Von Lea Thin, freie Autorin
Die „Ruta de Paz“ in El Salvador ist mehr als nur eine touristische Route – sie ist ein Symbol der Hoffnung und der Versöhnung. Das Projekt zeigt, wie Tourismus zum Wiederaufbau einer Nachkriegsgesellschaft beitragen kann, indem er historische Aufarbeitung und wirtschaftliche Entwicklung vereint.
Die Route, die durch die Berge und Dörfer der Region Morazán führt, erzählt die Geschichte des Bürgerkriegs in El Salvador, der von 1980 bis 1992 dauerte: Familien wurden auseinandergerissen, Gemeinden zerstört und das Vertrauen in den Staat erschüttert. Doch aus den Trümmern dieser dunklen Periode entstand die Ruta de Paz, die als Teil des Wiederaufbaus El Salvadors ins Leben gerufen wurde. Das Projekt zielt darauf ab, die Geschichte des Bürgerkriegs im Bewusstsein zu halten, um künftige Generationen zu sensibilisieren und die Lektionen des Konflikts zu vermitteln. An wichtigen historischen Orten des Bürgerkriegs, wie am "Museo de la Revolución" in Perquín oder an der Gedenkstätte El Mozote, die an Hunderte von Zivilist*innen erinnert, die dort ums Leben kamen, erfahren Besucher*innen der Ruta de Paz mehr über die Lebensbedingungen der Menschen und die Geschichte des Kriegs. Durch den Dialog zwischen ehemaligen Gegner*innen und durch gemeinschaftliche Aktivitäten fördert das Projekt die nationale Versöhnung und stärkt den sozialen Zusammenhalt. Bei kulturellen Veranstaltungen und Workshops entlang der Route können Tourist*innen zudem traditionelle Kunst, Musik und Handwerk kennenlernen. Diese Traditionen haben während des Krieges eine wichtige Rolle bei der Bewahrung der Identität der Gemeinschaften gespielt. Xenia Ortiz ist Dozentin und Forscherin zu Tourismus und Entwicklung. Sie ist selbst Salvadorianerin und hat sich intensiv mit dem Tourismus entlang der Ruta de Paz als Chance nach dem Bürgerkrieg beschäftigt. Sie weiß, wie wichtig eine Erinnerungskultur in Nachkriegszeiten ist: „Alle Salvadorianer*innen sollten wissen, wie tief die Gewalt in unserer Geschichte verankert ist. Es ist wichtig, die Ursachen dieser Gewalt zu kennen, um zu verhindern, dass sie sich als Reaktionsmuster normalisieren – insbesondere, wenn die Gewalt vom Staat ausgeht. Indem man die Geschichte durch den Tourismus wieder aufgreift, bietet sich die Gelegenheit, die Bedingungen des Friedensprozesses, die Protagonisten dieser historischen Phase und die offenen Wunden, die noch heute existieren, zu erkennen.“
Vom Soldaten zum Guide
Gleichzeitig dient die Route der wirtschaftlichen Entwicklung, indem sie Tourismus in eine der ärmsten und am stärksten vom Krieg betroffenen Regionen El Salvadors bringt und so neue wirtschaftliche Perspektiven für die lokale Bevölkerung schafft. „Damals herrschte dort große Armut, mangelnde öffentliche Infrastruktur und eine geringe Präsenz des Staates. Der Tourismus bot eine Möglichkeit, diese Ressourcen zu erschließen, auch wenn es anfangs schwierig war, da die touristische Infrastruktur unterentwickelt war und die Bevölkerung kaum Erfahrung im Dienstleistungsbereich hatte. Die Ruta de Paz entstand als Ergebnis dieser Bemühungen. Mit der Unterstützung internationaler Kooperationen konnten die touristischen Angebote verbessert werden,“ erklärt Xenia Ortiz. Das besondere am gemeindebasierten Tourismus an der Ruta de Paz ist, dass unter den Guides und Gastgeber*innen auch ehemalige Guerillerxs (Anm.: Um Menschen aller Geschlechter mit einzuschließen, werden beim Gendern auf Spanisch die Buchstaben „x“oder „@“ genutzt) sind. Nach Ende des bewaffneten Konflikts sahen manche von ihnen im Tourismus eine Einnahmequelle, die es ihnen gleichzeitig ermöglichte, Orte des Schmerzes und der Entmenschlichung in Räume der Heilung, des Lebenszeugnisses und der Resilienz zu verwandeln. Dies ermöglicht Besucher*innen, persönliche Geschichten aus dem Krieg zu hören und die Auswirkungen des Friedensprozesses direkt zu erleben.
Zwischen Entwicklungspotenzial und Herausforderungen
Heute hat sich der Tourismus in der Region weiterentwickelt. Während früher das Interesse an der Geschichte des bewaffneten Konflikts im Vordergrund stand, kommen heute auch Menschen, um andere touristische Angebote zu nutzen. Dazu gehören zum Beispiel organisierte Vogelbeobachtungen. Dies erfordert eine höhere Spezialisierung und Professionalität von Guides und Tourismusanbietern. Die lokale Bevölkerung ist auf verschiedenen Ebenen in touristische Aktivitäten eingebunden – von der Gründung von Unternehmen bis hin zu Produzent*innen von Kunsthandwerk. Doch eine brandaktuelle Sammlung sozioökonomischer Daten von UNDP aus El Salvador zeigt, dass in Morazán Norte, also entlang der Ruta de Paz, starke Ungleichheiten zwischen der Bevölkerung und Reisenden bestehen. Insgesamt 90 Prozent aller Beschäftigten arbeiten im prekären informellen Sektor - davon entfallen sicher viele Tätigkeiten auf den Tourismussektor. Beinahe die Hälfte aller Haushalte sind von mehrdimensionaler Armut betroffen, was auf ein Umfeld voller Einschränkungen für die Entwicklung von Tourismus schließen lässt. So scheint die Infrastruktur überhaupt nicht auf Reisende ausgelegt zu sein, fasst Ortiz zusammen: „Lediglich 14 Prozent aller Haushalte haben Zugang zum Internet, welches für den Tourismus von entscheidender Bedeutung ist. Einerseits benötigen Reisende selbst Internet vor Ort und andererseits auch die Tourismusanbieter, beispielsweise für Online-Buchungen, Online-Zahlungen oder schlichtweg Werbung. Zudem leben zwei Drittel aller Haushalte ohne öffentliche Müllabfuhr. Wenn die gastgebende Bevölkerung bereits ein Problem mit der Abfallentsorgung hat und der Ort als Reiseziel beworben wird, besteht die Gefahr, dass sich das Problem verschärft. Denn Tourismus verbraucht wesentlich mehr Ressourcen und verursacht dadurch auch eine größere Abfallmenge. So steigt die Gefahr von Umweltverschmutzung und Gesundheitsproblemen – Konflikte sind vorprogrammiert.“
Tourismus als friedensstiftendes Werkzeug?
Vor diesem Hintergrund sieht Xenia Ortiz den Tourismus in El Salvador auch kritisch: „Der Tourismus kann viele Vorteile für die Einheimischen haben. Wird touristische Entwicklung aber nicht besonnen reguliert, kann er Spannungen in der Bevölkerung hervorrufen. Man muss bedenken, dass Tourismus dieselben Ressourcen nutzt wie die lokale Gemeinschaft, und diese Ressourcen sind begrenzt. Wenn das Wachstum des Tourismus den Zugang zu diesen Ressourcen, wie etwa Wasser, für die Einheimischen verändert oder einschränkt, entstehen Konflikte. In der Region der Ruta de Paz ist es daher besonders wichtig, Maßnahmen zu planen und Ressourcen so zu verwalten, dass der Gemeinschaft keine Nachteile entstehen.“ Dennoch hat die Ruta de Paz gezeigt, wie Tourismus als Instrument zur Bewahrung des kollektiven Gedächtnisses in El Salvador dienen kann. Er hat dazu beigetragen, das Bewusstsein für die Schrecken des Bürgerkriegs zu schärfen und die Bedeutung des Friedens in El Salvador hervorzuheben. Darüber hinaus hat er wirtschaftliche Chancen für die betroffenen Gemeinden geschaffen, die oft von Armut und Marginalisierung betroffen sind. Indem er die Geschichte bewahrt und gleichzeitig Perspektiven für die Zukunft schafft, kann der Tourismus entlang der Ruta de Paz dazu beitragen, dass die Gesellschaft von El Salvador nicht nur die Schrecken des Krieges, sondern auch die Kraft der Versöhnung nie vergisst.