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Impfpriorisierungen für den Tourismus

Kurzfristige Chancen bei hohen Nebenwirkungen


Impfen_vor_Gruppe

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Aktuell sind etwa 10 Prozent der Weltbevölkerung vollständig geimpft – das entspricht der Impfquote Deutschlands im März 2021. Doch während im März hierzulande vor allem vulnerable Gruppen geimpft waren, sind es global gesehen nicht die verwundbarsten, sondern die wirtschaftlich stärksten Gruppen, die bereits immunisiert sind. 75 Prozent aller Impfdosen entfallen auf zehn Länder. Die ärmsten Länder erhielten bis heute weniger als 0,5 Prozent der Vakzine, in einigen Ländern ist noch keine einzige Gesundheitsfachkraft geschützt. Die etwa 2,6 Milliarden Impfdosen, die bisher weltweit verteilt wurden, hätten gereicht, um global das gesamte medizinische Personal und alle alten Menschen zu impfen.


Impfpriorisierungen für den Tourismus


Immer mehr Länder, die wirtschaftlich vom Tourismus abhängig sind, haben entschieden, die Mitarbeiter:innen im Tourismussektor prioritär zu impfen - fast alle Karibikinseln, die Türkei und Länder in Asien. Die meisten haben vorher wenigstens ihr medizinisches Personal mit Impfstoffen versorgt. Anders etwa Ägypten: Trotz einer Impfquote von unter einem Prozent, wird dort bereits das touristische Personal immunisiert. 


Resort-Tourismus im Vorteil 


Dort wo es Impfpriorisierungen für den Tourismussektor gibt, ist oft ein formales Anstellungsverhältnis Voraussetzung für die Impfung. Nur wer einen Arbeitsvertrag in der Gastronomie oder im Hotel vorweisen kann oder offiziell als Reiseführer:in registriert ist, kann sich impfen lassen. Was Missbrauch verhindern soll, schließt all jene aus, die im informellen Sektor des Tourismus tätig sind – weltweit etwa 50 Prozent. Wenn die Impfquote in den Hotels hoch ist, außerhalb der Hotels aber nicht, wächst bei Reisenden die Sorge, das Hotel zu verlassen. So haben die großen Resorts mit ihren all-inclusive Modellen einen deutlichen Corona-Startvorteil.


Impftourismus von Süd nach Nord


Hotelketten, wie die indische Oyo-Gruppe, werben mit der Impfquote ihres Personals – das erhöht in einem Sektor mit vielen befristeten Beschäftigungsverhältnissen den Druck auf Bewerber:innen, die nun mit allen Mitteln versuchen, eine der knappen Impfungen zu ergattern. Kein Wunder, dass Menschen in Ländern mit geringer Impfstoff-Verfügbarkeit einiges auf sich nehmen, um immunisiert zu werden. Die Flugtickets von Peru in die USA kosten heute etwa drei Mal so viel, wie vor Corona. Hintergrund ist die Möglichkeit, sich in den USA impfen zu lassen ohne dort dauerhaft zu leben. New York City hat sogar als Teil der Wiedereröffnungsstrategie des Tourismus mobile Impfzentren an den Hauptsehenswürdigkeiten eröffnet. Eine Chance, die nicht nur bei wohlsituierten Lateinamerikaner:innen gut ankommt, sondern auch von Personen aus Asien und Europa genutzt wird.


Hohe Impfquote als Wettbewerbsvorteil für Reiseländer


Länder mit hohen Impfquoten sind für Reisende attraktiv. Gerade die tourismusabhängigen kleinen Inselstaaten versuchen deshalb, sich auf die touristische Weltkarte zurück zu impfen. Unter den Top10 der Länder mit den höchsten Impfquoten befinden sich vier Karibik-Staaten. Durch geopolitische Allianzen - vor allem mit China aber auch den USA - konnten sie sich Vakzine sichern und damit bereits die 50%-Impfquote hinter sich lassen. In dieser ersten Tourismussaison mit Corona-Impfstoffen verschaffen sich damit genau die Staaten Wettbewerbsvorteile, die auf das alte und nicht zukunftsfähige, wenig nachhaltige, Sonne-Sand-Meer Tourismusmodell setzen.


Afrika beim Impfen abgehängt


Bisher ist weniger als 1 Prozent der Afrikaner:innen geimpft. Der Kontinent ist das weltweite Schlusslicht. 2020 sah es so aus, als kommen viele afrikanische Staaten gesundheitlich glimpflich durch die Corona-Krise – einige Afrika-Reiseveranstalter hofften bereits, dass sich der Kontinent schneller als andere Weltregionen wieder für den Tourismus öffnen könne und so seine schwache Stellung im internationalen Reiseverkehr dauerhaft verbessere. Mit den aggressiveren Virusvarianten nehmen jedoch auch dort die Infektions- und Todesfälle rasant zu. Wie trügerisch eine Impf-Sicherheit aber ist, zeigt der Inselstaat Seychellen vor der afrikanischen Ostküste, der weltweit auf Platz zwei der Impfquoten liegt. Ostern und Pfingsten reisten bereits Tausende Urlauber aus Deutschland dort hin. Trotz einer Impfquote von 68 Prozent der Bevölkerung (18.6.21), ist die 7-Tageinzidenz wieder auf über 200 geklettert. Die dort verfügbaren Impfstoffe scheinen nicht vollständig vor Ansteckungen zu schützen und die neuen Virusvarianten verbreiten sich sehr schnell in der noch ungeschützten Bevölkerung.


Sommer 2021 – weiterhin Vorsicht geboten


Im Sommer 2021 reicht es nicht, auf die eigene Impfung zu vertrauen und vor Ort die Freiheiten zu erwarten, an die sich viele noch von den Vor-Coronazeiten erinnern. Vorsicht wird 2021 überall mitreisen müssen – gerade beim Besuch von Ländern mit geringer Impfquote werden Tests und Phasen der Selbstisolation vor und nach der Reise dazu beitragen müssen, das Infektionsgeschehen einzuschränken. So dramatisch es klingt - auch im Sommer 2021 gilt: eine Gesundheitskrise kommt die Länder des globalen Südens teurer zu stehen, als weitere Monate auf internationale Reisende zu verzichten. 


Corona ist erst vorbei, wenn es überall vorbei ist


Die Weltgesundheitsorganisation prognostiziert, dass es bei der aktuellen Impfgeschwindigkeit bis 2023/24 dauern wird, bis alle Menschen weltweit geschützt sind. Solange wird kein Land, das im Tourismus aktiv ist, warten können. Der schnellste Weg aus der Corona-Tourismuskrise liegt daher in der Verfügbarkeit von Impfstoffen weltweit. Nur so lassen sich dauerhafte Einschränkungen und Überforderungen der Gesundheitssysteme vermeiden, deren gesundheitliche und sozioökonomische Folgen die Länder im globalen Süden besonders treffen. Ohne den Auf- und Ausbau eigener Impfkapazitäten im globalen Süden durch die zeitweise Aussetzung von Patenten und geistigen Eigentumsrechten bleibt nicht nur die Gerechtigkeit auf der Strecke. Die Corona-Pandemie mit all ihren dramatischen Auswirkungen wird unnötig verlängert. Denn sie ist erst vorbei, wenn sie überall vorbei ist – das gilt besonders im Tourismussektor.


Mareike Haase ist Referentin für globale Gesundheitspolitik. Antje Monshausen leitet die Arbeitsstelle Tourism Watch und ist Referentin für Tourismus und Entwicklung. Beide arbeiten in der Politikabteilung von Brot für die Welt.