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SDG 12: Nachhaltig produzieren und konsumieren

Mehr Verantwortung nötig


Signposts point in different directions

Der Tourismus trug 2019 rund 10 % zum weltweiten Bruttoinlandsprodukt (BIP) bei und fungierte als wichtiger Wachstumsmotor. Trotz der pandemiebedingten Einbrüche wird erwartet, dass der Sektor 2023 sein Niveau von vor der Krise wieder nahezu erreicht. Damit steigt auch der Ressourcenverbrauch im Tourismus wieder, welcher durch die enge Verknüpfung mit Sektoren wie Verkehr, Infrastruktur und Gastronomie traditionell sehr hoch ist. Die aktuellen Entwicklungen im Tourismus nach der Pandemie scheinen daher in eine andere Richtung zu gehen als das, was für die Erreichung des Ziels für nachhaltige Entwicklung (SDG) 12 erforderlich ist.

Um nachhaltige Konsum- und Produktionsmuster im Tourismus zu ermöglichen, müssen wir aufhören, Erfolg rein wirtschaftlich zu messen. Wir brauchen nicht nur mehr Arbeitsplätze, sondern bessere: Arbeitnehmer:innen verdienen faire Löhne und gute Arbeitsbedingungen. Ebenso müssen wir partizipative Tourismusmodelle fördern und umwelt- und klimabewusste Reisen gewährleisten. Diese Veränderungen erfordern erhebliche Anstrengungen in den Destinationsländern, aber auch Herkunftsländer müssen zur Verantwortung gezogen werden. Schließlich bedingen sich Konsum- und Produktionsmuster gegenseitig.

Ziel 12.b im Speziellen strebt die Entwicklung und Implementierung von Instrumenten zum Monitoring einer nachhaltigen Tourismusentwicklung an. Da die Unternehmenspraktiken in den Herkunftsmärkten die Tourismusproduktion in den Zielländern beeinflussen, erfordert Ziel 12.b - wenn auch nicht ausdrücklich gesagt - Maßnahmen von den Herkunftsmärkten. Denn um Unternehmen auf einen Transformationspfad zum nachhaltigen Tourismus zu begleiten und die Entwicklung entsprechender Monitoring-Instrumente voranzutreiben, bedarf es starker Gesetze und öffentlicher Unterstützungsmaßnahmen in den Quellmärkten.

Lieferkettensorgfaltspflicht als wichtiges Instrument

Das Konzept der Lieferkettensorgfaltspflicht stellt in dieser Hinsicht eine besondere Chance dar, denn es verlangt von Unternehmen, die Auswirkungen ihrer Geschäftstätigkeiten auf die Menschenrechte zu monitoren und Maßnahmen zu ergreifen, um negative Menschenrechtsauswirkungen entlang ihrer Lieferketten zu verhindern, mindern oder wiedergutzumachen. Damit zwingt es Unternehmen, sich mit den Auswirkungen ihrer Geschäftstätigkeiten in den Destinationsländern auseinanderzusetzen und entsprechende Monitoring-Tools zu entwickeln.

Während das Lieferkettensorgfaltskonzept im Kern Menschenrechtsrisiken in Lieferketten adressiert, schließen einige neuere Rechtsvorschriften auch Umweltrisiken ein. Darunter auch das deutsche Lieferkettensorgfaltspflichtengesetzt (LkSG), das am 1. Januar 2023 in Kraft trat. Letzteres beschränkt die Anforderungen zur umweltbezogenen Sorgfaltspflicht jedoch auf Umweltrisiken, die sich direkt auf Menschenrechte auswirken sowie auf jene, die in verbindlichen internationalen Rechtsinstrumenten (Basel, Minamata, Stockholm) bereits adressiert werden. Klimabezogene Risiken allerdings werden gar nicht berücksichtigt. Eine weitere Schwachstelle zeigt sich dahingehend, dass das Gesetz erst bei einer Unternehmensgröße ab 3.000 Mitarbeitenden greift (ab 2024 sind es 1.000 Mitarbeitende) und damit für lediglich vier von insgesamt 3.000 deutschen Reiseveranstaltern gilt.

Die aktuell verhandelte EU-Richtlinie zur Sorgfaltspflicht von Unternehmen im Bereich der Nachhaltigkeit stellt einen ambitionierteren Rahmen. Sie soll für europäische Unternehmen mit mehr als 250 Mitarbeitern und einem Umsatzvolumen von mehr als 40 Millionen Euro gelten. Während das zwar weiterhin viele kleinere und mittelgroße Reiseveranstalter ausschließt, bleibt zu hoffen, dass das Gesetz branchenweite Veränderungsprozesse ankurbelt.

Auch die europäische Gesetzgebung weist Schwachstellen im Bereich der klimabezogenen Sorgfalt auf. Zwar enthält die EU-Richtlinie einen eigenen Artikel zu klimabezogenen Risiken (Artikel 15), doch sind Geschäftspartner und Lieferketten von diesem Artikel ausgenommen, und die in Artikel 15 auferlegten Verpflichtungen sind weitaus geringer als die in den Artikeln zu Menschenrechtsrisiken. Sie beschränken sich darauf, die Vereinbarkeit mit dem 1,5° C-Ziel des Pariser Klimaabkommens zu gewährleisten und, wenn der Klimawandel als wesentliches Risiko identifiziert wurde, Emissionsreduktionsziele festzulegen.

Science-Based Targets: Auf dem Weg zu effektiven Emissionssenkungen

Die Festlegung von Emissionsreduktionszielen ist das Hauptziel der Science Based Targets initiative (SBTi). Unter Berücksichtigung direkter und indirekter THG-Emissionen (Scopes 1-3) liefert die SBTi eine Methodik, um wissenschaftlich fundierte Emissionsreduktionsziele festzulegen. Das bedeutet, dass unternehmerische Emissionsreduktionsziele mit den in Paris vereinbarten Zielen (deutlich unter 2°C im Vergleich zum vorindustriellen Niveau, mit Anstrengungen, die 1.5°C-Grenze nicht zu überschreiten) vereinbar sein müssen.

In den letzten Jahren haben immer mehr Reiseveranstalter und Fluggesellschaften begonnen, ihre Emissionsreduktionspläne von der SBTi validieren zu lassen. Dies stellt eine wichtige Entwicklung dar, da die Branche lange Zeit von irreführenden Netto-Null-Programmen geplagt war, bei denen Emissionsausgleiche per Kompensation als wirksame Dekarbonisierungsmaßnahmen beworben wurden. Die SBT hingegen betonen, dass Emissionsausgleiche kein Ersatz für Emissionsreduzierungen sind. Stattdessen betrachtet die SBTi Emissionsausgleiche lediglich als Option für Unternehmen, die sich über Emissionsreduzierungen hinaus für Nachhaltigkeit engagieren möchten.

Auf diese Weise setzt die SBTi den Ton für unternehmerische Klimamaßnahmen und bringen einen branchenübergreifenden Standard voran. Die SBTi bewertet jedoch nicht die tatsächlichen Transformationsmaßnahmen auf Unternehmensebene, da sie nur Emissionsreduktionspläne validiert. Es sind weitere Monitoring- und Kontrollinstrumente erforderlich, um sicherzustellen, dass diese Pläne auch in konkrete Maßnahmen umgesetzt werden. Bisher scheint das Validierungsteam der SBTi zu klein zu sein, um dieser Verantwortung gerecht zu werden.

Die Rolle der Reisenden

Eine Studie von Booking.com ergab kürzlich, dass 76 Prozent der Reisenden in den kommenden 12 Monaten nachhaltiger reisen wollen. Die sogenannte Attitude-Behavior-Gap ist jedoch groß im Tourismus und die Frage bleibt, wie sie geschlossen werden kann. Laut der Studie wünschen sich etwa die Hälfte (49 %) der Reisenden wirtschaftliche Anreize, um nachhaltige Reiseoptionen zu buchen, während 43 % bereit sind, mehr für nachhaltige Reiseprodukte zu bezahlen.

Der Staat nimmt zweifelsohne eine wichtige Rolle bei der Förderung nachhaltiger Reiseoptionen ein. Aus dieser Perspektive ist es erforderlich, umweltschädliche staatliche Subventionen – wie die Befreiung der Fluggesellschaften von der Kerosinsteuer – abzuschaffen. Stattdessen sollten Regierungen bestrebt sein, die Verfügbarkeit und finanzielle Erschwinglichkeit von nachhaltigen Reiseoptionen wie Zug- und Busreisen zu erhöhen. Gleichzeitig müssen die Produktkosten die tatsächlichen Produktionskosten widerspiegeln. Mit anderen Worten: Die Preise für Reiseprodukte müssen so gestaltet sein, dass sie faire Löhne, gute Arbeitsbedingungen und vernünftige Umweltstandards ermöglichen. Auch wenn dies in einigen Fällen zu Preiserhöhungen führt, kann meistens auch viel für Nachhaltigkeit getan werden, ohne dass die Preise stark ansteigen.

Reisende haben schon heute die Möglichkeit, nachhaltigere Reiseoptionen zu erschwinglichen Preisen zu buchen. Vielen fehlt das Vertrauen, ob es sich bei beworbenen Produkten um Greenwashing oder echtes Nachhaltigkeitsengagement handelt. Auf der Suche nach nachhaltigen Reisemöglichkeiten sehen sich Reisende mit einer Vielzahl von Nachhaltigkeitslabels konfrontiert. Herauszufinden, welchen davon sie vertrauen können, stellt für viele Kunden und Kundinnen eine Herausforderung dar. Eine staatliche Überprüfung der Nachhaltigkeitslabel könnte hier Unterstützung bieten.

Auch Vermittlungsplattformen haben eine klare Verantwortung, ihre Kund:innen zu informieren und zu ermutigen, nachhaltig zu reisen. Dies gilt insbesondere im heutigen digitalen Zeitalter, in dem mehr und mehr Menschen ihre Reisen online buchen. Buchungsplattformen wie Booking.com oder Skyscanner haben eine enorme Marktmacht, die sie nutzen können und sollten, um Nachhaltigkeit zu fördern. Das gelingt beispielsweise, indem sie nachhaltigen Unterkünften in ihren Suchrankings Vorrang einräumen oder die Reisenden bereits vor Kaufabschluss über die Nachhaltigkeitsrisiken des ausgewählten Produkts informieren.

Fazit

Obwohl wir in den letzten Jahren einige wichtige gesetzliche und unternehmerische Entwicklungen gesehen haben, die uns etwas – wenn auch nur marginal – näher an nachhaltige Konsum- und Produktionsmuster im Tourismus heranführen, sind wir laut dem Nachhaltigkeitsbericht von 2023 immer noch weit von der Umsetzung von SDG 12 entfernt. Um den Tourismus zu transformieren, sind Maßnahmen auf allen Ebenen erforderlich: politisch-gesetzgeberisch (von der Gemeinde- bis zur Bundesebene), unternehmerisch und individuell. Die Tatsache, dass SDG 12 in Ziel 12.b explizit den Tourismus adressiert, zeigt, dass das SDG-Framework die Bedeutung des Sektors anerkennt. Ziel 12.b bleibt jedoch mangelhaft, indem es nur das Tourismusmonitoring anspricht. Obwohl letzteres wichtig ist, klärt Ziel 12.b nicht, wer für Verbesserungen verantwortlich ist. Um SDG 12 umzusetzen, bedarf es Bemühungen seitens von Staaten, Unternehmen und Konsument:innen, und die SDG-Unterziele sollten diese unterschiedlichen Ebenen der Verantwortung aufzeigen.