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Bessere Arbeitsbedingungen durch Bewertungsplattformen

Fairness zählt


Rikshaws in Indien

Ein Taxifahrer in der indischen Hauptstadt New Delhi findet seinen Weg durch das strassengewirr mit Hilfe einer Navigationsapp.

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Projektpartner Ankur – Society for

Alternatives in Education

Plattformen wie Yelp und Trip Advisor helfen Tourist*innen auf Basis von Nutzerbewertungen dabei, passende Aktivitäten und Unterkünfte für ihre Reise zu finden. Gleichzeitig sind schlechte Bewertungen für Tourismusanbieter häufig ein Anreiz, um ihre Dienstleistungen zu verbessern. Warum also mit diesem System nicht auch die Arbeitsbedingungen verbessern? Die Fairwork Foundation hat diese Idee umgesetzt und bewertet die Fairness digitaler Arbeitsplattformen gegenüber ihren Mitarbeiter*innen. Ziel des Projekts ist es, Standards für menschenwürdige Arbeitsbedingungen in der Plattformwirtschaft zu definieren und Plattformen danach zu beurteilen.

Die Fairwork Foundation fordert bessere Arbeitsbedingungen von Plattformen

Die Fairwork Foundation ist ein Aktionsforschungsprojekt am Oxford Internet Institute der Universität Oxford. Die Stiftung hat Standards für faire Arbeit in der Plattformwirtschaft definiert und in Indien und Südafrika angewendet. Diese basieren auf einer umfassenden Literaturrecherche zur Arbeitsplatzqualität, Treffen mit Interessensvertreter*innen in beiden Ländern, sowie Stakeholder-Treffen bei der Handels- und Entwicklungskonferenz der Vereinten Nationen (UNCTAD) und der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) in Genf, an denen Plattformbetreibende, politische Entscheidungsträger*innen, Gewerkschaften und Wissenschaftler*innen teilnahmen. Während die Fairwork Foundation bereits digitale Arbeitsplattformen wie Uber und Deliveroo bewertet, könnte das Bewertungssystem auch einen Anreiz für klassische Tourismusplattformen sein, um sie zu fairen Arbeitsbedingungen zu zwingen.

Auch lokale Start-ups bieten nicht immer bessere Arbeitsbedingungen

Wenn es um die Ausbeutung von Arbeitnehmer*innen geht, denken viele sofort an große internationale Unternehmen. Doch auch kleine lokale Start-ups bieten nicht immer bessere Arbeitsbedingungen. Stattdessen orientieren sie sich häufig an der Arbeitsweise internationaler Unternehmen, weil diese damit erfolgreich sind. Auch Investoren untersuchen selten, ob Start-ups ihren Arbeitnehmer*innen gute Arbeitsbedingungen bieten, da sie sich in der Regel mehr mit Rentabilität und Skalierbarkeit befassen. Solange wirtschaftlicher Erfolg auf diese Weise definiert wird, ist es schwierig zu erwarten, dass Start-ups den Weg für faires Arbeiten bereiten.

In Indien und Südafrika wächst der Protest für die Rechte von Plattformarbeiter*innen

Für informelle Arbeitnehmer*innen und Zeitarbeiter*innen auf digitalen Plattformen ist es vergleichsweise schwierig, sich kollektiv zu organisieren. Dennoch gibt es auch hier Grassroot-Bewegungen – und sie wachsen. Auch ohne formelle Organisationen unterstützen sich die Arbeitnehmer*innen gegenseitig: In Indien und Südafrika hat die Fairworks Foundation beispielsweise festgestellt, dass Zusteller*innen auf der Straße vermehrt auf Unfälle, Belästigungen und andere potenzielle Risiken wie Gewalt und Diebstahl achten. Sie informieren sich gegenseitig über WhatsApp- und Facebook-Gruppen und helfen sich im Notfall. Sie warnen sich zudem vor Verkehrskontrollen, bei denen Fahrräder und Autos abgeschleppt oder Geldstrafen eingefordert werden. Manchmal mobilisieren die Netzwerke auch Arbeitsstreiks und andere Aktionen, die sich gegen die schlechten Arbeitsbedingungen der Plattformen richten. Allerdings bestrafen viele Plattformbetreiber die Mitarbeiter*innen, die an solchen Aktionen teilnehmen, indem sie Anreize reduzieren und ihren Lohn pro Fahrt senken. Daher sollten alle Akteure der Zivilgesellschaft und Verbraucher*innen fordern, dass Plattformen das von der ILO verankerte Recht ihrer Arbeitnehmer auf kollektives Handeln respektieren.

Während ein formelles Bewertungssystem noch nicht in allen touristischen Kontexten vorhanden ist, haben Verbraucher*innen die Möglichkeit, bessere Arbeitsbedingungen bei Tourismusplattformen einzufordern:

  • Druck auf Tourismusplattformen ausüben!
    Buchen Sie nur Hotels und Dienstleistungen, deren Anbieter nachweisen können, dass alle Arbeitnehmer*innen mindestens den Mindestlohn verdienen. Dies sollte auch für diejenigen Mitarbeiter*innen gelten, die über Vermittler an Subunternehmer vergeben werden. Dies kann durch ein Zertifizierungssystem für existenzsichernde Löhne von Drittanbietern in Erfahrung gebracht werden, wie es die Living Wage Foundation anbietet. Sie arbeitet bereits mit touristischen Unternehmen wie Restaurants, Sicherheits- und Reinigungsdiensten zusammen.
  • Bleiben Sie wachsam!
    Finden Sie heraus, welches  Unternehmen hinter einer Plattform steckt und wie es organisiert ist. Vermeiden Sie Tourismusplattformen, die ihre Aktivitäten über Cloudwork an Mitarbeiter*innen auslagern. Sie umgehen damit häufig die Arbeitsgesetze.
  • Machen Sie Ihre Hausaufgaben!
    Googeln Sie die Plattform vorab und erfahren Sie so über Verletzungen von Arbeitnehmer*innenrechten. Ein kürzlich veröffentlichter Bericht über die indische Hotelplattform Oyo zeigte beispielsweise, dass viele Hotels, die Unteraufträge mit Oyo geschlossen hatten, nicht wie vereinbart bezahlt wurden. Stattdessen wurden nachträglich versteckte Kosten berechnet und so der Anteil der Plattform Oyo an den Buchungen unverhältnismäßig erhöht.

Mittels Recherchen und Interviews hat die Fairwork Foundation fünf Prinzipien entwickelt, um die Arbeitsstandards auf Plattform zu messen:

  1. Faire Bezahlung
    Unabhängig von ihrem Beschäftigungsstatus sollten die Arbeitskräfte in ihrem Heimatland unter Berücksichtigung der arbeitsbedingten Kosten ein menschenwürdiges Einkommen erzielen.

  2. Faire Arbeitsbedingungen
    Die Plattformbetreiber sollten Maßnahmen treffen, um die Arbeitskräfte vor grundlegenden Gefahren zu schützen, die von den Arbeitsprozessen ausgehen. Darüber hinaus sollten sie proaktiv weitere Maßnahmen zum Schutz und zur Förderung der Gesundheit und Sicherheit der Arbeitskräfte treffen.

  3. Faire Verträge
    Die Vertragsbedingungen sollten klar und eindeutig formuliert sein und den Arbeitskräften so zur Verfügung gestellt werden, dass sie darauf leicht zugreifen können. Die Vertragspartner der Arbeitskräfte müssen dem lokalen Recht unterliegen und im Vertrag genannt werden. Sofern die Arbeitskräfte tatsächlich selbständig sind, dürfen die Nutzungsbedingungen der Plattform keine Bestimmungen enthalten, die die Haftung der Plattform in unangemessener Weise ausschließen.

  4. Faire Management-Prozesse
    Jede Plattform sollte über ein dokumentiertes Verfahren verfügen, über das die Arbeitskräfte ihre Anliegen vortragen und Widerspruch gegen die sie betreffenden Entscheidungen einlegen können. Im Rahmen dieses Verfahrenssollten die Arbeitskräfte auch über die Gründe für diese Entscheidungen informiert werden. Es muss ein klar definierter Kommunikationskanal vorhanden sein, über den die Arbeitskräfte sich an die Vertreter der Plattform wenden können, um gegen Entscheidungen des Managements oder die Deaktivierung ihres Nutzerkontos und Ausschluss aus dem Arbeitskräftepool Widerspruch einzulegen. Sämtliche Algorithmen werden transparent eingesetzt und führen zu fairen Ergebnissen für die Arbeitskräfte. Die Plattform muss über eine dokumentierte Richtlinie verfügen, die als solche klar erkennbar ist und die Gleichbehandlung der Arbeitskräfte durch die Plattform gewährleistet (z. B. bei der Einstellung/ Aufnahme in den Arbeitskräftepool, Disziplinarmaßnahmen oder der Entlassung/ Auslistung aus dem Arbeitskräftepool).

  5. Faire Vertretung
    Jede Plattform sollte über einen dokumentierten Prozess verfügen, über den die Arbeitskräfte ihre Interessen und Anliegen artikulieren können. Unabhängig von ihrem Beschäftigungsstatus sollten die Arbeitskräfte das Recht haben, Interessenvertretungen zu bilden; die Plattformen sollten bereit sein, mit diesen Interessenvertretungen zusammenzuarbeiten und zu verhandeln entwickelt, um die Arbeitsstandards auf Plattform zu messen.

Jede Plattform kann maximal zwei Punkte pro Prinzip, also eine Gesamtzahl von 10 Punkten erreichen. Das sind die Bewertungen für 2019: (siehe Bildergalerie).

In Südafrika steht NOSWEAT auf Platz 1, eine Plattform, mit der Unternehmen Freiberufler*innen oder Festangestellte finden können. Das Unternehmen punktet beinahe in jeder Kategorie: es zahlt über dem Mindestlohn, überprüft alle Stellenangebote auf die Einhaltung von Gesundheits- und Sicherheitsvorschriften, formuliert Arbeitsverträge klar und verständlich, ermöglicht Arbeitnehmer*innen Interessensvertretungen und verfügt über eine Datenschutz-Policy. WumDrop, ein Lieferservice in Südafrika, belegt den letzten Platz. Abgesehen von der Zahlung des Mindestlohns und regelmäßigem Austausch mit ihren Mitarbeiter*innen konnte die Plattform keinen der 10 Standards der Fairwork Foundation erfüllen.

Ganz oben auf der Bewertungsskala für Indien steht Flipkart, Indiens größter Online-Shop. Obwohl die Plattform das Ranking anführt, muss sie noch einige Arbeit leisten, um allen ihren Mitarbeiter*innen faire Verträge anzubieten. Außerdem hat die Plattform bisher kein kollektives Gremium anerkannt, das die Interessensvertretung und Verhandlungen  für Arbeitnehmer*innen übernehmen kann. Mit Ola und Uber, einem indische und einem internationaler Taxianbieter, landen zwei tourismusnahe Dienstleister ganzuntem im Ranking. Gemeinsam mit Foodpanda, einem Lieferserviceteilen sich den letzten Platz auf dem Ranking mit nur zwei erfüllten Fairwork-Standards. Sie alle zahlen ihren Arbeitnehmer*innen mehr als den örtlichen Mindestlohn, bieten jedoch bislang keine sonstigen fairen Bedingungen wie faire Verträge, faires Management und Interessenvertretungen an.