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Mangelnder Klimaschutz im Tourismus als Gerechtigkeitsproblem


Während in einem großen Teil der Welt der touristische Aufschwung nach der Corona-Pandemie gefeiert wird, hat das Rekordjahr 2023 gezeigt, dass Klimaschutz und Anpassung im Tourismus dringender sind als je zuvor.

Als die Welt auf der 28. Weltklimakonferenz im November 2023 die Fortschritte in Hinblick auf die Ziele des Pariser Klimaabkommens reflektierte, war es wichtig, auch die Bemühungen um Klimaschutz und Anpassung im Tourismus zu beleuchten (z. B. durch Verpflichtungen wie die Glasgow Declaration on Climate Action in Tourism). Es ging darum, Bilanz zu ziehen, wo der Sektor steht – in Bezug auf seine Treibhausgas-Emissionen, die Anpassung an den Klimawandel und die Umlenkung finanzieller Mittel in Richtung klimaresiliente Entwicklung.

Am 11. Dezember 2023 veröffentlichte eine Gruppe von über 60 Expertinnen und Experten das erste „Tourism and Climate Change Stocktake 2023”. Darin werden 24 zentrale Ergebnisse präsentiert und 40 Messgrößen eingeführt, mit denen sich die Fortschritte bis zur nächsten „Stocktake“ 2028 verfolgen lassen, wenn die Vereinten Nationen erneut Bilanz ziehen.

Kaum CO2-Bilanzen im Tourismus

Der Tourismus trägt acht bis elf Prozent zu den weltweit vom Menschen verursachten Emissionen bei. Leider erfassen nur sehr wenige Destinationen die Klimabilanz des Tourismussektors. Daher bleibt die Überwachung globaler Fortschritte schwierig. Daten aus der Vergangenheit liefern jedoch hinreichende Belege dafür, dass das anhaltende Wachstum des Tourismus, die zunehmenden Reisedistanzen und ein wachsender Anteil des internationalen Flugverkehrs zu mehr Emissionen führen – und das, obwohl sich Teile der Branche verpflichtet haben, ihre Emissionen bis 2030 zu halbieren.

Oft wird argumentiert, dass der Tourismus in weniger entwickelten Ländern zur Entwicklung beitrage. Es heißt, dass politische Handlungskonzepte, die zu weniger Wachstum führen, die Fähigkeiten dieser Länder untergraben, ihre Ziele für nachhaltige Entwicklung umzusetzen. Die Bestandsaufnahme zeigt jedoch, dass der größte Teil des globalen Fußabdrucks des Tourismus durch die reichen Nationen verursacht wird. Betrachtet man die Summe aller Verkehrsemissionen, die den größten Anteil an den touristischen Emissionen haben, machten 2019 Reisen in Entwicklungsländer und innerhalb von Entwicklungsländern nur 5,4 Prozent aller Emissionen aus. Es ist klar, dass sich die Tourismusemissionen effektiv verringern lassen, ohne den Entwicklungsländer-Tourismus einzuschränken.

Eine Frage der Klimagerechtigkeit

Globale Klimaschutzkonzepte für den Tourismus müssen Fragen der Klimagerechtigkeit in den Blick nehmen, insbesondere im Zusammenhang mit dem Flugverkehr. Für Länder, die tatsächlich vom Flugverkehr abhängig sind, muss sichergestellt werden, dass sie erreichbar bleiben. Andere Länder, die auch auf dem Landweg erreichbar sind, müssen hingegen ihre Mobilitätskonzepte systematisch verändern und den Flugverkehr reduzieren. Denn alternative Flugtreibstoffe sind nicht in ausreichender Menge vorhanden und die Nutzung knapper Ressourcen für alternative Flugtreibstoffe wirft Fragen von Landnutzung, Nachhaltigkeit und Ernährungssicherheit auf.

Das Wachstum des Tourismussektors könnte zu Ende gehen, da das global verfügbare CO2-Budget sinkt und der Druck wächst, ausschließlich auf erneuerbare Energiequellen zu setzen. Der Flugverkehr auf der Langstrecke ist extrem energieintensiv und wird in Zukunft unter Umständen gesellschaftliche Anerkennung einbüßen. Denn der Klimawandel beschleunigt sich und die Länder müssen die begrenzte kohlenstoffarme Energie zuerst zur Deckung grundlegender Entwicklungsbedürfnisse einsetzen.

Die Bestandsaufnahme wirft ein Schlaglicht auf wichtige Synergien zwischen dem Klimaschutz im Tourismus und dem Schutz biologischer Vielfalt. Wo in Zukunft Naturschutz durch naturnahen Tourismus stattfinden soll, müssen auch die negativen Klimawirkungen von Reisen in diese Destinationen sorgfältig untersucht werden.

Klimagerechtigkeit erfordert ein ganzheitliches Verständnis der unterschiedlichen Vulnerabilitäten (sowohl des Menschen als auch anderer Spezies) und der Rolle, die der Tourismus bei der notwendigen „gerechten Transition“ (Just Transition) spielen kann. Die Bestandsaufnahme zeigt, dass es bislang kaum integrierte Bewertungen der vielen Klimagefahren und ihres Zusammenwirkens gibt. In keiner Destination gibt es ein umfassendes Verständnis der jeweiligen Vulnerabilität für den zunehmenden Klimawandel. Um wirksamere Anpassungsmaßnahmen zu konzipieren, muss man auch den Kontext in der Destination verstehen, darunter das Armutsniveau und nicht-nachhaltige Tourismusentwicklungen. In einigen Destinationen scheint der Tourismus, wie er heute stattfindet, unter zukünftigen Klimaszenarien nicht mehr praktikabel zu sein.

Nachhaltige Veränderungen sind nötig

Um den Tourismus nachhaltiger zu machen und seinen Beitrag zum Klimawandel zu verringern, wird es mehrere Veränderungen brauchen. Als erstes ist eine Erfassung der Treibhausgasemissionen auf allen Ebenen essenziell. Zweitens müssen die politischen Entscheidungsträger die Tourismuspolitik mit der Klimapolitik ihrer Länder in Einklang bringen. Sie müssen sicherstellen, dass der Tourismus in die unter dem Klimaabkommen national festgelegten Beiträge einbezogen wird. Ebenfalls ist es wichtig, tourismusspezifische Konzepte für einen raschen Wandel in der Branche zu entwickeln. Besonders für heiße städtische Destinationen ist es wichtig, Klimagefahren zu verstehen und Anpassungspläne zu entwickeln. Das gilt auch für Wintersport-Destinationen, wo sich die Saison verkürzt sowie für den Tourismus an den Küsten. Eine zweckgebundene Klimafinanzierung zur Unterstützung von Klimaschutz und Anpassung im Tourismus mit gleichzeitigem Zusatznutzen für die Bevölkerung vor Ort wird immer wichtiger werden.

Bei der Finanzierung von Maßnahmen zum Klimaschutz und zur Anpassung muss die Anfälligkeit des Tourismus für Klimaveränderungen berücksichtigt werden. Es muss geprüft werden, ob der Tourismus in Zukunft ein geeigneter Entwicklungsmotor ist. Existierende Tourismusprojekte müssen auf Klimaverträglichkeit umgestellt werden – weg von großer Infrastruktur, die den Tourismus noch vulnerabler macht und eine Zunahme an Treibhausgasemissionen festschreibt. Die Bestandsaufnahme ergab, dass nur acht Prozent der Projekte, die zwischen 2000 und 2022 von Entwicklungsbanken, UN-Organisationen, der nationalen Entwicklungszusammenarbeit oder Nichtregierungsorganisationen finanziert wurden, geeignet sind, den Tourismus klimaresilienter zu machen.

Aus- und Fortbildungsbedarf

Wenn Veranstalter, Mitarbeitende, Gäste und alle, die im weitesten Sinne mit Tourismus zu tun haben, die Risiken des Klimawandels und die Möglichkeiten zur Dekarbonisierung und Anpassung im Tourismus nicht besser verstehen, wird es kaum Fortschritte geben. Bewusstseinsbildung und Kompetenzentwicklung sind daher zentrale Aufgaben.

Insgesamt ergab die Bestandsaufnahme, dass das Engagement und die Maßnahmen für den Klimaschutz und die Anpassung unzureichend sind. Damit sich der Tourismus seinen Platz in einer kohlenstoffarmen und klimaresilienten Welt sichern kann, müssen Klimaschutz und Anpassung in der Branche stärker und schneller vorangetrieben werden.

Dr. Susanne Becken ist Professorin für nachhaltigen Tourismus an der Griffith University, Australien, und forscht zu Zusammenhängen zwischen Tourismus und Umwelt, mit Schwerpunkt auf dem Klimawandel. Dr. Daniel Scott ist Professor für Geographie und Umweltmanagement an der University of Waterloo, Kanada. In seiner Forschung konzentriert er sich auf den Übergang zu einer emissionsarmen Wirtschaft und die Anpassung an die komplexen Auswirkungen des Klimawandels.