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SDG 4: Bildung

Lernen durch Reisen für eine nachhaltige Welt


Bildung ist eines der wirksamsten und bewährtesten Mittel, um nachhaltige Entwicklung zu fördern. Als Ziel für nachhaltige Entwicklung (SDG) gilt Bildung als synergetisch. Strategische Maßnahmen im Bildungsbereich können Fortschritte bei mehreren anderen Zielen voranbringen. Auf der anderen Seite bedeutet dies aber auch, dass Rückschläge sich auf viele andere Bereiche stark auswirken. Der Tourismus kann Bildung auf vielfältige Weise unterstützen, wenn er gut konzipiert und gemanagt wird. Wie das gehen kann, zeigt das Beispiel von Suyatri im südindischen Bundesstaat Karnataka.

Die Corona-Pandemie forderte in der Bildung einen hohen Tribut. Die Schülerinnen und Schüler mussten lange Zeit zu Hause verbringen und dadurch Rückschläge beim Lernen hinnehmen. Um den Unterricht aufrechtzuerhalten, mussten Lehrkräfte neue pädagogische Konzepte und Methoden entwickeln. Darauf waren viele nicht vorbereitet. Die durch COVID-19 verursachten Lernausfälle beeinträchtigen eine ganze junge Generation. Zwar haben die neu eingeführten digitalen Lehrmethoden im Bildungssektor eine Revolution ausgelöst, gleichzeitig aber auch eine digitale Kluft geschaffen und vielen den Zugang zu Bildung verwehrt.

Nach dem "Global Sustainable Development Report 2023" waren die Auswirkungen in einkommensschwachen Ländern und für einkommensschwache Haushalte sowie für Frauen und Mädchen, Menschen mit Behinderung, Migranten und Flüchtlinge am größten. Schon vor der Corona-Pandemie war die Welt nicht auf Kurs, bis 2030 auf allen Ebenen eine hochwertige Bildung zu erreichen. Dem Bericht zufolge ist es jedoch ein Erfolg für Mädchen, dass die Welt der Geschlechterparität in der Bildung nähergekommen ist: Auf allen drei Bildungsebenen liegt der Unterschied zwischen Mädchen und Jungen schätzungsweise bei weniger als einem Prozent. Insgesamt macht nicht das Geschlecht sondern Einkommen und Wohnort den größten Unterschied beim Zugang zu Bildung aus.

Der Tourismus kann auf vielen Ebenen zum Bildungs-SDG 4 beitragen und so „inklusive, gleichberechtigte und hochwertige Bildung gewährleisten und Möglichkeiten lebenslangen Lernens für alle fördern". Die Vermittlung von traditionellem Wissen durch den Tourismus kann helfen, die Resilienz (Widerstandsfähigkeit – hier verstanden als Anpassung von Systemen an neue Kontexte) des Tourismus und von Gesellschaften im Allgemeinen zu erhöhen. Durch authentische Erfahrungen kann Tourismus helfen, ein solches Wissen zu vermitteln. Gleichzeitig kann der Tourismus dazu beitragen, das Bewusstsein für dieses traditionelle Wissen zu stärken.

Bildungsausflüge für eine nachhaltige Welt

Suyatri, ein im indischen Bengaluru ansässiges Start-up-Sozialunternehmen im Tourismus, bietet Schülerinnen und Schülern eine Art zu lernen, die über den Unterricht im Klassenzimmer hinausgeht und ihren Erfahrungshorizont verändert. Es geht darum, neue Orte zu erkunden, Menschen zu treffen und durch direkte Erfahrung Wissen und Fähigkeiten zu erwerben. Die Programme von Suyatri machen aus Schulausflügen sinnvolle Lernerfahrungen für die Schülerinnen und Schüler, indem sie den Schulunterricht mit realen Situationen verbinden. Im Normalfall beschränken sich die herkömmlichen Schulausflüge auf Wasservergnügungsparks und konventionelle Urlaubsorte. Suyatri hat dagegen Programme für Schulen zu Themen wie den Zielen für nachhaltige Entwicklung, Resilienz, Klimawandel, Design und traditioneller Architektur entwickelt.

Mit Besuchen der Stadtkinder auf dem Land bekommen Dorfbewohnerinnen und -bewohner die Möglichkeit, ein zusätzliches Einkommen zu erzielen. Sie bieten verschiedene Dienstleistungen an, wie z. B. Unterkünfte, Führungen, Verpflegung und die Vermittlung von Lerninhalten. „Wir wussten nicht, dass unser Schulausflug den Menschen im Dorf helfen könnte, dringend benötigtes Geld zu verdienen", sagte eine 12-jährige Schülerin einer Schule in Bengaluru. Sie habe jetzt auch verstanden, dass viele der kulturellen Aktivitäten, die sie auf dem Land kennengelernt haben, zu verschwinden drohen. Mit ihrem Ausflug trage sie dazu bei, sie wiederzubeleben. Sie sagt, die Aktivitäten in den Dörfern hätten ihr sehr viel Spaß gemacht: Sie habe Felder gepflügt, sich in der Aussaat versucht, traditionelle Spiele gespielt und den Geschichten der Dorfältesten gelauscht. Sie habe erfahren, woher ihre Lebensmittel kommen, wie viel Arbeit mit der Erzeugung verbunden ist und welche Herausforderungen die Auswirkungen des Klimawandels mit sich bringen.

„Diese Art von Interaktion hilft den Kindern definitiv, sensibler gegenüber der Natur und mitfühlender gegenüber Menschen zu werden", sagt die Mutter eines 11-jährigen Mädchens. Die Dorfbewohnerinnen und -bewohner geben ihr traditionelles Wissen an die Kinder weiter. So zum Beispiel jahrhundertealte Methoden zum Schutz von Wasserressourcen oder ihr Wissen über Pflanzen und Saatgut. Dies sind hervorragende Lernerfahrungen, die die Kinder in der Schule nicht machen können.

Die Dorfältesten helfen ihnen, nachhaltige Praktiken in den Dörfern zu verstehen, z. B. in Bezug auf die Landwirtschaft, die Lebensmittelverarbeitung und die traditionelle Herstellung von Spielzeug. Nach den Besuchen vor Ort werden weitere vertiefende Programme angeboten, je nach Interesse der Kinder an diesen Themen. Es gibt Möglichkeiten für Follow-Up-Projekte, Freiwilligenarbeit und Praktika. Die Exkursionen stellen eine sinnvolle Verbindung zwischen Stadt und Land her.

"Wir freuen uns, wenn Kinder aus der Stadt in unser Dorf kommen, Freude an unserer Kultur haben und unsere Lebensweise kennenlernen. Wir haben das Gefühl, dass wir uns selbst vorbereiten und mehr über unsere Traditionen lernen müssen, da viele davon nicht mehr gebräuchlich sind. Unsere alten Tänze und Lieder waren aus dem Dorf verschwunden, weil die jüngeren Generationen kein Interesse daran haben. Aber jetzt sind wir stolz darauf und versuchen, sie wiederzubeleben", sagt Siddappa Gowda, Bauer und Dorfvorsteher des Dorfes Girigowdana Doddi nicht weit von Bengaluru.

Den Kindern wird auch bewusst, wie wichtig es ist, nachhaltig zu reisen, um die natürlichen und kulturellen Ressourcen zu erhalten und die lokale Wirtschaft zu unterstützen. Suyatri führt im Vorfeld der Ausflüge Workshops zum Thema "rücksichtsvolles Reisen" für die Schulkinder durch. Diese partizipativen Workshops mit dem Titel "Entdecke dein inneres Tier und lass dich zu Reiseabenteuern inspirieren" helfen den Kindern zu verstehen, wie sie verantwortungsbewusst reisen können, wenn sie die Dörfer besuchen. Die Schülerinnen und Schüler versuchen, die Bewegungen von Tieren, z. B. den Vogelflug, als Beispiele für nachhaltiges Reisen zu verstehen: Tiere benötigen keine fossilen Brennstoffe und auch keine ressourcenintensiven touristischen Anlagen. Die Workshops sollen die jungen Reisenden zu sinnvollen Reiseerfahrungen inspirieren, die zum Nachdenken anregen und ihnen helfen, ein tieferes Verständnis für sich selbst und ihre natürliche Umwelt zu entwickeln. Suyatri hat eine „Reisekarte“ mit dem Titel "I AM – Inner Animal Movement" entwickelt, die ihnen hilft, Nachhaltigkeit in ihrem eigenen Leben zu kultivieren und ihre Handlungen, Verhaltensweisen und ihr Bewusstsein für Umweltverantwortung und ein harmonisches Leben auf Reisen zu verfolgen. Sie definieren ihre persönlichen Nachhaltigkeitsziele und identifizieren nachhaltige Aktionen und Möglichkeiten für kreative Initiativen und zur Zusammenarbeit.

Auf diese Weise verbindet das Suyatri-Programm für die in der Stadt aufwachsende junge Generation in Indien Bildungsangebote zum Thema Reisen und dessen Potenzialen und Auswirkungen (positiv wie negativ) mit SDG-bezogenem Lernen für eine nachhaltigere Welt.

Sumesh Mangalassery ist Aktivist und Sozialunternehmer im Bereich nachhaltiger gemeindebasierter Tourismus. Er ist Gründer von Kabani Community Tourism & Services und von Suyatri Community Tourismin Indien.