Voluntourismus: Soziales Engagement „All Inclusive“?

Immer mehr Menschen möchten im Urlaub hinter die touristischen Kulissen blicken und dazu beitragen, die Lebensbedingungen der Menschen vor Ort zu verbessern. Jährlich buchen schätzungsweise etwa 15.000 bis 25.000 Deutsche sogenannte Voluntourismus-Angebote im Globalen Süden: erlebnisorientierte Freiwilligeneinsätze, die nur wenige Wochen dauern. Neben gemeinnützigen Lernprogrammen entdecken immer mehr kommerzielle Anbieter das lukrative Geschäftsfeld Reisen und „Helfen“.

Die Angebotspalette ist breit. Sie reicht von der Möglichkeit, vier Wochen an einer Schule in Ghana Englisch zu unterrichten – inklusive der Anreise, Projektvermittlung und touristischen Rahmenprogramm – bis zur Option, im Anschluss an eine Rundreise für eine Woche in einer Auffangstation für verletzte Wildtiere in Costa Rica mitzuarbeiten, oder einen Tagesausflug in ein vermeintliches Waisenhaus zu unternehmen. Doch wem helfen diese Angebote tatsächlich?


Volutourismus: Die Kundschaft ist König

Wenn Projekte in erster Linie die Wünsche der zahlenden Kunden – den VoluntouristInnen – ausgerichtet sind, drohen die Bedürfnisse und Interessen der Menschen vor Ort in den Hintergrund zu rücken. Die gemeinnützigen Organisationen, die die Freiwilligen vor Ort betreuen, werden zu touristischen Dienstleistern. Partnerschaften auf Augenhöhe und gemeinsames Lernen sind so nicht möglich.

Viele Anbieter vermarkten ihre Reisen mit armutsorientiertem Marketing und großen Kinderaugen. Der Werbe-Tenor stellt die Freiwilligen häufig als aktive Weltverbesserer oder "EntwicklungshelferInnen" dar, während er die Menschen vor Ort als dankbare, aber passive EmpfängerInnen von Hilfe stilisiert. So werden neo-koloniale Klischees eher verstärkt, als abgebaut.


Mangelnde Qualifikation und Vorbereitung der Freiwilligen

Kaum ein Anbieter überprüft, ob die VoluntouristInnen die notwendigen Qualifikationen mitbringen, um sich vor Ort sinnvoll einbringen zu können. Vorbereitungskurse werden oftmals nur gegen Bezahlung angeboten. Sie sind meist zu kurz und in den seltensten Fällen verpflichtend für einen späteren Einsatz. Es ist keine Seltenheit, dass Freiwillige ohne nachgewiesene Sprachkenntnisse, ohne pädagogische Ausbildung und ohne Vorbereitung, für mehrere Wochen den Englischunterricht an einer Grundschule übernehmen. Das birgt die große Gefahr, dass den Schulkindern von ständig wechselnden, überforderten Freiwilligen immer wieder dieselben Inhalte auf niedrigem Niveau beigebracht werden. Einige Angebote fördern auch die Konkurrenz um Arbeitsplätze vor Ort. Denn wenn Freiwillige ihre Dienste kostenfrei anbieten – oder gar noch dafür zahlen –, haben Arbeitssuchende vor Ort kaum eine Chance auf eine bezahlte Arbeit.


Unzureichender Kindesschutz

Einsätze mit Kindern sind besonders gefragt, jedoch auch besonders problematisch. Denn häufig mangelt es an effektiven Konzepten zum Schutz der Kinder und ihrer Rechte.  Freiwilligeneinsätze und Tagesbesuche in Waisenhäusern sind besonders beliebt. Skrupellose Menschenhändler nutzen nicht nur den Wunsch der VoluntouristInnen, zu helfen, aus. Sie überreden auch Familien, ihre Kinder in der Hoffnung auf ein besseres Leben ins Heim zu geben. In der Folge wachsen die Kinder getrennt von ihren Familien auf. Der permanente Wechsel von Bezugspersonen – den in der Regel nur wenige Wochen bleibenden VoluntouristInnen – führt zu Traumata und Bindungsstörungen bei den Kindern. Leider treten auch immer wieder Fälle sexueller Ausbeutung von Kindern durch Reisende auf – Pädokriminelle nutzen die Abhängigkeit der Kinder aus und bleiben unbemerkt, weil Anbieter viel zu selten Schutzmaßnahmen ergreifen. 

Publikation

Vom Freiwilligendienst zum Voluntourismus

Herausforderungen für die verantwortungsvolle Gestaltung eines wachsenden Reisetrends

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Was Sie tun können:

Reflexion der eigenen Erwartungen, Qualifikationen und Ressourcen

Freiwillige haben es in der Hand, ob und in welchem Maße ihr Auslandsaufenthalt nachhaltig wirkt. Zuerst profitieren die Reisenden selbst von ihrem Voluntorismus-Einsatz. Sie erleben den Alltag in einem fremden Land hautnah mit und machen eindrückliche Erfahrungen. Das kann den Blick für globale Zusammenhänge schärfen. Sie müssen sich jedoch klar machen, dass die kurzen Einsätze, die meist wenig fundierten Fachkenntnisse oder Arbeitserfahrung erfordern, nicht mit Entwicklungshilfe gleichzusetzen sind. Wer vor Ort einen Beitrag leisten will, benötigt oft spezifische Vorerfahrungen und eine Einsatzstelle, die die Bedarfe vor Ort gut kennt. Vor diesem Hintergrund müssen die Reisenden ihre eigenen Fähigkeiten und Erwartungen kritisch reflektieren. Als Leitsatz können sich Freiwillige daran orientieren, ob sie in Deutschland ausreichend qualifiziert wären, um die angestrebte Tätigkeit erfolgreich auch im Ausland zu bewältigen.

Ein weiterer wichtiger Faktor ist die verfügbare Zeit. Je länger Sie vor Ort sind, desto mehr Ein- und Überblick gewinnen Sie und desto besser können Sie sich einbringen. Wer mit wenig Berufserfahrung ins Ausland geht, sollte möglichst lange bleiben. Das ist beispielsweise mit dem vom Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit (BMZ) geförderten weltwärts-Programm möglich. weltwärts versteht sich nicht als Hilfs-, sondern als entwicklungspolitischer Lern- und Austauschdienst und erfüllt Qualitätsstandards. Dazu zählen etwa eine intensive, mehrwöchige Vor- und Nachbereitung des Einsatzes sowie eine Aufenthaltsdauer zwischen sechs und vierundzwanzig Monaten.

Alternativen zum Voluntourismus

Auch abseits der kurzzeitigen, kommerziellen Voluntourismus-Angebote und der langfristigen geregelten Freiwilligendienste, gibt es eine Vielzahl von sinnvollen Alternativen für Reisende.

  • Unternehmen Sie eine nachhaltige Reise mit einem von TourCert zertifizierten Reiseveranstalter. So stellen Sie sicher, dass ein guter Teil ihrer Ausgaben im Reiseland verbleibt und den Menschen wirtschaftliche Chancen bietet.
  • Besuchen Sie gemeindebasierte Tourismusinitiativen. Dabei können Sie intensive Erlebnisse und authentische Eindrücke von der Lebenssituation der Menschen vor Ort gewinnen.
  • Engagieren Sie sich zu Hause in Sozial­- und Umweltprojekten und leisten Sie wichtige Beiträge zur nachhaltigen Entwicklung direkt vor der Haustür.

Kritische Fragen stellen, um seriöse Angebote zu finden

Wenn Sie sich für einen Voluntourismus-Anbieter entscheiden, lassen Sie sich beraten und stellen Sie kritische Fragen.  

  • Werde ich gut vorbereitet und vor Ort begleitet?
  • Wie  lange  arbeitet  der  Veranstalter  bereits  mit  der  lokalen  Organisation  zusammen? Welche Aufgaben soll ich konkret übernehmen?
  • Wie  viel  vom  Reisepreis  bekommt  die  lokale Organisation und was ist die Gegenleistung?
  • Hat der Veranstalter eine umfassende Kindesschutzstrategie?

Bei Projekten mit Kindern ist besondere Vorsicht geboten: Diese sollten mindestens 6 Monate dauern und Einsätze in Waisenhäusern sollten grundsätzlich gemieden werden. Hier sollten Sie weitere konkrete Fragen stellen:

  • Findet eine besondere Sensibilisierung für die Rechte von Kindern statt? Werde ich unterstützt, wenn ich noch keine Erfahrungen bei der Arbeit mit Kindern habe?
  • Wie viele hauptamtliche Beschäftigte hat das Projekt, wie viele Freiwillige?
  • An wen kann ich mich wenden, wenn ich Missstände beobachte?
  • Gibt es eine Mindestaufenthaltsdauer?

Von Voluntourism-Anbietern fordert Tourism Watch konkret:

  • Soziale und ökologische Nachhaltigkeitsstandards berücksichtigen – wie bei anderen Reiseprodukten auch.
  • Kindesschutz sicherstellen durch eine Kindesschutz-Policy und ein Kindesschutz-Management-System.
  • Tragfähige und langfristige Partnerschaften mit lokalen Organisationen aufbauen, die  die lokalen Bedürfnisse in den Mittelpunkt stellen.
  • Armutsorientiertes Marketing vermeiden und die Einsätze nicht als Entwicklungshilfe darstellen.
  • Preistransparenz sicherstellen und aufzeigen, welchen Anteil des Reisepreises die aufnehmende Organisation erhält.
  • Auswahl der Freiwilligen verbessern. Auf Grundlage von Motivationsschreiben, Lebenslauf und erweitertem  Führungszeugnis gemeinsam mit den lokalen PartnerInnen geeignete Freiwillige auswählen.
  • Vor- und Nachbereitung der Freiwilligen verbessern: Realistische Erwartungshaltungen, entwicklungspolitisches Lernen und  Engagement nach der Rückkehr fördern.
  • Aufenthaltsdauer erhöhen und Kurzzeiteinsätze mit Kindern vermeiden: Je länger der Aufenthalt, desto mehr profitieren alle Seiten voneinander. Kurzzeit-Aufenthalte in Projekten mit Kindern sollten vermieden werden, Waisenhaus-Tourismus ebenfalls.



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