Claudia Brözel ist Professorin für Marketing und eCommerce im Tourismus an der Hochschule für nachhaltige Entwicklung Eberswalde. Sie hat 2019 den ersten weltweiten Wettbewerb zu Social Entrepreneurship im Tourismus ins Leben gerufen, die Social Entrepreneurship Competition in Tourism. Wir möchten von ihr wissen, welche Erfahrungen sie seitdem gemacht hat und vor allem welches Potential Sozialunternehmen für die nachhaltige Transformation der Tourismusbranche insgesamt haben.
Sie haben 2019 den ersten Wettbewerb für Sozialunternehmen im Tourismus ins Leben gerufen, die „Social Entrepreneurship Competition in Tourism.“ Was hat Sie dazu motiviert?
CB: Ich bin Ökonomin und war lange in der Tourismuskritik aktiv. Mir ging es immer darum, das System Tourismus zu verbessern. Ich habe an vielen Stellen das Gefühl, dass Entwicklungshilfe oft nicht greift und am Ende vor allem auf unser eigenes Konto einzahlt. Ich wollte hingegen etwas schaffen, was allen Stakeholdern die gleiche Chance einräumt. Es war schon immer mein Vorgehen nach Lösungsansätzen zu suchen, die aktivierend sind – also ein Angebot zu schaffen, um Dinge zu verändern.
Ich bin der festen Überzeugung, dass man über Wettbewerbe – wenn man eine große Plattform schafft, zu der alle Zugang haben und wo alle die gleichen Bedingungen haben – tatsächlich Innovation und Veränderung in die Branche bringt. Im Fall von Social Entrepreneurship kann man so auch Transformation in der Branche vorantreiben.
Was bedeutet Social Entrepreneurship bzw. Social Enterprise überhaupt? Welche Kriterien muss ein Sozialunternehmen erfüllen, um an Ihrem Wettbewerb teilzunehmen?
CB: Da gibt es zunächst eine ganz einfache Antwort: Impact steht vor Profit. In unserer traditionellen Ökonomie heißt das: „Okay, wie sehen deine KPIs (Key Performance Indicators) aus? Was steht ganz oben?“ Ich muss natürlich Gewinne erwirtschaften, um meinen Laden am Laufen zu halten. Die ökonomische Nachhaltigkeit gehört deshalb immer dazu, aber es ist eine Frage der Prioritäten.
Bei uns gibt es einen Launch- und einen Growth-Track. Im Launch-Track kann sich jede Initiative bewerben, auch wenn sie sich noch im Ideenstatus befindet. Um sich im Growth-Track zu bewerben, muss es sich um eine legal registrierte Organisation handeln. Außerdem muss jede Initiative drei SDGs (Sustainable Development Goals) auswählen, die sie unterstützt. Dann geht es in erster Linie um das Geschäftsmodell: „Wo siehst du deinen Impact in dem was du tust? Was ist die Problemstellung, die du bedienst, und wie machst du das?“
Sie sagen „Impact geht vor Profit.“ Gibt es da noch eine schärfere Abgrenzung? Was ist mit Großunternehmen, die konventionell ihr Business betreiben, aber viel Geld in Sozialprojekte investieren und sich Impact auf die Kappe schreiben. Sind das auch Sozialunternehmen?
CB: Das gibt es richtigerweise immer mehr. Es gibt Philanthropen und es gibt Unternehmen, die ein anderes Business-Modell haben, aber einen Teil ihres Umsatzes in soziale Projekte investieren. Aus meiner Sicht ist das eine Übergangsphase, dass sich verschiedene große Unternehmen jetzt auch mit sozialer Nachhaltigkeit befassen. Das finde ich super, das sollen auch alle machen. Bei der Competition aber muss der Impact ein inhärenter Teil des Geschäftsmodels sein.
Was bedeutet Impact mit Blick auf den Sektor als Ganzes: Können Sozialunternehmen auch „über ihre Blase hinaus“ einen Einfluss auf die Gestaltung des Tourismus durch „konventionelle Akteure“ haben?
CB: Es gibt große Stiftungen, wie z.B. die UnTours Foundation oder Planeterra, die genau das tun, sprich sie haben ein anderes Mutterunternehmen mit einem anderen Geschäftsmodel und dann noch zusätzlich eine Stiftung, mit der sie beispielsweise soziale oder ökologische Initiativen fördern und aufbauen. Auch die TUI Care Foundation, die uns ja jetzt zwei Jahre lang unterstützt hat: Das sind große Veranstalter, die bemerkt haben, dass ihre Glaubwürdigkeit und ihr Geschäftsmodell – vor allem auch mit Hinblick auf die jüngeren Generationen – viel besser funktionieren, wenn sie sagen „wir retten hier Schildkröten“ oder „wir machen hier ein Bildungsprojekt für Frauen.“ Ich glaube der erste Schritt zur Transformation ist diese Aufmerksamkeit auf die Probleme und dann der Handlungsansatz eines Projektes.
Der nächste Schritt wäre dann – und da sind wir eben an vielen Stellen noch nicht – dass z.B. TUI heute sagen könnte, „Okay, wir machen eine Gemeinwohlbilanz und arbeiten ab morgen nach diesem Modell.“ Sie können sagen: „Wir bewegen uns in eine solche Richtung.“ Das machen in der Hotellerie im DACH-Raum auch bereits eine bemerkenswerte Zahl. Der Hotelbetrieb bietet sich für eine Gemeinwohlzertifizierung an. In der Hotellerie stehen die Menschen im Mittelpunkt. Da ist eine ganz klare soziale Komponente drin und da passiert dementsprechend auch schon viel. Aber es gibt in Deutschland noch keine Rechtsform für Sozialunternehmen. In der Hinsicht sind wir also noch nicht weit genug.
Besteht auch das Risiko, dass aus sozialunternehmerischem Engagement „Greenwashing“ bzw. „Socialwashing“ wird?
CB: Das Risiko liegt immer auf der Seite des Geldes. Es ist immer die Frage wer wohin und mit welchem Ziel Geld gibt. Es gibt Stiftungen, die Fonds gründen, um in Social Startups zu investieren. Das kann sehr hilfreich sein für die Gründerinnen und Gründer, es ist aber auch meist so, dass diese dann Geschäftsanteile besitzen, bzw. mitbestimmen können.
Das ist ein spannender Ansatz, der zu mehr Sozialunternehmen führen kann. Aber das kann natürlich genauso bedeuten, dass sich jemand mit einer Investition ein Mäntelchen umhängt. Ich denke, wenn jemand Geld gibt – nicht als reines Risikokapitel – dann bedeutet das auch, dass er an die Idee glaubt. Ich würde da also nicht pauschal Socialwashing unterstellen wollen.
Wie können Sozialunternehmen im Tourismus dazu beitragen, vulnerable Gruppen gesellschaftlich zu integrieren?
CB: Da denke ich direkt an unseren diesjährigen Gewinner im Growth-Track: Wheel the World. Alvaro Silberstein sitzt selbst im Rollstuhl, aber er wollte immer reisen und Bergsteigen oder Outdoorsport machen. Mit Wheel the World wollte er mobilitätseingeschränkten Menschen ermöglichen, ganz normal an solchen Erfahrungen teilzunehmen. Zusammen mit seinem Team hat er ein Angebot aufgebaut, sich bei uns beworben und den 1. Platz gewonnen und arbeitet jetzt schon mit großen Buchungsportalen zusammen. Man kann festhalten, dass die Competition Innovationen auf den Markt bringt, die wirklich benötigt werden.
Insgesamt muss man sagen, – wie auch immer vulnerable Gruppen definiert werden – dass die Competition durch das niedrigschwellige Angebot offen ist für alle. Wir ziehen sehr viele weibliche Gründerinnen an, 60% unserer Bewerber*innen sind Frauen. Wir haben z.B. in diesem Jahr auf Platz 2 eine Initiative von einer Italienerin, The Valuable Network, die Menschen mit Down-Syndrom in die Spitzen-Hotellerie bringt. Und das bringt mehr und eine andere Aufmerksamkeit für das Thema Down-Syndrom. Dadurch wird signalisiert, dass Menschen mit Down-Syndrom nicht weggeschlossen werden müssen, sondern das Leben bereichern können.
Die Social Entrepreneurship Competition in Tourism befindet sich noch in der Aufbauphase. Das Team freut sich über jede Art von Unterstützung insbesondere über Förderer, die es ermöglichen, diesen Wettbewerb weiterhin anzubieten. Mehr Infos dazu hier. Folgen Sie uns außerdem auf Social Media: Instagram – Facebook – LinkedIn