Freiwilligeneinsätze und Voluntourismus werden immer beliebter. Zugleich hat auch die öffentliche Kritik daran zugenommen. Mit ihren neu überarbeiteten Voluntourismus-Kriterien setzt sich die Zertifizierungsorganisation Fair Trade Tourism im südlichen Afrika für mehr Transparenz in Bezug auf den wirklichen sozialen und ökologischen Wert von Freiwilligenprojekten ein.
Das Zertifizierungssystem von Fair Trade Tourism ist eines von wenigen, die im globalen Süden entwickelt wurden. Daher geht es darin in erster Linie um die Arbeits- und Lebensbedingungen von Menschen, die im Tourismus arbeiten oder deren Leben unmittelbar von touristischen Aktivitäten beeinflusst wird. Doch der Standard bezieht auch lokale und globale Umweltwirkungen des Tourismus, wie Ressourcenschutz oder Klimawirkungen, in die Betrachtung mit ein. Im vergangenen halben Jahr hat Fair Trade Tourism in einem Konsultationsprozess die 2009 erstmals speziell für den Voluntourismus entwickelten Kriterien und Richtlinien überarbeitet.
Kontrollmechanismen für die qualifizierte Arbeit mit Kindern
Fair Trade Tourism zertifiziert keine Projekte, die auf unqualifizierter Vollzeitarbeit Freiwilliger in Pflegeeinrichtungen für hilfsbedürftige Menschen wie Kinderheimen und Waisenhäusern beruhen. Junge Leute ohne pädagogische Ausbildung in verantwortungsvolle und nicht fachmännisch überwachte Tätigkeiten in der Arbeit mit afrikanischen Kindern zu vermitteln, wirft Fragen auf. In Deutschland wäre es keineswegs akzeptabel, wenn junge Schulabgänger aus Afrika deutsche Kindergartengruppen beaufsichtigen würden.
Wo Freiwillige mit Kindern arbeiten, muss dies zu jedem Zeitpunkt unter voller Aufsicht durch pädagogisch qualifizierte Erwachsene geschehen. Es muss nachgewiesen sein, dass die hauptverantwortlichen Betreuerinnen und Betreuer eine adäquate Ausbildung absolviert haben. Soziale Einrichtungen, die eine Fair Trade Tourism-Zertifizierung für ihre Freiwilligendienstangebote erhalten wollen, müssen künftig nachweisen, dass sie über Kontrollmechanismen und Verantwortliche verfügen, die die Arbeit der Freiwilligen begleiten.
Löwen für die Freiwilligen?
Darüber hinaus schließen die neuen Kriterien die Zertifizierung von Freiwilligendienstprojekten oder Tourismusangeboten aus, bei denen Freiwillige oder andere Touristen mit Wildtieren physisch interagieren. Erlaubt ist nur die professionelle Veterinärversorgung.
Viele Tierarten, mit denen Freiwillige im Bereich Tierschutz arbeiten, sind in der Regel nicht gefährdet und werden sogar gezielt für touristische Aktivitäten gezüchtet. Der aktuelle Dokumentarfilm „Blood Lions“ von Pippa Hankinson zeigt, dass in manchen Fällen ein und derselbe Löwe in seinem kurzen Leben hintereinander für die Aufzucht durch Voluntouristen, für touristische Wanderangebote mit zahmen Löwen und abschließend für die Trophäenjagd genutzt wird.
Bei Touristen und Freiwilligen sind auch andere Angebote beliebt, bei denen es zur direkten Interaktion mit Wildtieren kommt, z.B. Elefantenritte oder Krokodilfütterungen. Die Aufzucht von Raubkatzen und anderen charismatischen, aber nicht gefährdeten Tierarten in Gefangenschaft hat nichts mit Naturschutz zu tun. Ganz im Gegenteil: Die massenhafte Züchtung dieser Tiere führt zu einer Degenerierung des Genpools. Selbst wenn eine Auswilderung der von Hand aufgezogenen Tiere möglich wäre, was viele dieser Angebote suggerieren, hätte dies negative Auswirkungen auf die biologische Vielfalt. Wildparke, die eine Fair Trade Tourism-Zertifizierung für ihre Projekte mit Freiwilligen erhalten wollen, müssen künftig darlegen, dass diese Projekte tatsächlich dem Naturschutz dienen.
Voluntourismus schafft Arbeitsplätze
Nicht nur klassische Fotosafaris, sondern auch die voluntouristischen Geschäftsmodelle in privaten Wildgehegen, wie man sie etwa rings um den Krüger-Nationalpark findet, schaffen Arbeitsplätze, die dort dringend benötigt werden. Der Nationalpark selbst sichert nach eigenen Angaben etwa 40.000 Arbeitsplätze und andere Formen von Einkommen. Im direkten Einzugsgebiet des Krügerparks leben allein auf südafrikanischer Seite allerdings 3,2 Millionen Menschen. Die offizielle Arbeitslosenquote liegt je nach Region zwischen 30 und 40 Prozent. Der stark wachsende Voluntourismus hilft bei der kommerziellen Inwertsetzung von Schutzgebieten. Er mag zwar für den Naturschutz sinnlos sein, kann aber für lokale Arbeitskräfte trotzdem einträglich sein und die Armut mindern.
Afrika als Disney-Bühne?
Ökologische Wirkungen und (erhoffte) wirtschaftliche Wirkungen gegeneinander aufzurechnen, verschleiert jedoch möglicherweise weitere Probleme. Sicher wirken sich diese Erlebnisangebote für junge Menschen auch auf das Afrikabild in Deutschland und anderen Voluntourismus-Märkten aus. Die Löwenaufzucht von Hand in angeblichen Schutzstationen in einer von der Außenwelt und Bevölkerung abgeriegelten Naturlandschaft kann ein romantisiertes oder „disneyfiziertes“ Afrikabild jenseits afrikanischer Natur- und Lebensrealitäten verstärken. Auch Stereotype des „bedürftigen Afrika(ners)“ werden durch die Projekterfahrungen von Freiwilligen (und ihr soziales Umfeld nach der Rückkehr) gegebenenfalls eher verstärkt als aufgelöst, reale oder empfundene Abhängigkeitsverhältnisse eher bestätigt als verringert.
Weitere Informationen: www.fairtrade.travel/content/page/certification-standards1
Die neuen Voluntourismus-Kriterien sind neben allen anderen Kriterien in die vier Kategorien „Geschäftspraktiken und Personalwesen“, „Gemeinschaftsressourcen“, „Kulturerbe“ und „Umweltpraktiken“ integriert.
Manuel Bollmann ist Integrierte Fachkraft der Deutschen Gesellschaft für internationale Zusammenarbeit (GIZ-CIM) und arbeitet als Manager für Programmentwicklung bei Fair Trade Tourism in Südafrika.
(5.881 Zeichen, Juni 2016, TW 83)