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Lateinamerika: Unternehmensgründerinnen im Tourismus

Mehr Selbstständigkeit


Starke Frauen - Starker Tourismus

In der Tourismusbranche arbeiten überwiegend Frauen. Doch nicht einmal auf jedem vierten Chefsessel sitzt eine Geschäftsführerin. Stattdessen verharren viele Frauen auf den untersten Stufen der Karriereleiter in schlecht bezahlten Jobs. Fortbildungsmöglichkeiten und Aufstiegschancen innerhalb touristischer Unternehmen gibt es meist eher im Bereich der Verwaltung, nicht aber für die Frauen, die mehrheitlich unter prekären Arbeitsbedingungen im Service, als Putzkraft oder in den großen Hotelwäschereien arbeiten. Die Gründung eines eigenen Unternehmens kann eine Strategie sein, selbst Chefin zu werden. Drei Gründerinnen berichten von den Höhen und Tiefen in ihrer Selbständigkeit.


Eine Frage des Engagements: Afrotourismus in Brasilien

Unternehmertum kann für Frauen die Eintrittskarte in ein selbstbestimmtes Leben sein. Die Unternehmerinnen Solange Barbosa und Kelly Tavares haben jedoch nicht nur gegründet, um sich wirtschaftlich unabhängig zu machen. Vielmehr setzen sich die beiden Afro-Brasilianerinnen für ihr kulturelles Erbe ein. „Mit meinem Reiseunternehmen Rio EnCantos bringe ich Reiseleiter:innen und Organisationen zusammen, um Reisenden von unserer afrobrasilianischen Kultur zu erzählen. Eine Geschichte, die bei Reiseveranstaltern in Brasilien immer noch unterrepräsentiert ist,“ so Kelly Tavares. Sie selbst ist Pädagogin und hat vorher an Schulen, Museen und in NGOs gearbeitet. Doch als die Jobs immer seltener wurden, beschloss sie, sich selbstständig zu machen. „Ich wollte weiterhin etwas Sinnstiftendes machen. Eine Arbeit, bei der Profit über dem sozialen Auftrag steht, entsprach nicht meinen beruflichen Vorstellungen. Deshalb habe ich mich für den Branchenwechsel entschieden und Betriebswirtschaft studiert. Heute fördere ich verantwortungsvollen Tourismus.“ Und das trotz großem Risiko, denn für Brasiliens Selbstständige gibt es nur wenige Sicherheiten: „Wenn ich arbeitsunfähig werde oder in den Ruhestand gehe, werde ich von meiner staatlichen Rente allein nicht leben können.“


Care Arbeit als limitierender Faktor

Auch Solange Barbosa ist eine klassische Quereinsteigerin in die Branche. „Der Weg war steinig. 1995 kam ich mit vier kleinen Kindern in die Region, trennte mich, arbeitete als Köchin in Bars und Restaurants oder als Reinigungskraft. Als ich 1999 durch meinen Job in der Gastronomie auch die Tourismusbranche kennenlernte, dachte ich sofort: Das will ich machen!‘“ Die Selbstständigkeit konnte die vierfache Mutter sich mit viel Unterstützung bei der Kinderbetreuung ermöglichen. „Meine Eltern waren immer für meine Sprösslinge da, während ich mich um mein Unternehmen kümmerte. Sie brachten sie zur Kita und holten sie auch wieder ab. Ich hingegen blieb zu Hause, wenn die Kinder krank waren, brachte sie zum Arzt und kam für alle anfallenden Ausgaben wie Essen, Kleidung und Ausbildung auf. Von meinem Ex-Mann habe ich keinerlei Unterstützung erhalten.“ In der Gastronomie ist Barbosa nicht geblieben. Stattdessen gründete sie ihr eigenes Reiseunternehmen. „Sol Barbosa - Turismo e Cultura“ vereint seit 2015 Reisebüro, Führungen, Kunsthandwerk und Kultur. Auf ihrer Roteiros da Rota da Liberdade, der Route der Freiheit, führt sie Reisende auf die Spuren der afrobrasilianischen Kultur. Für ihr gesellschaftliche Engagement im Afrotourismus erntet sie viel Respekt und Anerkennung, bereits zweimal wurde sie für ihre Arbeit ausgezeichnet. „Ich bin stolz auf das, was ich erreicht habe. Heute erwirtschafte ich mein eigenes Einkommen. Zwei meiner Kinder arbeiten bei mir in der Firma. Ich habe es geschafft, Schwarze Gemeinschaften zu stärken und bin eine angesehene Persönlichkeit im Afrotourismus in Brasilien.“


Mit Kunsthandwerk in die wirtschaftliche Unabhängigkeit 

Auch ohne Studium und Vorkenntnisse können sich Frauen erfolgreich im Tourismus selbstständig machen. Ein Beispiel hierfür ist Maria Elena. Die Kunsthandwerkerin stellt gemeinsam mit anderen Frauen Bilder und Karten aus Trockenblumen und Blättern her. Diese verkauft sie jeden Mittwoch auf einem kleinen Markt in ihrer Gemeinde Comasagua in El Salvador, vor allem an Tourist:innen. Unterstützt wird sie dabei vom Landwirtschaftsministerium. In der kleinen Gemeinde, in der sie lebt, gab es jahrzehntelang nur Arbeitsmöglichkeiten in der Landwirtschaft. „Ich selbst habe vorher in einer Fabrik und als Reinigungskraft gearbeitet. Aber die Arbeit war beschwerlich, denn ich musste über eine Stunde mit dem Bus zur Arbeit fahren. Das war eine große Belastung.“ Heute hat sie es besser. „Ich kann von zu Hause arbeiten und mich um meine Familie kümmern. Außerdem gefällt mir meine Arbeit viel besser.“


Frauen als Unternehmerinnen: Kein Selbstläufer 

Durch Corona haben alle drei Frauen mit ihrer Selbstständigkeit zu kämpfen. Seit die Tourist:innen ausbleiben, verkauft Maria Elena ihre Handwerkskunst kaum noch an Reisende. Doch sie hat eine Zwischenlösung gefunden: Über WhatsApp können Kund*innen weiter ihre Produkte kaufen. Etwa selbst gestaltete Weihnachts- oder Osterkarten, verziert in ihrem Stil mit getrockneten Blumen. Auch Kelly Tavares und Solange Barbosa mussten ihre Unternehmen während der Pandemie ruhen lassen.  Vom Staat bekamen beide Selbstständige in dieser schwierigen Zeit keine Unterstützung. Doch im Vergleich mit Tavares, die andere Jobs zur Überbrückung annehmen musste, hatte Barbosa es besser: „Im Jahr 2020 gewann ich einen Wettbewerb für nachhaltigen und innovativen Tourismus, der mit einem Preisgeld in Höhe von 100.000 R$ (entspricht etwa 18.000 EUR) dotiert war. Damit konnte ich die Quilombos weiter unterstützen und ein defektes Wasserrad in ihrer Gemeinde reparieren lassen. Zeitgleich konnte ich all meine Angestellten weiterbezahlen.“

Die Beispiele zeigen: Ein eigenes Unternehmen kann für Frauen mehr Selbstbestimmung und Empowerment bedeuten. Doch Gründen ist kein Selbstläufer. Gerade Frauen haben erschwert Zugang zu Krediten oder Konjunkturpaketen. Diese könnten bei externen Schocks wirtschaftliche Verluste abfedern und verhindern, dass Unternehmerinnen in die Armut zu rutschen. Wie wichtig das für die Resilienz von Unternehmerinnen ist, wird besonders in Zeiten der Pandemie deutlich. Doch auch andere Krisen haben immer wieder gezeigt, wie wichtig nachhaltige Geschäftsmodelle sind, die es ermöglichen, Rücklagen zu bilden oder bei einem Einbruch des Tourismus auch andere Zielgruppen zu adressieren.