Die palmengesäumten Kanäle, Lagunen und Seeufer wie aus dem Bilderbuch haben Alappuzha, das ‘Venedig des Ostens’, zu einer der besten Backwater-Destinationen in Kerala gemacht. Am frühen Morgen gleitet ein Hausboot durch einen der schmalen Kanäle, dessen Ufer von kleinen Häusern und Hütten gesäumt sind. Eine Frau hockt auf den Steinstufen am Kanalufer und wäscht ihr Kochgeschirr.
An einer anderen Stelle steht eine junge Frau bis zu den Knien im Wasser und wäscht Wäsche. Sie schlägt die Kleidungsstücke auf einen Stein knapp über dem Wasser. Ein paar Kinder tauchen ins Wasser und wieder auf. Und während das Boot flussabwärts weiterfährt, nimmt vielleicht gerade eine Gruppe attraktiver junger Mädchen ein kurzes Bad. Dies alles sind eher ungewöhnliche Anblicke für westliche Touristen, und schon zücken sie den Fotoapparat, um die Szenen in all ihrer Lebhaftigkeit einzufangen.
Janaki, eine Frau in den Dreißigern, die in ihrem kleinen Haus auf einem schmalen Streifen Land zwischen dem Kanal und den Reisfeldern lebt, sagt dazu: "Ich wasche meine Kochtöpfe, und plötzlich blitzt es mir direkt ins Gesicht. Ich schaue auf und sehe eine Kamera auf mich gerichtet, ein lächelndes Gesicht und eine winkende Hand. Mir aber gefällt das gar nicht." Sie erzählt weiter, dass ihr das gleiche passiere, wenn sie ihr Bad nimmt.
Janaki ist Tagelöhnerin in der Landwirtschaft und lebt seit zehn Jahren mit ihrem Mann und zwei Kindern in diesem Haus. "Als ich geheiratet habe und hierher zog, gab es nur wenige Boote auf dem Kanal, und das auch nur für ein oder zwei Monate im Jahr, wenn das Nehru Trophy-Schlangenbootrennen stattfindet. Damals gab es noch keine Hausboote. Nur spezielle Ausflugsboote mit ‘Sayips’*, die auf dem Dach saßen. Damals fand ich es nett, wenn sie mich fotografierten, und ich war ja auch neugierig, Weiße zu sehen, gibt Janaki zu. "Doch heute ist das nicht mehr so. Den ganzen Tag lang fahren hier Hausboote vorbei."
Sie hat Recht. Es gibt inzwischen mehr als 600 Hausboote in Alappuzha, auf denen ‘Sayips’* und ‘Madammas’** die Backwaters und schmalen Kanäle entlang fahren. Janakis Nachbarin Stella, ein junges Mädchen mit College-Ausbildung, bestätigt: "Das sind Eingriffe in unsere Privatsphäre. Wir haben nur sehr wenig Land. Der Kanal ist praktisch der Hof zu unserem Haus." Sie und die anderen am Kanalufer lebenden Frauen haben keine Alternative, als ihre täglichen Hausarbeiten im Scheinwerferlicht der Öffentlichkeit zu verrichten. Zwar sagt Stella nicht radikal nein zu den Touristen, erwartet aber, dass sie ihre Privatsphäre respektieren.
* ‘Sayip’: Malayalam-Abwandlung von ‘Sahib’, kolonialzeitliche aber z. T. auch heute noch in Kerala gebräuchliche Bezeichnung für weiße Ausländer
** ‘Madamma’: Malayalam-Abwandlung von ‘Madam’, kolonialzeitliche aber z. T. auch heute noch in Kerala gebräuchliche Bezeichnung für weiße Ausländerinnen
P.N. Venugopal arbeitet als freier Journalist in Kochi, Kerala/Indien. Sein Beitrag ist dem Reiseleitfaden "Fair unterwegs in Kerala/Indien" von "KABANI – the other direction" entnommen, der im November 2007 erscheint. Bezug: Arbeitskreis Tourismus & Entwicklung, Missionsstr. 21, CH-4003 Basel, Tel +41 / 61 / 261 47 42, Fax +41 / 61 / 261 47 21, info@akte.ch, www.fairunterwegs.org, www.akte.ch.
Redaktionelle Bearbeitung und Übersetzung aus dem Englischen: Christina Kamp
(2647 Zeichen, 36 Zeilen, September 2007)