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Kosten und Nutzen des Tourismus in der Klimakrise fair teilen

Initiativen aus Lateinamerika


Strand aus Vogelperspektive

Tourismus ist sowohl eine Ursache als auch Opfer des Klimawandels. Nachhaltiger Tourismus kann jedoch ein vielversprechender Weg sein, um mehr Klimagerechtigkeit für lokale Gemeinden zu erreichen, die vom Klimawandel stark betroffen sind. Eine Region hat in den letzten Jahren ihre Bemühungen hin zu mehr Nachhaltigkeit im Tourismus besonders verstärkt: Lateinamerika. Dieser Artikel beleuchtet die Initiativen von The Travel Foundation und Cuidadores de Destinos, die Klimagerechtigkeit durch Tourismus in Südamerika und der Karibik fördern.

Lokale Gemeinschaften ins Zentrum stellen

The Travel Foundation arbeitet mit verschiedenen Interessengruppen zusammen, um einen verantwortungsvollen Tourismus zu fördern, der sich den ökologischen Herausforderungen stellt und die soziale und wirtschaftliche Entwicklung in den lokalen Gemeinden unterstützt. Um das Potenzial des Tourismus bei der Förderung von Klimagerechtigkeit zu verstehen, erstellt die NGO derzeit gemeinsam mit seinen Partnern Cuidadores de Destinos, Tourism Cares, dem Center for Responsible Travel (CREST), Expedia und der University of Waterloo eine Studie, die im Frühjahr veröffentlicht werden soll. Diese zeigt, wie der Klimawandel die bestehenden Ungleichheiten in Reisezielen verschärft und zusätzlichen Druck auf die ohnehin schon strapazierten lokalen Ressourcen ausübt, die von Besucherinnen und Einwohnern gleichermaßen genutzt werden: Wasser, Energie und Ernährungssicherheit. "Wir haben mit Menschen aus allen Teilen der Welt gesprochen und festgestellt, dass die Bedürfnisse des Tourismussektors und der Besucher weiterhin oft auf Kosten der lokalen Bevölkerung und der Umwelt erfüllt werden. In manchen Fällen waren die gastgebenden Gemeinden durch die Entwicklung und das Wachstum des Tourismus sogar zusätzlichen Kosten und Risiken ausgesetzt", sagt Ben Lynam von The Travel Foundation.

Auch in Lateinamerika haben touristische Aktivitäten Auswirkungen auf die Menschenrechte und die Lebensgrundlagen. Vor allem in Ländern, die stark vom Tourismus abhängig sind, haben wirtschaftliche Interessen Vorrang vor den Bedürfnissen der Einheimischen und der Natur. Gerade diese sind aber gleichzeitig anfälliger für die Auswirkungen des Klimawandels: "Diese Volkswirtschaften werden mit steigenden Kosten aufgrund von Störungen, Anpassung und Dekarbonisierung konfrontiert sein. Wie wir in unserem Bericht Envisioning Tourism in 2030 & Beyond gezeigt haben, rasen Regionen wie Europa in puncto Infrastrukturausbau für die Dekarbonisierung an Lateinamerika vorbei. Wortwörtlich, denn dazu gehören beispielsweise der Schienenausbau und der vermehrte Einsatz von Hochgeschwindigkeitszügen. Orte wie die Karibik sind dagegen weiter abhängig von klimaschädlichem Ferntourismus." Eine Just Transition, die sich vor allem auf die Umverteilung von Ressourcen für Anpassung und mehr Resilienz konzentriert, kann die negativen Auswirkungen jedoch abmildern. Ein solcher Ansatz muss extraktive Praktiken zugunsten regenerativer Praktiken vermeiden. Nur so haben lokalen Gemeinschaften die Möglichkeit, auf klimatische Herausforderungen und andere soziale und ökologische Ungerechtigkeiten zu reagieren. Der Tourismussektor bietet dabei eine einzigartige Gelegenheit, Klimagerechtigkeit zu erreichen, sagt Lynam. "Dies bedeutet jedoch, dass wir die Gemeinden an erste Stelle setzen und ihre Führungsrolle unterstützen müssen", fügt er hinzu. Denn dann ermöglicht der Tourismus –  wie keine andere Branche – Investitionen, Partnerschaften und die Aufwertung von lokalem Wissen und Kulturgütern. Mit seinem sektorübergreifenden Charakter, kann der Tourismus durch gemeinsame Lieferketten und Infrastrukturen einen umfassenderen Wandel bewirken. "Es gibt sehr anschauliche Beispiele, die zeigen, wie gut gemachter Tourismus Gerechtigkeit und Fairness fördern kann. Beispielsweise der Ausbau von Ladestationen für E-Autos: Wird das Netz für Besucherinnen und Besucher ausgebaut, ermöglicht das automatisch einen schnelleren und kostengünstigeren Umstieg auf Elektrofahrzeuge für die ansässige Wirtschaft und die Einwohnerinnen und Einwohner.

Ein guter Ort zum Leben ist auch ein guter Ort zum Besuchen

 Das Beratungsunternehmen Cuidadores de Destinos möchte lateinamerikanische Destinationen dabei bestärken, mehr Klimagerechtigkeit aus eigener Kraft zu erreichen: "Wir schaffen die Voraussetzungen dafür, dass lokale Gemeinschaften die touristische Entwicklung in ihrer Heimat selbst steuern können. So schaffen Gemeinden eine lebenswerte Zukunft in ihren Regionen nach ihren Vorstellungen. Das kommt auch dem Tourismus zugute: Ein guter Ort zum Leben wird auch ein guter Ort zum Besuchen sein," so Marco Lucero, Mitgründer von Cuidadores de Destinos. Destinationsmanagementorganisationen (DMO) sind von entscheidender Bedeutung, um eine solche Praktik vor Ort zu etablieren und Ressourcen in Richtung eines klimagerechten Tourismus zu lenken. Die Vielfalt der DMOs in Lateinamerika stellt jedoch eine Herausforderung dar. Da es kein einheitliches Organisationsmodell gibt, wird die Bedeutung der DMOs sowohl vom öffentlichen als auch vom privaten Sektor bislang kaum anerkannt. "Es ist ein ganzheitlicher Ansatz erforderlich. Der Tourismus ist nur eines von vielen Instrumenten, um künftige Herausforderungen zu bewältigen und Klimagerechtigkeit zu erreichen. Der Sektor muss sein Angebot breiter fächern. Dazu gehört seine Abhängigkeit von Langstreckenflügen verringern und Flüge und Flughäfen, die Flugzeuge mit nachhaltigem Luftfahrttreibstoff (Sustainable Aviation Fuel (SAF)) versorgen, zu bevorzugen. Zudem muss der Sektor regionalen Tourismus fördern. Aber dafür brauchen wir ein einheitliches Modell von Destinationsmanagementorganisationen. Aktuell sind die DMOs noch von Region zu Region unterschiedlich organisiert, mit verschiedenen Budgets, Kompetenzen und Zuständigkeiten. Das führt dazu, dass sie von vielen touristischen Akteuren gar nicht wahrgenommen werden", betont Lucero. Mit kreativen und innovativen Methoden lädt die Organisation Gemeinden dazu ein, gemeinsam einen nachhaltigen Tourismus in ihrer Heimat zu schaffen. Wichtig ist dabei besonders die Einbindung vulnerabler Gruppen. "So haben wir beispielsweise Kinder in die Erstellung eines kommunalen Tourismusplans auf Rapa Nui (Osterinsel) einbezogen, einer Insel, die durch die Auswirkungen des Klimawandels besonders gefährdet ist.“ Darüber hinaus sind Transparenz, die Messung von Erfolgen und eine ehrliche Berichterstattung entscheidend - auch um Greenwashing zu verhindern, wie Marco Lucero betont: "Nachhaltigkeit ist für alle da. Wir müssen alle Unternehmen ermutigen, unabhängig von ihrer Ausgangssituation, den Weg der Nachhaltigkeit zu beschreiten. Wir dürfen dabei nicht erwarten, dass sie sofort klimaneutral sind. Das würde nur Greenwashing begünstigen. Stattdessen sollen Transparenz und Berichterstattung dazu beitragen, erfolgreiche Maßnahmen sichtbar zu machen und zu feiern – auch wenn sie noch so klein sind.“

Klimaschutz im Tourismus: Vom Nischenthema zum Status quo?

Tourismus hat einen erheblichen Einfluss auf Klimagerechtigkeit in Lateinamerika. Auch wenn er wirtschaftliche Vorteile bringen kann, ist ein nachhaltiges Management unerlässlich. Denn nur so können alle Auswirkungen des Tourismus berücksichtigt und dem Wohl der lokalen Bevölkerung Vorrang vor den Interessen der Reisewirtschaft gegeben werden. Gut organisierte DMOs mit klaren Nachhaltigkeitsstandards sind dabei der Schlüssel, um lokale Gemeinschaften in den Mittelpunkt touristischer Planung zu stellen und Angebote an ihre Bedürfnisse anzupassen. Darüber hinaus müssen verbindliche Vorschriften einen Rahmen setzen, um Klimaschutz in allen Bereichen des touristischen Angebots zu gewährleisten. Wichtig dabei ist vor allem auch die Förderung von Infrastrukturen, die sowohl für die Anpassung an die Folgen des Klimawandels als auch für den Klimaschutz selbst erforderlich sind. Verbindlicher Klimaschutz im Tourismus bleibt jedoch eine Nische, die durch fehlende globale Koordination verhindert wird. Gleichzeitig beginnen regulatorische Trends die Branche allmählich in Richtung Emissionsreduktionen zu drängen. Durch neue Vorschriften und ESG-Berichtspflichten, etwa in der EU und den USA, müssen immer mehr Unternehmen ihren CO2-Fußabdruck erfassen und reduzieren. Organisationen wie The Travel Foundation raten Tourismusanbietern, sich der Glasgow Declaration on Climate Action in Tourism anzuschließen, um den Klimaschutz in ihren Unternehmen schon voranzutreiben, bevor er gesetzlich vorgeschrieben wird.