Die Unabhängigkeit vieler afrikanischer und karibischer Staaten in den 1960er Jahren fällt nicht zufällig mit dem Beginn des massentouristischen Zeitalters im europäischen Ferntourismus zusammen. Während die ehemaligen Kolonialmächte ihr wirtschaftliches Interesse an den Regionen verloren, mussten dort schnell neue Einnahmequellen gefunden werden. Gleiche Sprache, das enorme wirtschaftliche Gefälle und die klimatischen Unterschiede machten die unabhängig gewordenen Staaten zu attraktiven Regionen für den Tourismus – erste Charterflüge wurden eingesetzt, Strandressorts eröffnet. Bis heute prägen die All-inklusive-Hotels das touristische Bild von Barbados bis Sri Lanka. Wenn Reisende ihre Hotels doch mal verlassen, besichtigen sie gotische Parlamentsgebäude, barocke Kirchen oder Hafenanlagen aus der Kolonialzeit. Vom Leid, das der koloniale Seehandel und die Sklaverei verursacht haben, erfahren die Reisenden meist nichts – auch aus Sorge, dass dieses Thema die zahlenden Gäste verletzen könnte.
Anstatt postkoloniale Unabhängigkeit durch gute Jobs zu bringen, hat der Tourismus oft neue neokoloniale Abhängigkeit geschaffen. Unser Artikel aus Gambia beschreibt, wie ein international dominierter Tourismus zuerst Überschuldung und dann neue Verletzlichkeiten geschaffen hat. Am Beispiel des globalen Surftourismus und des Tourismusmarketings im brasilianischen Bundesstaat Bahia wird deutlich, dass der Tourismus neokoloniale Machtstrukturen verfestigen kann, wenn er Kulturen kommerzialisiert und zu exotischen Klischees macht. Die Beispiele aus Berlin und anderen europäischen Metropolen zeigen, dass die barocken Tourismusmagneten von heute auch mit Geld aus dem Sklavenhandel erbaut wurden.
Wenn der Tourismus sein Versprechen erfüllen möchte, zu Bildung und gegenseitigem Verständnis beizutragen, ist die aktive Auseinandersetzung mit den kolonialen Ursprüngen des Reisens, die bis in die Gegenwart wirken, eine wichtige Voraussetzung. De-Colonize Tourism - die Entkolonisierung des Tourismus - ist eine wichtige Aufgabe für Tourismuspolitik und Reisewirtschaft. Tourismusmarketing, Reisebuch-Autorinnen, Blogger und Tourguides, aber auch Reiseveranstalter stehen in der Verantwortung, durch bessere Informationen einen Beitrag zu leisten, damit der Tourismus sein emanzipatorisches Potential für die Bevölkerung entfalten kann und nicht globale, koloniale Machtstrukturen verfestigt.