Von Lea Thin, freie Autorin
Seit dem Ende der Apartheid hat sich der Tourismus in Südafrika nicht nur zu einem bedeutenden Wirtschaftszweig entwickelt, sondern auch zu einem wichtigen Treiber für den gesellschaftlichen Versöhnungsprozess. Mit der Öffnung des Landes für internationale Besucher*innen ab 1994 erlebte Südafrika einen Tourismusboom, der maßgeblich zur wirtschaftlichen Erholung und Schaffung von Arbeitsplätzen beitrug. Gleichzeitig hat der Tourismus eine Rolle im Versöhnungsprozess des Landes übernommen, indem er Plattformen für den interkulturellen Austausch schafft und dazu beiträgt, das historische Erbe des Landes aufzuarbeiten. Doch nicht alle touristischen Aktivitäten zeigen einen verantwortungsvollen Umgang mit Südafrikas Vergangenheit.
Brückenbauer gegen Apartheid-Erbe und sozioökonomische Ungleichheiten
Dank der Wiederherstellung diplomatischer Beziehungen, internationaler Sportereignisse wie der Fußball WM 2010 und seiner einzigartigen Natur konnte Südafrika sein Image weltweit verbessern und hat sich schnell als Tourist*innenmagnet etabliert. Gleichzeitig helfen Tourist*innen dem Land dabei, sozioökonomische Ungleichheiten abzubauen, die während der Apartheid entstanden sind. Denn besonders der Bevölkerung aus wirtschaftlich benachteiligten Regionen bietet der Tourismus zahlreiche Beschäftigungsmöglichkeiten in Bereichen wie Hotellerie, Gastronomie, Transport und Freizeitindustrie. Reisende, die konkret dazu beitragen möchten, können lokale Unternehmen unterstützen und gezielt Unterkünfte, Restaurants und Geschäfte wählen, die von Einheimischen betrieben werden. Dies begünstigt die wirtschaftliche Stärkung der lokalen Gemeinden. Darüber tragen die Einnahmen durch Tourist*innen zur Modernisierung und Erweiterung der Infrastruktur bei, was auch der lokalen Bevölkerung zu Gute kommt.
Die Rolle von Sehenswürdigkeiten im Versöhnungsprozess
Initiativen im Kulturtourismus stärken den sozialen Zusammenhalt und fördern das Verständnis zwischen verschiedenen Gemeinschaften. Sehenswürdigkeiten wie Robben Island, das Apartheid-Museum in Johannesburg und das Nelson Mandela Museum sind beliebte Attraktionen, um mehr über die Geschichte und die sozialen Herausforderungen Südafrikas zu erfahren. „Der bekannteste Ort, der aufgrund des touristischen Interesses entstanden ist, ist Robben Island. Dort wurde die ehemalige Gefängniszelle von Nelson Mandela in ein Museum umgewandelt. Der Besuch bietet nicht nur Einblicke in die Geschichte Südafrikas, sondern regt auch zum Nachdenken an. Dennoch wird er, wie andere ähnliche Orte auch, in absehbarer Zeit vor der Herausforderung stehen, sich dem gesellschaftlichen Wandel anzupassen, unterschiedliche Standpunkte widerzuspiegeln und die südafrikanische Bevölkerung angemessen zu repräsentieren“ sagt Gema Martínez-Gayo, Sozialforscherin von AlbaSud. Alba Sud ist ein unabhängiges Forschungszentrum für Tourismus aus einer kritischen Perspektive, das sich seit langem mit der komplexen Beziehung zwischen Tourismus und Erinnerung nach Gewalt- oder Konfliktsituationen befasst.
Das Narrativ von Robben Island und ähnlichen Orten steht zudem vor der Kritik, sich zu einseitig auf Mandela und seine Partei, den ANC (African National Congress), zu konzentrieren. „Gedenkstätten wie diese vermitteln nur eine begrenzte Sicht auf den Kampf gegen die Apartheid. Außerdem besteht weiterhin eine Kluft zwischen dem idealisierten Bild der nationalen Versöhnung, die diese Orte darstellen, und den fortbestehenden sozialen und wirtschaftlichen Ungleichheiten im Land. Um nachhaltig zu wirken, müssen solche touristischen Orte sicherstellen, dass die lokale Bevölkerung sich repräsentiert fühlt und Überlebenden des Konflikts eine Plattform bieten, um ihre Geschichten zu erzählen,“ mahnt Martínez-Gayo. Für konfliktsensible Tourist*innen sei es deshalb wichtig, verschiedene Perspektiven der südafrikanischen Geschichte zu erforschen und zu verstehen, anstatt sich nur auf vereinfachte Darstellungen zu verlassen. So verringere sich auch das Risiko unangebrachter Äußerungen zu dem sensiblen Thema Apartheid oder aktuellen sozialen Herausforderungen.
Township-Tourismus: Kommerzialisierung der Armut oder Chance für Versöhnung?
Nicht nur das Verhalten von Tourist*innen sondern auch touristische Aktivitäten per se werden in Bezug auf Südafrikas Vergangenheit als problematisch oder gar unethisch kritisiert. „Ein solches umstrittenes Beispiel ist der Township-Tourismus,“ weiß Gema Martínez-Gayo. „Diese Touren führen durch ehemalige Ghettos, die während der Apartheid als rassistisch segregierte Siedlungen entstanden. Kritiker*innen argumentieren, dass dieser Tourismus oft die Armut kommerzialisiert, da die Einheimischen selten in die Organisation und Durchführung dieser Touren eingebunden sind und kaum davon profitieren. Es gibt die Sorge, dass Tourist*innen eher ein oberflächliches Verständnis der Lebensrealitäten der Menschen in den Townships gewinnen, ohne wirklich in die lokale Kultur oder Geschichte einzutauchen.“ Für einen konfliktsensiblen Township-Tourismus müsse in erster Linie die ansässige Bevölkerung gefragt werden, ob touristische Aktivitäten überhaupt erwünscht sind. Nur mit ihrer Zustimmung dürfen Touren unter aktiver Beteiligung der lokalen Bevölkerung geplant und durchgeführt werden. So wird sichergestellt, dass sie sowohl wirtschaftlich als auch sozial von den Aktivitäten profitieren. Denn gemeindebasierter Tourismus kann ein wichtiger Bestandteil des Versöhnungsprozesses sein. „Man darf jedoch nicht erwarten, dass der Tourismus allein zu Versöhnung führt. Vielmehr sollte er als Teil einer umfassenderen Strategie gesehen werden, die das Erzählen von Geschichten unter Einbeziehung lokaler Stimmen betont und auf soziale Gerechtigkeit abzielt,“ so Martínez-Gayo.