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Voluntourismus in Uganda dekolonialisieren

Der Wandel beginnt in uns selbst.



Von Gerard de Gracia 

Vom Tourismus zum Voluntourismus in Uganda

Uganda ist ein beliebtes Reiseland. Jahr für Jahr zieht das Land über eine Millionen Besucher:innen an. 2011 verzeichnete Uganda sogar die höchste Wachstumsrate im Tourismus in ganz Afrika. Der Tourismus ist für die ugandische Volkswirtschaft von entscheidender Bedeutung. Mit der fortschreitenden touristischen Erschließung beinhaltet er heute nicht nur Reisen durch die Landschaft Ugandas, sondern auch Freiwilligeneinsätze, die in Kombination mit dem Tourismussektor zum “Voluntourismus“-Segment verschmolzen sind.

Um den Voluntourismus in Uganda zu verstehen, muss man einige Blicke in die Vergangenheit des Landes werfen. Die Kolonialisierung durch die Briten (1894–1962), die Diktatur unter Idi Amin (1971–1979), der Aufstand der Widerstandsarmee des Herrn (Lord’s Resistance Army, 1987), und verschiedene kriegerische Auseinandersetzungen schufen perfekte Gegebenheiten, um internationale Hilfsprogramme auf den Plan zu rufen. Laut Weltbank erhielt Uganda zwischen 1960 und 2021 rund 190 Milliarden US-Dollar an Entwicklungshilfe aus dem Ausland.

Nach Schätzungen sind jährlich etwa fünf- bis zehntausend internationale Freiwillige in Uganda tätig, die meisten von ihnen für Zeiträume von zwei Wochen bis sechs Monaten. Dabei sind Aufenthalte von zwei bis vier Wochen am beliebtesten. Die durchschnittlichen Kosten liegen zwischen 250 und 500 Euro pro Woche. Daraus ergeben sich für Uganda Einnahmen von geschätzt mindestens 2,5 Millionen Euro pro Jahr. Die meisten Freiwilligen kommen aus Nordamerika, Europa und Australien. Sie sind meist zwischen 18 und 30 Jahren alt, wobei die Anzahl der Älteren und Freiwilligen im Ruhestand zunimmt.

Die Haupttätigkeitsbereiche im Voluntourismus in Uganda liegen im Gesundheits- und Bildungswesen, in der Gemeindeentwicklung und im Naturschutz.

Zwar ist Voluntourismus sehr populär, doch im letzten Jahrzehnt kam aufgrund von ethischen Bedenken und Fragen bezüglich Kolonialismus und Nachhaltigkeit mehr und mehr Kritik daran auf. Denn die Wirkungen des Voluntourismus sind nicht nachhaltig, es bestehen ethische Bedenken, Vorbehalte bezüglich der volkswirtschaftlichen Wirkungen und der psychologischen und sozialen Folgen, der Ineffektivität des Programm-Managements und der Auswirkungen auf Kinder und die Umwelt.

Eine der wichtigsten Organisationen, die sich für nötige Veränderungen im Voluntourismus in Uganda und zu Themen wie der Black Liberation-Bewegung, Panafrikanismus sowie der Abschaffung der weißen Vorherrschaft stark macht, ist No White Saviors, eine gemeindebasierte Organisation in Kampala. Sie wurde durch den Fall Rene Bach weltbekannt. Darin ging es um eine amerikanische Missionarin, die medizinische Behandlungen anbot, ohne über Qualifikationen oder Erfahrungen in diesem Bereich zu verfügen – was im Laufe mehrerer Jahre zum Tod von 105 ugandischen Kindern führte.

 

Wie hängt der Voluntourismus mit kolonialen Praktiken zusammen?

Die aktuelle Entwicklung der Voluntourismus-Industrie war nicht direkt staatlich initiiert oder organisiert. Sie wurde vielmehr von Unternehmen und Gesellschaften aus dem Westen vorangetrieben und hat sich zweifellos aus diesen kolonialen und imperialen Soft-Power-Wurzeln entwickelt (Remers, 2022).

Meine Recherchen in Zusammenarbeit mit No White Saviors in Kampala (in der Zentralregion), Fort Portal (im Westen), Jinja (im Osten) und Gulu (im Norden) von Februar bis Mai 2024 zielten darauf ab, festzustellen, wie sich Voluntourismus auf native Gemeinschaften auswirkt.

Nach der Erhebung von Daten mit ethnografischen und qualitativen Methoden (teilnehmende Beobachtung, Interviews, Fokusgruppen) wurde offensichtlich, dass zwischen kolonialen Praktiken und Voluntourismus ein Zusammenhang besteht.

Aufgrund des Kolonialismus haben die Gemeinschaften vor Ort Unterdrückung internalisiert. Sie hören so oft, dass sie zu nichts nutze seien, nichts wüssten und nicht in der Lage seien, irgendetwas zu lernen, dass sie das von ihrer eigenen Untauglichkeit überzeugt (Freire, 2014). Dies wurde von No White Saviours in Uganda schon wiederholt beobachtet und spiegelte sich in der Recherche auch in den Antworten der Menschen vor Ort wieder:

“Denn eigentlich weiß ich nicht, wie es wäre, wenn sie nicht hier wären. Denn man kann sehen, dass einige Menschen nur überlebt haben, weil diese Leute kamen.”

“Wenn diese Freiwilligen kommen, erwecken sie die schlafenden Gene in der Gemeinschaft.”

Voluntourismus verstärkt die Dynamik von Privilegien und Macht – einschließlich internalisierter Unterdrückung, Minderwertigkeitskomplexen der lokalen Gemeinschaften oder der Idealisierung von Voluntourist:innen sowie der Narrative von westlicher Kultur der Entwicklung als “gut”.

Ein großes Problem ist insbesondere die Fortschreibung der Nord-Süd-Abhängigkeit in Folge nicht nachhaltiger Praktiken im Voluntourismus. Diverse Projekte und Aktivitäten werden wiederholt gestoppt und wieder neu gestartet, in vollständiger Abhängigkeit von den wirtschaftlichen bzw. materiellen Spenden von Voluntourist:innen.

Die Kultur des “Gebens” der Freiwilligen treibt den nie endenden Kreislauf der Abhängigkeit an. Jemand aus einer der Gemeinschaften formulierte es so:

„Eines, was ich den Freiwilligen immer gesagt habe, ist, dass sie sich von der Idee lösen müssen, immer geben zu wollen. Ich wünsche mir von ihnen einfach nur, dass sie eine sich selbst tragende Idee entwickeln..."

Eine Folge dieser Kultur wurde von jemand anderes aus Jinja beschrieben:

"Das ist das Bohrloch, das wir bekommen haben. Doch manchmal trocknet es aus und das führt zu Wasserknappheit in der Gemeinschaft. Dann beginnen die Leute die Brunnen aufzusuchen, die sie sich mit Tieren teilen, und werden krank.“

Die Freiwilligen motiviert der Voluntourismus als Methode der Selbstheilung. Sie stellen sich vor, dass die Rettung verarmter Gemeinschaften ihrem eigenen Leben in irgendeiner Weise Bestätigung verschafft. So gesehen nutzen die Freiwilligen die armen Verhältnisse in gefährdeten Gemeinschaften, um Sinn und Befriedigung in ihrem eigenen Leben zu finden, statt als erstes dem festgestellten Bedarf der Gemeinschaften und deren Interesse an einer Stärkung ihrer eigenen Rolle zu dienen (Snyder et al. 2011).

In den Interviews mit Betroffenen in den Gemeinschaften wurde deutlich, wie die Freiwilligen ihre Erfahrungen in Afrika als “Rettung“ vor ihren eigenen Problemen oder Herausforderungen nutzen.

In den meisten Fällen gibt es keine Anforderungen oder Kriterien für die Teilnehmenden am Voluntourismus. Die Programme werden nicht nachbereitet, so dass es immer so weitergeht wie bisher. Man schaut auf die Symptome der Herausforderungen und setzt auf kurzfristige Lösungen statt auf langfristige, bei denen der Fokus auf den Ursachen läge.

Voluntourismus verstärkt koloniale Muster und verhindert, dass Gemeinschaften in die Lage versetzt werden, nachhaltige Praktiken anzuwenden und ihre Entwicklung und Unabhängigkeit voranzubringen. Deshalb müssen die Ketten der Kolonialisierung im Voluntourismus aufgebrochen werden.

 

Wie lässt sich Voluntourismus dekolonialisieren?

Voluntourismus ist zu einer Praxis geworden, bei der der Fokus auf dem liegt, “was” wir tun. Dabei ist das Wichtigste in Vergessenheit geraten: “warum” wir es tun und “wie” wir es tun.

Wir können die Augen vor den Auswirkungen der Voluntourist:innen im direkten Kontakt mit den Gemeinschaften vor Ort nicht verschließen. Der Voluntourismus muss anders gestaltet werden. Er muss grundlegend verändert werden und damit dies geschieht, müssen sich auch die Freiwilligen ändern. Auf Grundlage meiner Analyse bin ich sicher, dass diese Veränderungen möglich sind.

 

Dos und Don’ts

Dekolonialisieren Sie sich selbst zuerst: Reflektieren Sie Fragen zu Ihren Privilegien und der Bedeutung, die diesen Privilegien in den Beziehungen zu anderen Menschen zukommt. Ein Vorschlag wäre, das Buch “Me and White Supremacy – Warum kritisches Weißsein mit dir selbst anfängt” von Layla F. Saad zu lesen und darüber nachzudenken, um die Privilegien als weiße Person und die eigene Beteiligung an der weißen Vorherrschaft zu verstehen und um Schwarzen, Indigenen und People of Colour nicht länger Schaden zuzufügen und auch anderen zu helfen, es ebenfalls besser zu machen.

Langfristige Zusammenarbeit: Wenige Wochen oder Monate reichen nicht aus. Absolvieren Sie eine Ausbildung, bevor Sie reisen, und planen Sie nach Ihrer Rückkehr die nächsten Schritte, um sicherzustellen, dass die geknüpften Verbindungen von Dauer sind.

Tun Sie nichts, wofür Sie nicht qualifiziert sind: Nutzen Sie vulnerable Gemeinschaften nicht als Spielwiese, wo Sie Dinge praktizieren können, die Sie in Ihrem Heimatland nicht tun dürften. Gute Absichten reichen nicht aus!

Stellen Sie Nachhaltigkeit sicher: Beteiligen Sie sich an Projekten oder arbeiten Sie bei Organisationen mit, die sich selbst tragen, an denen Einheimische beteiligt sind und die die Eigenverantwortung der Gemeinschaften fördern!

Empowerment fördern: Wenn Sie über Fachwissen und spezifische Kenntnisse verfügen, sollten Sie den nativen Gemeinschaften beim Wissenstransfer Eigenverantwortung und Wertschätzung entgegenbringen.

Seien Sie sich bewusst, was Sie in sozialen Medien teilen: Respektieren Sie Bildrechte und deren Schutz, insbesondere die Rechte von Kindern und vulnerablen Menschen. Machen Sie keine Fotos ohne Erlaubnis. Denken Sie über die Botschaft nach, die Sie vermitteln wollen. Uganda ist nicht nur arm, es hat viele Geschichten zu erzählen.

Handeln Sie lokal: Leisten Sie Beiträge zur lokalen Wirtschaft und den Menschen vor Ort. Vermeiden Sie es, Geld auszugeben, das die Gemeinschaften nicht direkt erreicht.

Indigene Namen sind wichtig: Verwenden Sie die ursprünglichen indigenen Namen. Jeder Ort hatte einen Namen, bevor Kolonialmächte nach Uganda kamen. Zum Beispiel der Lake Nnalubaale (Victoria-See) oder der Kazinga National Park (Queen Elizabeth National Park).

 

Warum ist es wichtig, den Voluntourismus zu dekolonialisieren?

In ihrer Studie zu Voluntourismus in afrikanischen Ländern südlich der Sahara schreibt Isabel Remers (2022): „In der überwiegend westlich geprägten Gestaltung des Voluntourismus wird versäumt, afrikanische Stimmen in den Vordergrund zu stellen. So wird ein ungleiches Machtverhältnis fortgesetzt, das sowohl in Afrika als auch im Westen einen zerstörerischen Diskurs propagiert”. Deshalb müssen wir grundlegend überdenken, wie der globale Norden und der globale Süden interagieren, zueinander in Beziehung stehen, sich gegenseitig unterstützen und zusammenarbeiten. Statt direkt zum "Was" – den Maßnahmen und Initiativen – zu springen, sollten wir uns zunächst tiefergehend mit dem “Warum“ und dem “Wie“ beschäftigen. Warum sind diese Interaktionen wichtig und wie lassen sie sich strukturieren, um echte Partnerschaften und gegenseitigen Nutzen zu fördern? Das Verständnis dieser grundlegenden Fragen hilft uns dabei, bedeutungsvollere und effektivere Beziehungen aufzubauen. Es erfordert Selbstbeobachtung und die Bereitschaft, Veränderungen zuerst bei uns selbst anzustoßen.

Gerard de Gracia ist Sozialpädagoge und hat sein Studium an der Universität Pere Tarres in Barcelona abgeschlossen. Derzeit nimmt er am dreijährigen "Enterprising Leadership"-Programm von Kaospilot in Dänemark teil. Von Februar bis Mai 2024 untersuchte er als Praktikant in Zusammenarbeit mit No White Saviors, wie sich Voluntourismus auf native Gemeinschaften in Uganda auswirkt.

 

Literatur:

ECPAT (2021) Tourism boom in Uganda driving demand for orphanages and putting children at risk of sexual exploitation, ECPAT. Verfügbar unter: https://ecpat.org/tourism-in-uganda-driving-demand-for-orphanages-putting-children-at-risk-sexual-exploitation/ 

Freire, P. (2014). Pedagogy of the Oppressed: 30th Anniversary Edition. https://www.amazon.com/Pedagogy-Oppressed-Anniversary-Paulo-Freire-ebook/dp/B00M0FQHQO

Guyson, N. (2024) Africa’s Uganda reports shrinking foreign aid, healthcare to be badly hit, Development aid. Verfügbar unter: https://www.developmentaid.org/news-stream/post/174775/uganda-reports-shrinking-foreign-aid

Guttentag, D. (2009) (PDF) the possible negative impacts of volunteer tourism. https://www.researchgate.net/publication/227907035_The_Possible_Negative_Impacts_of_Volunteer_Tourism

IVPA Surveys and Reports: (2024) International Volunteer Programs Association. https://volunteerinternational.org/ 

Musinguzi, B. (2020) Petitions to decolonise naming of Lakes, streets, The East African. Verfügbar unter: https://www.theeastafrican.co.ke/tea/magazine/petitions-to-decolonise-naming-of-lakes-streets-1465850

Remers, I. (2022). Voluntourism in Sub-Saharan Africa is Expiation by the West, but Only Creates Further Dependency on the West. Glocality, 5(1). https://doi.org/10.5334/glo.50

Saad, L.F. (2022) Me and white supremacy. Naperville, IL: Sourcebooks Explore.

Snyder, J., Dharamsi, S., & Crooks, V. A. (2011). Fly-By medical care: Conceptualizing the global and local social responsibilities of medical tourists and physician voluntourists. Globalization and Health, 7(1), 6. https://doi.org/10.1186/1744-8603-7-6

UNV (2022) UNV Annual report 2022, Annual report 2022. https://www.unv.org/Annual-report/Annual-Report-2022 

VSO (2023) Annual report 2022-23, VSO annual report 2022-23. https://www.vsointernational.org/about/annual-report

White, S. (2021) What is voluntourism and why it’s important, Sojournies. Verfügbar unter: https://sojournies.com/what-is-voluntourism/