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Aus der Nische in den Mainstream - Für eine Politisierung des gemeindebasierten Tourismus


von Sumesh Mangalasseri

Tourismus wird allgemein dafür propagiert, dass er Entwicklung voranbringt, kulturellen Austausch fördert, Arbeitsplätze schafft und die lokale Wirtschaft ankurbelt. Die strukturellen Realitäten weichen jedoch oft von diesem Narrativ ab. In vielen Zielgebieten hat die gastgebende Bevölkerung nur begrenzten Einfluss darauf, wie der Tourismus geplant oder gemanagt wird. Strategische Entscheidungen werden in weit entfernten Unternehmens- oder Regierungszentralen getroffen und ein überproportional großer Anteil der wirtschaftlichen Gewinne wird von externen Investor*innen und lokalen Eliten abgeschöpft. Im Ergebnis wird die einheimische Bevölkerung oft auf gering bezahlte Saisonarbeit zurückgeworfen, während zugleich die Lebenshaltungskosten steigen und ihre Kontrolle über Land, Ressourcen und kulturelle Praktiken nach und nach ausgehöhlt wird.

Dieses Ungleichgewicht hat das Konzept des gemeindebasierten Tourismus (Community Based Tourism – CBT) hervorgebracht, nach dem die Gemeinschaften vor Ort mehr sein sollen als nur „lächelnde Gastgeber*innen“. Sie werden zu Entscheidungsträger*innen, Macher*innen, Eigentümer*innen und Manager*innen.

Von “Alternativen” zu struktureller Veränderung

Über Jahrzehnte wurde der gemeindebasierte Tourismus oft als “sanfte Alternative” zum Massentourismus dargestellt, und es waren vor allem Nichtregierungsorganisationen, die sich dafür engagierten. Von Homestays in Dörfern über kulturelle Workshops bis hin zu Öko-Touren erschlossen diese Initiativen Einkommensquellen und halfen Traditionen zu erhalten. Doch viele Angebote blieben auf ihre komfortable Nischenexistenz beschränkt: klein, strukturell fragil, und zu oft abhängig von der Unterstützung von Gebern, als dass sie auf Dauer unabhängig sein konnten. Allzu oft hatte die Beteiligung der lokalen Bevölkerung nur Symbolcharakter. Die Menschen hatten wenig Kontrolle über die Preisgestaltung, das Marketing oder die langfristige Strategie. Außenstehende „schmissen den Laden“, während die Einheimischen darauf reduziert wurden, „Erlebnisse“ zu bieten. Die Projekte sahen in Broschüren beeindruckend aus, doch nur selten veränderten sie die tiefer liegenden Machtverhältnisse. Auch war die Rolle dieser kleinen Initiativen in politischen Handlungskonzepten beschränkt.

Heute jedoch entwickelt sich der gemeindebasierte Tourismus nach und nach mit größerer Klarheit und Zielrichtung. Im Zentrum steht die Sichtweise, dass Gemeinschaften nicht einfach nur als Dienstleister behandelt, sondern als politische Akteur*innen anerkannt werden sollten. Danach ist CBT nicht nur eine “alternative Nische”, sondern könnte ein Weg sein, neu zu gestalten, wie der Tourismus funktioniert.

Die SDGs nutzen

Der Tourismus zahlt auf das gesamte Spektrum der 17 Ziele für nachhaltige Entwicklung (SDGs) ein. Doch vor Ort wird Erfolg noch immer in Touristenankünften und Einnahmen gemessen, während tiefer gehende Fragen offenbleiben: Wer profitiert wirklich? Sind Frauen Entscheidungsträgerinnen oder schlecht bezahlte Arbeitskräfte? Werden Landschaften geschützt oder der Entwicklung geopfert?

Gemeindebasierter Tourismus verschiebt das Narrativ, indem er Erfolg neu definiert und über Besucherzahlen und Gewinne hinausgeht. Er misst Erfolg anhand von Gerechtigkeit, Fairness und Nachhaltigkeit. Er fragt, ob Gemeinschaften wirklich eine Stimme haben, ob die Jugend eine Zukunft für sich sieht und ob die biologische Vielfalt und die Lebensgrundlagen der Menschen mit- und nebeneinander gedeihen.

Gemeinschaften in den Mittelpunkt zu stellen, verwandelt den Tourismus in eine Plattform für strukturellen Wandel. In Zeiten der Klimakrise und sich vertiefender Ungleichheit ist ein „Weiter wie bisher“ nicht haltbar. Indem der gemeindebasierte Tourismus Entwicklung anhand von Würde, Gerechtigkeit und einer intakten Umwelt misst, kann er die Branche ins Zentrum von Nachhaltigkeitsdebatten rücken.

Der SDG-Rahmen bietet einen sehr viel umfassenderen Kriterienkatalog, um die Wirkungen des Tourismus zu bewerten, positiv wie negativ. Von entscheidender Bedeutung ist, dass diese Wirkungen lokal evaluiert werden, wobei die Indikatoren der Gemeinschaften im globalen Rahmen verwurzelt sind. Die SDGs als Benchmark für Rechenschaftspflicht zu positionieren, kann im Zentrum tourismuskritischer Advocacy-Arbeit stehen. Anders als von der Tourismuswirtschaft propagierte Messgrößen, die oft übermäßig wachstumsorientiert sind und ein verzerrtes Bild abgeben, können von der Gemeinschaft gesteuerte Evaluierungen ein realistischeres Bild der Auswirkungen des Tourismus vermitteln.

Die sich verändernde Landkarte des globalen Tourismus

Für einen großen Teil des 20. Jahrhunderts gingen die internationalen Fernreiseströme vor allem in eine Richtung: von Europa und Nordamerika in den Rest der Welt. Heute hat sich die geografische Verteilung dramatisch verschoben.

China illustriert das Ausmaß dieser Veränderungen. Im Jahr 2000 unternahmen die Chinesinnen und Chinesen etwa 29 Millionen Reisen ins Ausland. 2019 waren es fast 160 Millionen. Selbst nach dem Einbruch durch die Pandemie sind die Auslandsreisen wieder zurück auf einem hohen Niveau, mit über 60 Millionen Reisen allein in der ersten Jahreshälfte 2025.

Auch Indien gestaltet die Tourismuswirtschaft neu. Indiens Markt für nachhaltigen Tourismus wurde für 2023 auf 31 Millionen US-Dollar beziffert, soll aber bis 2034 auf 216 Millionen US-Dollar zunehmen, angetrieben von Milliarden Inlandsreisen pro Jahr. Diese Zahlen zeigen entscheidende Veränderungen: Der globale Tourismus ist nicht länger eine Einbahnstraße von Nord nach Süd. Er findet auch von Süd nach Nord sowie regional und innerhalb einzelner Länder statt.

Der Diversifizierung der Märkte muss nun auch die Advocacy-Arbeit folgen. Gemeinschaften können sich nicht nur auf Nichtregierungsorganisationen im Norden verlassen, um mit den Auswirkungen des Tourismus umzugehen. Es braucht auch regionale Solidarität und Süd-Süd-Netzwerke, um sicherzustellen, dass der Nutzen und ggf. die Probleme, die sich aus diesen geographischen Verschiebungen ergeben, nicht nur anhand von Besucherzahlen gemessen werden, sondern anhand von Gerechtigkeit, Gleichheit und Nachhaltigkeit.

Es braucht neue Formen von Advocacy

Viele Jahre lang wurde die Advocacy-Arbeit von Nichtregierungsorganisationen, zivilgesellschaftlichen Gruppen und kirchlichen Netzwerken getragen, die meistens vom globalen Norden oder aus Städten im Süden unterstützt wurden. Die Tourismuskritik hat Sextourismus, Kinderarbeit und Umweltzerstörung aufgedeckt und in einer Zeit, in der die meisten Reisenden aus dem Norden kamen, Stimmen aus dem Süden mehr Gehör verschafft. Ihre Arbeit hat reale Wirkung gezeigt, doch inzwischen scheinen ihre Modelle begrenzt.

Was wir nun brauchen, sind neue Formen lokaler Advocacy-Arbeit: regionale Netzwerke, in denen die Menschen an der Basis, kommunale Verwaltungen (die unterste politische Gestaltungsebene, die in vielen Fällen über gesetzgebende Befugnisse verfügt), Universitäten und Unternehmen mit hohen ethischen Standards zusammenarbeiten. Wir brauchen Solidarität statt Wohltätigkeit, wo Einheimische Gerechtigkeit selbst definieren, und wir brauchen interdisziplinäre Allianzen, die Tourismus mit Kultur, Umweltgerechtigkeit, den Rechten von Gemeinschaften, Klimaschutz und -anpassung sowie indigenen Bewegungen zusammenbringen. Das ist die nächste Generation tourismuskritischer Advocacy-Arbeit.

Nichtregierungsorganisationen können eine wichtige Rolle spielen, indem sie solche Netzwerke unterstützen und Plattformen schaffen, wo lokale Stimmen gemeinsam Gehör finden. Sie können verschiedene Akteur*innen zusammenbringen und die Beteiligung von Gemeinschaften an breiteren Debatten über Nachhaltigkeit fördern. Nichtregierungsorganisationen sollten sich auch weiterhin politisch engagieren und für Rahmenbedingungen einsetzen, die die Rechte von Gemeinschaften wahren, eine gerechte Aufteilung der Gewinne gewährleisten und den Schutz natürlicher und kultureller Ressourcen sicherstellen. Sie sollten Gemeinschaften Fähigkeiten, Erfahrungen und Kenntnisse in der Advocacy-Arbeit vermitteln, zu denen diese sonst möglicherweise keinen Zugang hätten.

Warum gemeindebasierter Tourismus politischer werden muss

Damit gemeindebasierter Tourismus über bloße Slogans hinausgeht, müssen Gemeinschaften vier grundlegende Rechte haben: das Recht zu entscheiden, welche Art von Tourismus akzeptabel ist; das Recht, Unternehmen zu besitzen, die für sie Sinn machen, oder daran beteiligt zu sein; das Recht, das Alltagsgeschäft und die Zielgebiete (einschließlich der Tragfähigkeit) zu managen und das Recht, die Auswirkungen auf die Kultur, die Lebensgrundlagen und Ökosysteme zu überwachen. Ohne diesen auf Rechten basierenden Ansatz läuft “verantwortlicher Tourismus” Gefahr, wenig mehr zu sein als eine Belastung für die Gastgeber*innen.

Gemeindebasierter Tourismus hat bereits ein bedeutendes Volumen. Doch wenn er einfach nur der Logik des Marktes folgt – umsatzorientiert und durch Konkurrenz über den Preis – dann läuft er Gefahr, seine Zweckbestimmung zu verlieren.

Ein politisierter gemeindebasierter Tourismus widersetzt sich dem, indem er Gerechtigkeit, Würde und ökologische Verantwortung über Wachstum stellt. Es ist ein Kampf darum, Macht zurückzuerobern, aus der Nische in den Mainstream zu kommen und den Tourismus von einem ausbeuterischen Sektor in eine positive Kraft zu verwandeln, die Würde schafft anstatt Verdrängung vorantreibt.

Die eigentliche Frage ist nicht mehr, wie Gemeinschaften dem Tourismus dienen können, sondern wie der Tourismus schließlich den Gemeinschaften dient. Dies ist ein Aufruf, sich eine Zukunft vorzustellen, in der Gemeinschaften sich organisieren, politische Entscheidungsträger*innen zuhören und Reisende als Mitgestaltende statt als Konsumierende auftreten – eine Zukunft, in der jede Reise ein Akt der Verantwortung und Fürsorge ist.

Sumesh Mangalasseri arbeitet seit 25 Jahren im Tourismus und in der tourismuskritischen Advocacy-Arbeit. Er ist Gründer und derzeit CEO von Suyatri Community Tourism, einem Sozialunternehmen mit Sitz in Südindien, das von marginalisierten Gemeinschaften organisierte Tourismusprogramme fördert.