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SDG 8: Menschenwürdige Arbeit

Noch immer in weiter Ferne


Das Ziel für nachhaltige Entwicklung (SDG) Nr. 8, "Wirtschaftswachstum und menschenwürdige Arbeit", ist eines der wenigen SDGs, in denen der Tourismus ausdrücklich erwähnt ist. Die Indikatoren zu diesem Ziel legen jedoch den Schwerpunkt ausschließlich auf das Wirtschaftswachstum und halten am traditionellen Beitrag des Tourismus fest. Sie sagen nichts über die Qualität der Beschäftigung aus.

Laut der Internationalen Arbeitsorganisation umfasst menschenwürdige Arbeit "die Möglichkeit, produktive Arbeit zu verrichten, die ein angemessenes Einkommen bietet, Arbeitsplatzsicherheit und sozialen Schutz für alle, bessere Aussichten für die persönliche Entwicklung und soziale Integration, die Freiheit der Menschen, ihre Anliegen zu äußern, sich zu organisieren und an den Entscheidungen, die ihr Leben betreffen, teilzuhaben, sowie Chancengleichheit und Gleichbehandlung für alle Frauen und Männer". Doch nichts davon spiegelt sich in den SDG-8-Indikatoren wider. Dass diese Perspektive in der Formulierung der SDGs fehlt, hat dazu geführt, dass die Erwartungen an ihr Potenzial für sozialen Wandel nicht allzu hoch sind.

Zunehmend prekäre Arbeitsbedingungen

Die Corona-Pandemie und die Verschärfung zahlreicher globaler Probleme (darunter die Klimakrise, der zunehmende Einsatz fossiler Brennstoffe, die Verknappung seltener Mineralien, die Verschärfung geopolitischer Spannungen) haben in eine Situation multipler Krisen geführt. Dadurch ist die Beschäftigung, die strukturell ohnehin schon auf prekären Grundlagen basierte, noch instabiler geworden.

Im Tourismus hat die Corona-Pandemie zu einem nie dagewesenen globalen Stillstand und zum Verlust von Millionen von Arbeitsplätzen geführt. Sie hat deutlich gemacht, wie extrem anfällig diese Art von Arbeitsplätze sind. Hinzu kommt, dass in den Ländern, in denen es gelang, Maßnahmen zur sozialen Absicherung umzusetzen, diese in der Verantwortung der jeweiligen Staaten lagen, also aus öffentlichen Mitteln finanziert wurden. Die Folge: Nur selten haben Unternehmen ihr Personal mit eigenen Mitteln gehalten. Außerdem hatten die am stärksten von Unsicherheit betroffenen Gruppen, deren Arbeitsplätze befristet oder ausgelagert sind, kaum Zugang zu sozialer Unterstützung. Im informellen Sektor war der Mangel an Unterstützung sogar noch deutlicher zu spüren. Dies hat zu einer Zunahme von Armut und Ungleichheit geführt, vor allem in Reisezielen, in denen der größte Teil der Bevölkerung vom Tourismus abhängig ist.

Nach der Corona-Pandemie sind wir weit davon entfernt, Beschäftigung im Tourismussektor wirklich zu verändern. Stattdessen machen wir weiter wie bisher, nur unter nun noch höherem Druck des Kapitals, "das verlorene Geld und die verlorene Zeit" wieder wettzumachen. Die Touristenzahlen haben sich wieder erholt, doch der Neustart im Tourismus nach der Pandemie hat auch bestehende Trends verstärkt: Die Qualität der Beschäftigung im Tourismus hat sich weiter verschlechtert, sie wurde sogar noch prekärer.

Personalmangel

Viele Menschen, die während der Pandemie in andere Wirtschaftszweige mit besseren Arbeitszeiten und Gehältern wechseln konnten, wie z.B. in die Logistik oder den Handel, oder die ihr eigenes Unternehmen gründen konnten, haben beschlossen, dort zu bleiben und nicht in den Tourismus zurückzukehren. Dies hat zu erheblichem Personalmangel im Tourismussektor geführt. Die Reaktion der Unternehmen bestand aber nicht etwa darin, die Beschäftigungsbedingungen zu verbessern und damit den Sektor attraktiver zu machen. Vielmehr üben sie Druck auf die jeweiligen Regierungen aus, die Zuwanderung von Arbeitskräften zu erleichtern, die bereit sind, diese Bedingungen zu akzeptieren. Da Personal knapp ist, die Arbeitsbelastung höher ist und versucht wird, jede Gesetzeslücke auszunutzen oder einfach zu unterlaufen, um die Arbeitskosten zu senken, ist der Druck auf Unternehmen noch weiter gestiegen, Arbeit zu flexibilisieren und zu intensivieren.

Überflüssig geworden

In vielen Wirtschaftszweigen haben sich während der Pandemie die Digitalisierungsprozesse und die Veränderungen in der Arbeitsorganisation beschleunigt. Dies hat sich auch auf den Tourismus ausgewirkt. So wurde zum Beispiel bei Großveranstaltungen ein Teil des für die Einlasskontrolle zuständigen Personals durch Online-Check-Ins ersetzt. Auf immer mehr Flughäfen werden bestimmte Abläufe vor dem Boarding von den Fluggästen selbst und nicht mehr von angestelltem Personal durchgeführt. In vielen Touristenunterkünften werden Personen, die dafür zuständig sind, die Gäste zu empfangen, durch automatisierte Zugangssysteme ersetzt. Auch an Hotelrezeptionen erledigen die Gäste einen Teil der Anmeldung vorab online.

Diese Dynamik hat zu Recht Befürchtungen geschürt, dass bestimmte Arbeitsplätze abgebaut werden könnten. Es ist jedoch unklar, ob dies in großem Stil der Fall sein könnte. Auch könnten die Auswirkungen der Digitalisierung noch komplexer sein. Es ist sehr wahrscheinlich, dass Arbeitsplätze ersetzt werden, wenn dies für Unternehmen niedrigere Arbeitskosten bedeutet. Doch wenn es möglich ist, auf billige und flexible Arbeitskräfte zuzugreifen, wird das nicht so schnell gehen. Oder die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer werden stärker kontrolliert, um die Leerlaufzeiten zu verringern und die Arbeit noch weiter zu intensivieren. Dies ist zum Beispiel bei der Reinigung von Hotelzimmern der Fall. Die Arbeit des Reinigungspersonals, die meist von Frauen und in vielen Fällen von Migrantinnen verrichtet wird, wird durch technische Innovationen und Digitalisierung nicht ersetzt. Im besten Fall werden Informationssysteme verbessert, um einen kontinuierlichen Arbeitsfluss zu gewährleisten, oder es werden neue Systeme zur Arbeitsorganisation entwickelt, um die Arbeit weiter zu standardisieren und die Autonomie dieser Arbeitskräfte einzuschränken.

Während und vor allem nach der Pandemie haben sich eine ganze Reihe von Veränderungen in der Unternehmensstruktur großer Tourismuskonzerne sowie in der Zusammensetzung ihres Kapitals beschleunigt. Das hat direkte Auswirkungen auf die Beschäftigung. Die Unternehmenskonzentration, das wachsende Gewicht des Finanzkapitals und die zunehmende Bedeutung des Plattformkapitalismus sind einige Elemente des beschleunigten Wandels, der darauf abzielt, die Arbeitskosten auf jede denkbare Weise zu senken. Die zunehmende Ungleichheit schwächt die Verhandlungsmacht der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer gegenüber den Unternehmen, die zunehmend kurzfristige Entscheidungen treffen. Infolgedessen verhärtet sich der Arbeitskampf, in dem es noch Spielraum für Widerstand gibt.

In immer weiterer Ferne

Mit den SDGs wurde ein Horizont festgelegt, um politische Handlungskonzepte vorzuschlagen, die zur Verbesserung des allgemeinen Wohlergehens dienen sollen. Da jedoch der globale Rahmen nicht hinterfragt wurde, in dem diese Ziele festgelegt wurden, lassen sich keine wirksamen politischen Maßnahmen entwickeln, die tatsächlich zu menschenwürdiger Arbeit im Tourismus führen. Wenn sich die Qualität der Arbeit im Tourismus nicht verbessert, sondern sich deutliche Anzeichen einer Verschlechterung zeigen, braucht es eine Lobbying-Agenda, die wirksam zu Veränderungen beiträgt.

In der Tourismusforschung muss neben der Anzahl der Arbeitsplätze stärker auch deren Qualität untersucht werden. Dabei muss berücksichtigt werden, wie die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer tagtäglich leben, wie ihre Arbeitsbedingungen aussehen und worunter sie leiden. In den Unternehmen ist es von entscheidender Bedeutung, die gewerkschaftliche Organisation zu stärken. Die Politik muss dieser Situation Rechnung tragen und Arbeitsbedingungen besser kontrollieren. Aufgabe von Nichtregierungsorganisationen und sozialen Bewegungen ist es, zu informieren, sensibilisieren, mobilisieren und Einfluss zu nehmen, um die Beschäftigung im Tourismus umzugestalten – eine Beschäftigung, die immer weiter von den Formulierungen entfernt ist, die ihre Verbesserung postulieren. Das tägliche Leben ist für viele Beschäftigte im Tourismus inzwischen zu einem Alptraum geworden.

Ernest Cañada und Carla Izcara arbeiten bei der katalanischen Organisation "Alba Sud - Investigation and Communication for Development".