Interview

Die unsichtbaren Kosten des Tourismus

Interview mit Megan Epler Wood


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In vielen Destinationen weltweit sind die Ausgaben der Destinationen je Reisegast höher als die wirtschaftlichen Einnahmen aus dem Tourismus. Dies ist vielen Personen in Entscheidungspositionen nicht bewusst, da sich Monitoring- und Management-Instrumente in Destinationen lediglich auf Besucherzahlen und Wirtschaftsdaten konzentrieren. Daher bleiben die wahren Kosten des Tourismus auf lokaler Ebene oft verborgen.

Die derzeitige Situation des globalen Tourismus ist von anhaltenden geopolitischen, fiskalischen und ökologischen Unsicherheiten geprägt. Gleichzeitig haben viele Destinationen den dringenden Wunsch, so schnell wie möglich zu dem Tourismus zurückzukehren, den sie vor der Pandemie kannten. Wir fragten Megan Epler Wood, Hauptautorin der Studie ‚Destinations at Risk, the Invisible Burden of Tourism‘, wie sie die derzeitige Situation beurteilt. Dabei wollten wir wissen, was nötig ist, um den Tourismus vor Ort wirklich zu transformieren – von einer kostenintensiven, gewinnarmen und vulnerablen Wirtschaftsaktivität hin zu einer Branche, die zukunftssicher wird in einer immer unbeständigeren Welt.

Was sind die unsichtbaren Lasten des Tourismus und warum ist es für Destinationen wichtig, die wahren Kosten zu kennen und eine ganzheitliche Buchhaltung einzuführen?

Megan Epler Wood: Die unsichtbare Last von Tourismusdestinationen sind die Ausgaben für den Schutz ihrer ökologischen und sozialen Güter und für die Infrastruktur, die Gäste und Einheimische nutzen. In fast allen Destinationen werden diese Kosten des Tourismus nicht erfasst. Denn das global akzeptierte Wirtschaftssystem schaut nur auf Besucherzahlen und Einnahmen. Die Kosten, die durch das lokale Tourismusmanagement entstehen, werden meist nicht mitberechnet.

In den meisten Tourismusregionen gibt es Finanzdefizite in kritischen Bereichen wie der Verbesserung von Energiesystemen, der Müllentsorgung, der Abwasserbehandlung und dem Schutz von wertvollen Natur- und Kulturschätzen. Sie bemühen sich darum, wichtiges ökologisches und kulturelles Kapital in ihrer Region zu schützen, aber oftmals fehlt es dabei an der nötigen Expertise und viele Kosten werden nicht budgetiert.

Warum werden diese Kosten üblicherweise übersehen ?

MEW: Im Bereich des Tourismusmanagement fokussieren sich alle Beteiligten fast ausschließlich auf die Nachfrage, ohne dabei das Angebot mit in Betracht zu ziehen. Aber dies ändert sich nun langsam. Zukünftig werden Destinationsmanager und -managerinnen Daten über Tourismusnachfrage und über das Ressourcenangebot besser zusammenführen müssen, um die Tourismuswirtschaft dabei zu unterstützen, Angebot und Nachfrage in Tourismusdestinationen besser zu balancieren.

Zum Beispiel werden Nationale Tourismusbehörden in Zukunft besser mit anderen lokalen Verwaltungseinheiten kooperieren müssen und die wichtigsten Bestandteile des touristischen Erlebnisses gemeinsam managen. So können sie die Treibhausgas-Emissionen pro Gast senken oder regionale Besuchsstrategien mit diversen und inklusiven ökonomischen Möglichkeiten für die lokale Bevölkerung entwickeln. Je länger Destinationen wachsen, ohne in die Senkung von Treibhausgas-Emissionen oder den Schutz natürlicher Ressourcen (wie Korallenriffe oder ein besseres Management von Frischwasserressourcen) zu investieren und die Resilienz der Einwohnerinnen und Einwohner zu stärken, desto niedriger ist die Wahrscheinlichkeit, dass sie auf Dauer wettbewerbsfähig bleiben.

Das Destinationsmanagement grundlegend zu verändern, ist eine langfristige Aufgabe. Was sind  erste Schritte, um die existierenden lokalen Managementsysteme zu verändern?

MEW: Ein Weg, um schnelle Resultate zu sehen, wäre die Zusammenarbeit zwischen Destinationsmanagement und anderen Verwaltungsstellen. Insbesondere eignen sich hier „Smart City“-Büros, die bereits Daten erheben und managen, um regionale Ziele zur Verbesserung von Infrastruktur zu erreichen und Treibhausgas-Emissionen zu senken. Darüber hinaus muss gut gemessen werden, wie inklusiv der Tourismus für die lokale Bevölkerung ist. Es muss überwacht werden, inwieweit der Tourismus Bevölkerungen unterschiedlicher Herkunft zugutekommt.

Es steht außer Frage, das ein derartiges neues Destinationsmanagement besser ausgebildetes Personal benötigen wird. Aber es gibt keinen Grund daran zu zweifeln, dass es gelingen kann, den Tourismus nachhaltig zu managen, wenn im öffentlichen Auftrag staatliche und private Beteiligte neue Kooperationssysteme etablieren.

Auf Grundlage Ihrer Arbeit zu den unsichtbaren Kosten des Tourismus wurde ein eCornell Kurs entwickelt. Welche Rolle spielt E-Learning heute im Tourismus?

MEW: Bis 2010 konzentrierte sich meine Firma EplerWood International hauptsächlich auf Beratungstätigkeiten für Entwicklungsagenturen in Schwellenländern. Wir entwickelten Pläne für nachhaltige Tourismusentwicklung im ländlichen Raum zusammen mit lokalen Mitarbeitenden in über 35 Ländern. Dabei habe ich über die Jahre mit vielen fähigen Personen zusammengearbeitet, doch nie ist mir jemand begegnet, der in nachhaltigem Tourismusmanagement ausgebildet war– in über einem Dutzend Verträgen zwischen 2003 und 2012. Aufgrund dieser Erfahrung wurde mir klar, dass Online-Kurse in nachhaltigem Tourismus essenziell sind, um die Expertise in meinem Feld zu vergrößern. Ich begann, online an der Harvard Extension School zu lehren. An der Fakultät für Nachhaltigkeit und Umweltmanagement unterrichtete ich insgesamt 500 Studierende. Aber mir wurde bewusst, dass wir mehr Studierende erreichen müssen. Wir mussten erschwinglicher werden und uns anderen Zeitzonen anpassen können. So wurde die Idee geboren, einen zertifizierten Kurs zum Download anzubieten, welchen wir nun an der Cornell University fertiggestellt haben (siehe Infobox am Ende des Artikels).

Vor kurzen hatte ich die tolle Gelegenheit mit jungen Studierenden zu sprechen, die im November 2022 den Hotelkurs von eCornell in Ruanda absolviert hatten. Sie waren sehr begeistert und erzählten mir, wie schwierig es gewesen sei und wie stolz sie nun seien, das Programm beendet zu haben. Ich bin mir sicher, dass eCornell ein starkes System entwickelt hat, um Fachkräfte weltweit auszubilden. Dies könnte eine effektive professionelle Weiterentwicklung der nächsten Generation ermöglichen, damit Destinationsmarketing-Organisationen zu Destinationsmanagementsystemen werden.

Wie kann die Umstrukturierung der Tourismuswirtschaft finanziell gestemmt werden?

MEW: Unsere Forschung deutet darauf hin, dass aufstrebende Volkswirtschaften bereit sein müssen, vergünstigte Finanzierungspakete zu entwickeln, die speziell darauf abzielen, verschiedene Finanzierungsmöglichkeiten, wie Subventionen, Kredite und Impact Investment, miteinander zu verbinden. Um ein solches System aufzubauen, bedarf es der Hilfe von internationalen Entwicklungsagenturen. Besonders wichtig wird sein, dass Staaten anfangen, einen Teil der Tourismussteuern dafür aufzuwenden, die Güter zu schützen, die für den Tourismus überlebenswichtig sind sowie das lokale Wohlergehen.

Wie ist aktuell die Situation für kleine Insel-Entwicklungsländer?

MEW: Klar ist, der Klimawandel wird die operativen Kosten im Tourismus dramatisch ansteigen lassen. Die Staaten müssen die Profitabilität des Tourismus erhöhen und sicherstellen, dass sich die Industrie inklusiv zugunsten der lokalen Bevölkerung entwickelt. Die Einnahmen müssen die unsichtbaren Kosten des Tourismus decken. Während es noch keine guten Werkzeuge für Investments in nachhaltige Destinationen gibt, wissen wir, dass Inselstaaten, wie z. B. Barbados, bereits dabei sind zu schauen, wie sie die Nutzung fossiler Brennstoffe reduzieren können. Es gelingt ihnen so nicht nur ihr Naturkapital zu schützen, sondern auch die Zukunft der Tourismusindustrie zu sichern und die Wirtschaft der Region im Allgemeinen zu schützen.

Barbados ist es gelungen, einen Schuldenerlass im Tausch für mehr Naturschutz zu erlangen, welcher von der Inter-Amerikanischen Entwicklungsbank und der Organisation Nature Conservancy mit 150 Mill. US-Dollar gesichert wird. Diese Schuldenumwandlung fließt einem Naturschutzfond zu, der die Regierung befähigt, ihre Küsten besser zu schützen und damit ihre Klimaresilienz zu erhöhen. Die Premierministerin von Barbados, Mia Mottley, betonte die Wichtigkeit dieses Programms für den Schutz und Erhalt der Meeresressourcen in einem Artikel im September 2022 folgendermaßen: "Diese Klimakrise erfordert das dringende Handeln aller. Während wir weiterhin darauf drängen und darauf warten, dass die gesamte internationale Gemeinschaft diese Situation prioritär behandelt, haben wir in Barbados unsere eigenen Maßnahmen ergriffen, um die schädlichen Auswirkungen zu bekämpfen."

Vielen Dank für das Interview!

 

Der neue eCornell Kurs: Sustainable Tourism Destination Management Course

Auf der Grundlage des Invisible Burden - Berichts wurde der eCornell-Kurs "Sustainable Tourism Destination Management" entwickelt. Dieser neue Kurs mit 8 Modulen besteht aus einer Reihe von Vorlesungen, herunterladbaren Tools, Übungen, Aktivitäten und Quizfragen. Künftige Destinationsmanagerinnen und -manager werden so befähigt ausgewogenere, wirtschaftlich inklusivere Destinationsentwicklung zu betreiben und die ökologischen und sozialen Auswirkungen auf lokaler Ebene zu verwalten. Der Kurs richtet sich an Fachleute und ermöglicht es Teilnehmenden, ihre Fähigkeiten zur Messung und zum Management der unsichtbaren Kosten des Tourismus in neuen Destinationsmanagementeinheiten zu erproben, um schnell auf die dringendsten Probleme unserer Zeit reagieren zu können. Der neue Kurs kann im Selbststudium absolviert werden.

Der Kurs wurde vom SC Johnson College of Business' Center for Sustainable Global Enterprise, Sustainable Tourism Asset Management Program (STAMP) in Partnerschaft mit der globalen NGO The Travel Foundation entwickelt. Der Kurs wurde von der Deutschen Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) im Auftrag des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) finanziell unterstützt. Stipendien für 1000 Studierende aus der ganzen Welt werden auf Antrag aus Zielländern, in denen die Erschwinglichkeit ansonsten ein Hindernis für die Einschreibung darstellen könnte, im Rahmen eines von der Welttourismusorganisation der Vereinten Nationen (UNWTO) und The Travel Foundation unterstützten Verfahrens zur Verfügung gestellt.

Zum neuen eCornell Kurs: https://ecornell.cornell.edu/courses/hospitality-and-foodservice-management/sustainable-tourism-destination-management/
Zur Bewerbung für Stipendien: https://www.thetravelfoundation.org.uk/destination_management_online_course/

Die eCornell-Keynote-Reihe
Einige  Schlüsselthemen werden in der neuen, kostenlosen eCornell-Keynote-Reihe Sustainable Tourism on a Changing Planet (Nachhaltiger Tourismus auf einem sich wandelnden Planeten) erörtert, die am 19. Dezember startet und Fachleuten und Studierenden die Möglichkeit bietet, all diese Ideen unter fachkundiger Anleitung zu vertiefen.

Hier geht´s zur Registrierung: https://ecornell.cornell.edu/keynotes/overview/K121922/