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Indien: Diskriminierung überwinden

Eine Tourismusinitiative von Siddi-Frauen in Karnataka


Von Shraddha Kukkuje, Programmleiterin für gemeindebasierte Tourismusprojekte 

Ihre Vorfahr:innen kamen einst aus Afrika. Heute sind die Siddis in Indien eine der besonders marginalisierten Bevölkerungsgruppen. Von ihnen selbst gesteuerter Tourismus kann dazu beitragen, ihre Situation zu verbessern, sowohl wirtschaftlich als auch in Hinblick auf ihre soziale Stellung.

Die Siddis in Indien sind eine ethnische Gruppe mit einem einzigartigen kulturellen Erbe. Es wird davon ausgegangen, dass sie von Bantus aus dem südöstlichen Afrika abstammen und einst von portugiesischen und arabischen Händlern als Sklav:innen, Seeleute und Soldat:innen nach Indien gebracht wurden. Heute leben die meisten von ihnen in den Küstenregionen des südindischen Bundesstaates Karnataka. Einige weitere Gemeinschaften gibt es in Goa, Gujarat und Maharashtra.

Angepasst, aber diskriminiert

Die Siddis haben sich sehr an die einheimische Kultur angepasst. Sie versuchen, eine Balance zu finden zwischen dem Erhalt ihrer ursprünglichen Kultur und der Einbindung von Elementen der vorherrschenden indischen Kultur, um „besser akzeptiert“ zu werden. Jedoch werden sie in der sozialen Hierarchie oft noch unterhalb der Dalits verortet und gehören damit zu den am stärksten marginalisierten Bevölkerungsgruppen Indiens. „In der Schule wurden wir immer wegen unserer gekräuselten Haare und unserer dunklen Hautfarbe schikaniert. Die Lehrkräfte ließen uns getrennt von den anderen Schülerinnen und Schülern sitzen", erzählt Manjunath Siddi.

Ein Tourismus-Projekt in Händen der Gemeinschaft

Heute arbeitet Manjunath als Guide für ein neues Tourismusprojekt, das von der Siddi-Gemeinschaft in Yellapur im Distrikt Uttara Kannada in Karnataka selbst entwickelt wurde. Für die Siddis geht es im Tourismus nicht nur um wirtschaftlichen Ertrag, sondern auch um die Möglichkeit, sich ihrer Identität zu vergewissern und nach Jahren von Unterdrückung und Diskriminierung ihre Stimme und ihre Würde wiederzufinden.

Das Damami-Projekt wurde in einem partizipativen Prozess von 13 Siddi-Frauen der Nisarga Sparsha-Selbsthilfegruppe geplant. Unterstützt wurden die Frauen dabei von Suyatri, einem Unternehmen mit Sitz in Bengaluru, das auf gemeindebasierten Tourismus spezialisiert ist. Da die Siddi inzwischen gemäß der indischen Verfassung als „Stammesgemeinschaft“ anerkannt sind, konnten sie finanzielle Unterstützung im Rahmen der National Rural Livelihood Mission in Anspruch nehmen, einem staatlichen Programm gegen ländliche Armut.

In Vorbereitungsworkshops setzten sich die Frauen mit den Chancen und Risiken des Tourismus auseinander. Sie griffen auf die Unterstützung von Suyatri zurück, um Touren zu entwickeln und die Gästeunterkünfte zu gestalten, mit Schwerpunkten auf Nachhaltigkeit und kultureller Sensibilität. Die Frauen wurden im Management von Unterkünften und Finanzen geschult und bauten ein Projektmanagement auf. Sie kartierten ihre kulturellen und natürlichen Ressourcen, die sie für den Tourismus nutzen wollen, und erstellten einen Landwirtschafts- und Festival-Kalender.

Während eines Besuchs in Wayanad im Nachbarstaat Kerala hatte das Siddi-Team Gelegenheit zum Austausch mit dortigen Homestay-Anbietern, Unternehmerinnen und Bauernfamilien und bekam praktische Einblicke in die Herausforderungen und Chancen durch gemeindebasierten Tourismus.

Nah an der Natur

Die Damami-Gästeunterkünfte entstanden in einem traditionellen Stil, aufbauend auf der Erfahrung der Siddis in traditioneller Lehmbautechnik. Sie wurden im März 2024 eröffnet und gehören der ganzen Gemeinschaft.

Die Tourismusangebote beziehen auch die Siddi-Dörfer der Umgebung mit ein. Auf geführten Trekking-Touren durch den Wald können die Besucher:innen erleben, wie die Siddis die Routen der Honigbienen ausmachen, um deren Nester zu finden. Die Siddis haben ein unglaubliches Wissen über in der Natur verfügbare Arzneien und können faszinierende Fakten über eine Vielzahl von Pflanzen und Tieren vermitteln. So zum Beispiel, welche Kräuter man kombiniert, um Schlangenbisse zu heilen. Die Gäste haben auch die Möglichkeit, beim Fischen und Fangen von Flusskrebsen dabei zu sein. Dies sind saisonale Aktivitäten, die auf nachhaltige Weise betrieben werden. Schließlich können die Gäste auch etwas über die alten Jagdrituale der Siddis lernen und ihren Volkssagen zuhören, in denen es um die Natur geht. Kulturelle Sensibilität hat Priorität und den Reisenden wird ein entsprechender Verhaltenskodex vermittelt.

„Es ist ein tolles Gefühl zu wissen, dass Menschen aus verschiedenen Kulturen hierher kommen und unsere Kultur erleben möchten, von uns zubereitete Mahlzeiten essen möchten und gerne unsere Geschichten hören“, sagt Sudha Ganesh Siddi, die im Damami-Team mitarbeitet. Die enge Verbundenheit der Siddis mit dem Wald hat großen Einfluss auf ihre Lebensweise und ihre Ernährung. Auf ihrem Speiseplan stehen saisonale Produkte aus der Natur, wie z.B. Knollen und wild wachsende Früchte, die sich in die indische Küche von Uttara Kannada einfügen.

Obwohl die Siddis viel von der ursprünglichen Kultur ihrer Vorfahr:innen verloren haben, haben sie sich doch einige afrikanische Traditionen in Form von Musik und Tanz erhalten. Ihre Tourismusinitiative ist nach der Damami benannt, einer Art Trommel, von der sie meinen, dass sie einst von ihren Vorfahr:innen aus Afrika mitgebracht wurde. Die Damami wurde zum Sinnbild einer Heimat, an die ihre Vorfahr:innen einst noch Erinnerungen hatten. Zu festlichen Anlässen drückt dieses Musikinstrument ihre Freuden, Sorgen und Ängste aus und hat sogar religiöse Bedeutung. Während abendlicher Programme können die Gäste an traditioneller Musik und Tanz teilhaben.

“Etwas eigenes für uns”

In der Vergangenheit haben die Siddis hauptsächlich als Tagelöhner:innen gearbeitet. Die meisten Dorfbewohner:innen besitzen kein eigenes Land. „Wir hoffen, dass wir und unsere Kinder nun nicht mehr auf dem Land anderer Leute arbeiten müssen“, sagt Sudha. „Wir wissen, dass viele Leute aus der Oberschicht unsere Fortschritte als bedrohlich ansehen könnten“, fügt Lalitha Manjunath Siddi hinzu. „Wir haben jetzt mehr Möglichkeiten, als nur Landarbeiterinnen zu sein.“

Der Tourismus gibt ihnen die Möglichkeit, ihre kulturelle Identität anzunehmen und für ihre eigene Entwicklung zu nutzen. „Wir tun endlich etwas für uns selbst, statt für andere zu arbeiten“, sagt Vathsala Siddi. Das Projekt verschafft ihnen Würde, gibt ihnen Raum für unternehmerische Aktivitäten und sie tragen Eigenverantwortung für ihre Arbeit. Die Frauen sind stolz auf das, was sie vorhaben, und wollen auch ihre Kinder motivieren, sich unternehmerisch zu betätigen. Längerfristig kann das Tourismusprojekt ihnen helfen, ihren marginalisierten Status zu überwinden. Bislang war es vor allem ihr Aussehen, das ihre Sichtbarkeit ausmachte. Sie wollen jedoch wegen ihrer einzigartigen Kultur sichtbar sein und aufgrund ihres Wissens um nachhaltige Praktiken, mit dem zur modernen Gesellschaft beitragen können.

Shraddha Kukkuje ist Programmleiterin für gemeindebasierte Tourismusprojekte bei Suyatri Community Tourism Pvt Ltd, einem 2022 in Bengaluru gegründeten Start-Up. Seit über zwei Jahren arbeitet Suyatri mit der Siddi-Gemeinschaft von Yellapura, in Zusammenarbeit mit dem Uttara Kannada Zilla Lokalverwaltung (Panchayat) und der Seetarama Sanjeevini Gram Panchayat Level Federation, Idagundi, einem Zusammenschluss von Selbsthilfegruppen auf der lokalen Verwaltungsebene.