Interview

Tourismus um jeden Preis?

Kosten-Nutzen-Rechnungen im Reisesektor


Dr. Ya-Yen Sun ist Professorin an der Universität von Queensland und forscht aus wirtschaftswissenschaftlicher Sicht zu nachhaltigem Tourismus. Sie ist auch eine der führenden Expertinnen des Tourism Panel On Climate Change (TPCC). Im 2023 Stocktake Report des TPCC analysiert sie, wie Geschäftsmodelle im Tourismus optimiert werden können, um rentabel zu sein und gleichzeitig die negativen Auswirkungen auf die Umwelt und lokale Gemeinschaften zu minimieren. Lea Thin von TourismWatch hat mit ihr auch über die Chancen einer solchen Kosten-Nutzen-Rechnung gesprochen, um den Tourismus zu verändern:

Dr. Sun, im TPCC Stocktake Report 2023 bewerten Sie die Rentabilität von Tourismus unter Berücksichtigung ökologischer Kriterien. Zu welchem Ergebnis kommen Sie?

Der Tourismus ist einer der emissionsintensivsten Wirtschaftszweige, wie der TPCC-Report einmal mehr zeigt. Er verursacht im Vergleich zu anderen Branchen extrem hohe Umweltkosten für jeden erwirtschafteten Dollar. Ein wichtiger Maßstab für die Bewertung der wirtschaftlichen und ökologischen Leistung ist das Verhältnis zwischen Emissionen und Umsatz. Je niedriger das Verhältnis, desto besser. Dieses Verhältnis liegt bei etwa 1,0 kg Emissionen für jeden mit Tourismus verdienten US-Dollar. Im Gegensatz dazu sind die Verhältnisse im verarbeitenden Gewerbe (0,8 kg CO2e pro US-Dollar), im Baugewerbe (0,7 kg CO2e pro US-Dollar) oder auch im weltweiten Durchschnitt (0,75 kg CO2e pro US-Dollar) deutlich niedriger. (Anmerkung der Redaktion: Die Einheit CO2-Äquivalent (CO2e) wurde geschaffen, um die Auswirkungen verschiedener Klimaeffekte darzustellen und mit den Wirkungen von Kohlendioxid vergleichbar zu machen.)

In den meisten Teilen der Welt ist Umwelt- und Klimaschutz für Tourismusunternehmen immer noch freiwillig. Was ist notwendig, um Tourismusanbieter zu überzeugen, ökologischer zu wirtschaften? 

Wenn man die ökologische Leistung in die Gesamtkalkulation der touristischen Aktivitäten einbezieht, wird schnell klar, dass der konventionelle Tourismus in seiner heutigen Form auf Dauer nicht mehr rentabel ist. Dennoch ziehen es viele Gemeinden und Unternehmen vor, das schnelle Geld zu machen, anstatt die langfristigen Verluste in ihre Berechnungen einzubeziehen. Solange die Betreiber finanziell profitieren, während die Kosten der Umweltschäden auf die Allgemeinheit abgewälzt werden, wird sich daran auch nichts ändern. Unsere aktuelle Studie über große Tourismusunternehmen weltweit, darunter Hotels, Fluggesellschaften und Kreuzfahrtgesellschaften, hat gezeigt, dass diese Unternehmen bei der Reduzierung ihres Energieverbrauchs und ihrer Emissionen nur sehr langsam vorankommen. Und das, obwohl sämtliche Informationen in ihren Finanzberichten öffentlich bekannt gegeben werden und sie dem öffentlichen Druck ausgesetzt sind. All das deutet darauf hin, dass es bislang zu wenige Anreize gibt, diese Unternehmen zum Handeln zu motivieren. Es scheint, dass Vorschriften mit wirksamer Durchsetzung der einzige Mechanismus sein könnten, um Fortschritte in diesem Bereich zu beschleunigen.

Die Auswirkungen des Tourismus auf die Umwelt sind vielschichtig - von Verkehrsemissionen bis hin zur Küstenerosion oder dem Verlust der biologischen Vielfalt. Was müssen Tourismusunternehmen tun, um ihre Bilanzierung nach ökologischen Kriterien zu gestalten?

CO2-Emissionen sind ein guter Anhaltspunkt, um die gesamten Umweltauswirkungen eines Tourismusunternehmens messen zu können. Dabei werden zunächst die direkten Treibhausgase betrachtet. Wie der Name schon sagt, werden sie direkt von einem Unternehmen verursacht, etwa durch firmeneigene Fahrzeuge. Komplizierter wird es bei den indirekten Treibhausgasen, die etwa durch den Bezug von Strom, Heizung oder Kühlung, aber auch durch Beschaffung wie etwa Lebensmittel entstehen. Durch die Umstellung auf erneuerbare Energiequellen und eine sorgfältige Auswahl von Lieferanten können jedoch auch diese Emissionen reduziert werden.

Häufig werden die ökologischen Schäden durch Tourismus als Kollateralschaden für die vielen Arbeitsplätze, die er schafft, hingenommen. Wie gehen Sie mit diesem Argument um?

Ökologische Schäden zu vermeiden bedeutet nicht, den Tourismus abzuschaffen. Ganz im Gegenteil: Ich glaube, dass die Einführung von Nachhaltigkeit eine Wiedergeburt für Unternehmen bedeutet. Dies würde die Schaffung von mehr und neuen Arbeitsplätzen sogar unterstützen. Arbeitsplätze für Personen, die den CO2-Fußabdruck eines Unternehmens prüfen und überwachen und Jobs für diejenigen, die die energieeffizientesten Geräte herstellen und klimafreundliche Betriebsverfahren entwickeln. Neue Beschäftigungsmöglichkeiten entstehen auch für diejenigen, die mit neuen Angeboten, umweltfreundlicheres Verhalten bei den Kundinnen und Kunden fördern.

Portrait Dr. Ya-Yen Sun