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Klimakiller mit Wachstumsschub: „Grünes“ Fliegen als neue Belastung für den Globalen Süden


Von Lea Thin, freie Redakteurin

Die Luftfahrtbranche präsentiert nachhaltige Flugkraftstoffe (Sustainable Aviation Fuels, kurz: SAF) als große Hoffnung im Kampf gegen die Klimakrise. Doch Umwelt- und Menschenrechtsgruppen warnen: Hinter dieser „grünen Lösung“ verbergen sich neue Formen ökologischer Ausbeutung, insbesondere im Globalen Süden.

Luftfahrt: Klimakiller mit Wachstumsschub

Der internationale Tourismus bleibt für viele Länder des Globalen Südens eine wirtschaftliche Lebensader. Doch gleichzeitig steht der Sektor im Zentrum globaler Konflikte: zwischen Klimaschutz, Entwicklung, sozialer Gerechtigkeit und dem Überleben lokaler Gemeinschaften. Flugreisen, das Rückgrat des Ferntourismus, stehen besonders im Fokus der Kritik. Im Jahr 2023 belief sich der Anteil der Emissionen aus dem Luftfahrtsektor laut Angaben der europäischen Luftfahrtbehörde EASA global auf etwa 2,5 Prozent der globalen CO₂-Emissionen. Bei den weltweiten Transportemissionen trägt der Flugverkehr sogar 12 Prozent bei. Damit bleibt die Luftfahrt eine der klimaschädlichsten Mobilitätsformen, mit steigender Tendenz: Nach dem Corona-Einbruch sind die Emissionen wieder nahezu auf Vorkrisenniveau.

SAF & Co.: Hoffnungsträger oder Ablasshandel?

Als Antwort auf die Klimakrise propagieren Industrie und Politik technische Lösungen: nachhaltige Flugkraftstoffe (SAF), effizientere Flugzeuge, synthetische Treibstoffe. In Teilen des Globalen Nordens sind diese Ansätze inzwischen Teil offizieller Nachhaltigkeitsstrategien, reguliert durch Mandate und Quoten. Doch die Zahlen entlarven die Grenzen der Technik: Laut International Air Transport Association (IATA) ist der Anteil von SAF am weltweiten Jet-Fuel-Verbrauch 2025 auf lediglich 0,7 Prozent gestiegen. Selbst optimistische Prognosen zeigen, dass Technik allein das Problem nicht lösen kann, solange die Nachfrage nach Flugreisen weiter steigt. Zudem kritisieren Fachleute und zivilgesellschaftliche Gruppen, dass viele Rohstoffe für SAF, wie Pflanzenöl, Soja und tierische Fette, direkt mit Nahrung, lokaler Landwirtschaft und sensiblen Ökosystemen im Globalen Süden konkurrieren. Damit verschärfen sie soziale und ökologische Konflikte, statt sie zu lösen.

Omega Green: Beispiel für globale Umverteilung der Lasten

Das globale System des Flugverkehrs zeigt eine deutliche Verteilung der Chancen und Kosten: Die Gewinne und Reisefreiheiten konzentrieren sich vor allem im Globalen Norden. Emissionen, Umweltverschmutzung und Landkonflikte schlagen dagegen insbesondere im Süden zu Buche. International werden grenzüberschreitende Klimafolgekosten zur sozial-ökologischen Belastung für marginalisierte Gemeinschaften, während Wohlstand und Mobilität in den Industrieländern weiterwachsen.

Die geplante Biokraftstoffraffinerie Omega Green in Paraguay verdeutlicht die Problematik. Das industrielle Megaprojekt der brasilianischen ECB Group soll Europa und Nordamerika mit Biokerosin beliefern, während Paraguay selbst kaum davon profitiert. Für lokale Bäuer*innen und Fischerfamilien drohen dagegen gravierende Nachteile: Landverlust, Umweltbelastungen, Wasserkrisen und soziale Konflikte. Rohstoffe wie Soja und tierische Fette stammen aus großflächigen Monokulturen. Sie erfordern einen hohen Pestizideinsatz, der massiv zum Artenverlust der Region beiträgt. Der ohnehin durch Abholzung und erosive Landwirtschaft stark belastete paraguayische Chaco droht als Preis für „grünes Fliegen“ weiter zerstört zu werden. Gemeinden wie Santa Rosa bei Villeta leben in unmittelbarer Nähe zur geplanten Raffinerie. Ihr Zugang zu Boden und Wasser sowie ihre traditionellen Lebensgrundlagen werden durch das Projekt massiv bedroht. Gleichzeitig dient das Projekt vor allem internationalen Fluggesellschaften. Paraguay selbst hat kaum relevanten Flugverkehr – und damit auch keinen wesentlichen eigenen Bedarf an Bio-Kerosin. Besonders bitter: Internationale Fluggesellschaften pflegen ein nachhaltiges Image und vermarkten vermeintlich klimafreundliche Mobilität, obwohl die sozialen und ökologischen Kosten in den Zielregionen anfallen. Während Fluggäste in Europa vermeintlich „nachhaltiger“ reisen, tragen Gemeinden in Paraguay oder anderswo die Last: Umweltzerstörung, Landraub, soziale Konflikte, Wasser- und Ernährungskrisen. Zivilgesellschaftliche Organisationen wie Stay Grounded weisen öffentlichkeitswirksame Nachhaltigkeitsversprechen der Projektentwickler als unzureichend zurück. Zahlreiche Kontaktversuche von NGOs blieben unbeantwortet - für Kritiker*innen ein Indiz, dass Transparenz nicht erwünscht sei und es kein Interesse daran gibt, lokale Stimmen in die Planung einzubeziehen.

Gegenbewegung: Klimagerechtigkeit statt „grüner“ Kosmetik

Tourismus, und mit ihm die Luftfahrt, wird oft als Motor wirtschaftlicher Entwicklung im Globalen Süden gesehen. Doch gerade deshalb ist der Sektor ein Brennpunkt für die Debatten um Klimaschutz, soziale Gerechtigkeit und Entwicklung. Kein Wirtschaftsbereich illustriert die Ziel- und Interessenkonflikte so deutlich wie das globale Reisesystem. Die Infrastruktur globaler Flugreisen wird primär von wohlhabenden Menschen aus dem Globalen Norden genutzt. Die Gewinne und Reisechancen liegen überwiegend dort. Die negativen Folgen von Gentrifizierung bis hin zu Landkonflikten, tragen häufig Menschen im Globalen Süden. In vielen Fällen sind es Gemeinschaften, die schon bei normalen Lebensbedingungen marginalisiert sind. Projekte wie Omega Green verwandeln diese strukturelle Ungleichheit in existenzielle Bedrohung.

Doch nicht alle akzeptieren diese Ungerechtigkeit. Viele zivilgesellschaftliche Organisationen fordern längst keinen kosmetischen „grünen Tourismus“ mehr, sondern eine grundsätzliche Systemtransformation. Das Netzwerk Stay Grounded bündelt  inzwischen Hunderte von Organisationen. Sie fordern nicht nur technische Lösungen, sondern einen grundsätzlichen Systemwandel. Ihre Strategie: Mobilisierung gegen Flughafenausbau, Nachtflüge und klimaschädliche Mobilität sowie progressive Besteuerung und strikte Regulierung von Vielfliegern und SAF-Projekten. Klimagerechtigkeit heißt für sie, weniger zu fliegen, lokale und nachhaltige Reisen zu fördern sowie internationale Mechanismen für „Loss and Damage“ zu verankern, die tatsächlich für globale Umweltfolgen und soziale Schäden aufkommen. Gefordert sind verbindliche Nachhaltigkeitskriterien für Flugkraftstoffe, klare Grenzen für Kompensationsprogramme und eine stärkere Regulierung internationaler Fluggesellschaften – damit Mobilität kein exklusives Privileg bleibt, während die Kosten auf vulnerable Regionen abgewälzt werden.

Warum technischer Optimismus nicht ausreicht

Der Blick nach Paraguay zeigt: Erst wenn Machtverhältnisse, Ressourcen und Klimafolgen gerechter verteilt werden, kann Mobilität als Entwicklungschance gelten, nicht als neue Form der globalen Ausbeutung. Technische Fortschritte und Effizienzgewinne greifen zu kurz, wenn sie soziale und ökologische Risiken ignorieren. Solange Nachfrage und Wachstum ungebremst bleiben und Nachhaltigkeit vor allem als Marketingargument dient, verschärft auch Fliegen mit SAF die Belastungen, statt sie zu lösen. Klimagerechtigkeit im internationalen Tourismus verlangt daher mehr als neue Kraftstoffe – nämlich globale Solidarität, faire Lastenverteilung und einen Bruch mit der Wachstumslogik der Luftfahrt. Die Debatte um SAF, grünen Tourismus und innovative Mobilität steht erst am Anfang. Der Wandel in Richtung ökosozialer Transformation bleibt aber unverzichtbar. Andernfalls bleibt grünes Fliegen ein Privileg für wenige und eine Last für viele.