi hat eine alte Mountainbike-Route wiederbelebt und im Jiu-Tal einen einzigartigen Radweg angelegt. Auch wenn die Gewerkschaften den Absichten der Aktivisten und Aktivistinnen erst misstrauisch gegenüberstanden, hatten sie letztendlich den gemeinsamen Wunsch nach einem strategischen Wandel zum Wohle der Region. "Was 2012 noch ein vom Abriss bedrohtes Industriegebiet war, ist heute dank des Einsatzes engagierter Anwohner und Nachbarinnen ein Gebiet, das sich in einem Prozess der Stadterneuerung befindet. Obwohl wir auf administrative Schwierigkeiten gestoßen sind, führen wir jetzt die ersten Verfahren zur Sanierung des Bergbaukomplexes selbst durch", erklärt Mihai Danciu, ein Umweltaktivist im Jiu Valley.

In Arbeit: Just Transition im Jiu Valley

So engagiert und ideenreich sie auch sind, die Umgestaltung der kompletten Wirtschaft im Jiu Valley kann sich nicht allein auf die Projekte von NGOs stützen. "Die Menschen hier brauchen Arbeitsplätze, von denen sie auch leben können. Dafür sind Investitionen in die wirtschaftliche Infrastruktur unerlässlich", mahnt Dobre. Arbeitsplätze im Tourismus können in kohleabhängigen Regionen eine vielversprechende Option sein. Danciu nimmt unter den Anwohnern und Anwohnerinnen jedoch gemischte Gefühle wahr: "Manche freuen sich über diese Zukunftspläne, aber das sind vor allem diejenigen, die bereits jetzt vom Tourismus profitieren. Andere sind zurückhaltender, weil sie befürchten, dass die Pläne der Regierung nicht ausreichen, um eine nachhaltige Entwicklung in der Region zu gewährleisten. Immerhin müssen mehr als 100.000 Menschen in Lohn und Brot gebracht werden. Das Gastgewerbe macht jedoch nur drei bis vier Prozent der lokalen Wertschöpfung aus. Daher kann Tourismus nicht die gesamte Kohleindustrie ersetzen. Tatsächlich profitieren nach aktuellem Planungsstand vor allem die reichsten und einflussreichsten Menschen in der Region.“ Ein Grund dafür ist, dass in der Kohleindustrie Großteils geringqualifizierte Arbeitskräfte beschäftigt sind. Selbst wenn im Jiu-Tal Arbeitsplätze im Tourismus geschaffen werden, kommen diese also nicht unbedingt den betroffenen Kumpeln und Gemeinden zugute. Um eine Faire Transformation zu gewährleisten, sind Programme zur Umschulung, zur Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit von Dienstleistungen und einer besseren Vernetzung innerhalb des Gebiets, zur Stärkung der Verwaltungskapazität und zur Förderung der Zusammenarbeit zwischen den lokalen Akteuren erforderlich.


Tourismus hat sicherlich das Potenzial, zu einem gerechten Strukturwandel beizutragen, indem er der lokalen Wirtschaft neue Wege eröffnet. Er ist jedoch kein Selbstläufer für nachhaltige Entwicklung. Die neuen Tourismusdienstleistungen in der Region müssen eine echte grüne Alternative zum klimaschädlichen Kohlebergbau bieten. Und sie müssen die Anfälligkeit des Sektors selbst gegenüber den Folgen des Klimawandels berücksichtigen. Andernfalls könnten sich Investitionen in Skipisten oder andere Infrastruktur schneller als erwartet als unrentabel erweisen - genau wie die Kohleminen in den 90er Jahren.