Von Christina Kamp, freie Autorin
In einer von Kriegen, Konflikten und zunehmenden geopolitischen Spannungen erschütterten Welt, erscheint Frieden in einigen Regionen wie ein ferner Traum. Wirksame Friedensinitiativen sind nötiger denn je. Seit fast vier Jahrzehnten beschäftigt sich das International Institute for Peace through Tourism (IIPT) mit den friedensstiftenden Wirkungen des Tourismus. In unserem Interview teilt der neue IIPT-Vorsitzende Ajay Prakash seine Sicht zum Tourismus als “erste globale Friedensindustrie der Welt”.
TW: In unserer globalisierten Welt tragen Medien, Migration und auch Tourismus dazu bei, dass uns das Fremde so fremd gar nicht mehr ist. Es ist nicht mehr das Bekannte und Unbekannte was „uns“ und „die anderen“ abgrenzt. Spaltungen und Feindseligkeiten bestehen selbst zwischen Brüdern und Schwestern oder direkten Nachbarinnen und Nachbarn – oder werden geschürt. Wie kann unter diesen Umständen das Konzept, durch Tourismus Menschen zusammenzubringen, noch ein vielversprechender Weg zum Frieden sein?
Ajay Prakash: Das IIPT hat es sich zur Aufgabe gemacht, Bewusstsein dafür zu schaffen, dass der Tourismus Frieden fördern und Gutes hervorbringen kann. Wenn man aufgeschlossen und wohlgesonnen unterwegs ist, merkt man schnell, dass das, was uns unterscheidet und zu trennen scheint, verblasst und unbedeutend wird im Vergleich zu dem, was wir gemeinsam haben. Der Tourismus ist die einzige Branche, die zu hundert Prozent auf die Menschen ausgerichtet ist. Sie zielt allein darauf ab, den Menschen die Vielfalt unseres Planeten und seiner Bevölkerung nahe zu bringen. Wenn es den Akteurinnen und Akteuren der Branche gelingt, Reisende trotz kultureller, sprachlicher oder religiöser Unterschiede für die grundlegende Verbundenheit der Menschheit zu sensibilisieren, dann könnten wir einen wichtigen Beitrag zur Völkerverständigung und zur Akzeptanz des „Anderen“ leisten.
Auf Mark Twain geht das bekannte Zitat zurück: „Reisen ist tödlich für Vorurteile, Fanatismus und Engstirnigkeit, und viele unserer Leute haben das dringend nötig. Umfassende, gesunde und wohltätige Ansichten über Menschen und Dinge kann man sich nicht aneignen, wenn man sein ganzes Leben lang in einer kleinen Ecke der Erde vegetiert.“ Wenn Menschen ihr Zuhause und ihre Komfortzone verlassen, kommen sie weiser und vielleicht mitfühlender zurück.
TW: Während in Konfliktsituationen „Wie Du mir, so ich Dir“ eskalierend wirken kann, bräuchte es im Tourismus nicht mehr Gegenseitigkeit, im positiven Sinne? Wie kann der Tourismus angesichts der globalen Ungleichgewichte, wer reisen kann und wer nicht, wirkungsvoller Frieden stiften?
Ajay Prakash: Für Reisen wird das Geld ausgegeben, das man frei verfügbar hat, daher ist es offensichtlich, dass nicht jede Person reisen kann. Doch die Zahl der internationalen Tourismusankünfte ist vor ein paar Jahren auf über eine Milliarde gestiegen und die Zahl der Inlandsreisen liegt noch viel höher. Das sind beachtliche Größenordnungen. Gegenseitigkeit ist zwar wünschenswert, doch der Reiseverkehr erfolgt nie in beide Richtungen in gleichem Maße. Einige Destinationen ziehen viele Menschen an, während die Märkte, woher diese Reisenden kommen, unter Umständen nicht für entsprechend viele attraktiv sind.
Damit hängt auch das aktuelle “Overtourism”-Problem zusammen: Gemeinschaften in den Zielgebieten reagieren feindselig auf den unkontrollierten Zustrom von Touristinnen und Touristen. Massentourismus bringt also Konfliktrisiken mit sich, wenn er nicht mit Rücksicht auf die Bedürfnisse der gastgebenden Bevölkerung gehandhabt wird. Wenn Tourismus seine friedensstiftende Rolle erfüllen soll, muss er auf die Tragfähigkeit Rücksicht nehmen und ein ehrliches Interesse daran haben, die Einzigartigkeit eines Zielgebietes zu bewahren. Dies lässt sich zum Beispiel erreichen, indem man Touristinnen und Touristen von den bekannten Sehenswürdigkeiten weg in verschiedene andere, weniger bekannte Destinationen lenkt, die von mehr Besucherinnen und Besuchern profitieren würden. Die Reise- und Tourismusbranche muss Frieden als „höheres Paradigma des Tourismus“ ebenso wie auch Nachhaltigkeit zu ihren Kernaufgaben machen.
TW: Wie kann sie das tun?IIPT fördert und unterstützt ja Tourismusinitiativen, die zur Völkerverständigung und zu internationaler Zusammenarbeit beitragen. Welche besonders guten Beispiele gibt es, in denen der Tourismus erfolgreich zum Frieden unter schwierigen Bedingungen beiträgt?
Ajay Prakash: Als sich die Rebellen der Revolutionären Streitkräfte Kolumbiens (FARC) bereit erklärten, ihre Waffen niederzulegen, war es die Entwicklung des Tourismus, die als Alternative propagiert wurde. Auch Kaschmir in Indien ist ein besonders gutes Beispiel dafür, wie Tourismus über Terrorismus triumphiert hat. Infrastrukturentwicklung, wirtschaftliche Stabilität, kultureller Austausch und die Stärkung lokaler Gemeinschaften sind alles Ergebnisse vermehrter touristischer Aktivitäten. Zwar kann Tourismus allein keine Konflikte lösen, aber er kann ein wirkungsvolles Instrument in einer umfassenderen Strategie für Frieden und Konfliktlösungen sein.
TW: Laut IIPT sind alle Reisenden potenziell “Friedensbotschafterinnen und Friedensbotschafter“. Was können und sollten Touristinnen und Touristen tun, um dieses Potenzial zu realisieren?
Ajay Prakash: Die erste Regel lautet: Seien Sie sensibel für die Sitten ihrer Gastgeberinnen und Gastgeber. Denken Sie daran, dass Sie bei ihnen zu Gast sind! Kleiden Sie sich angemessen und verhalten Sie sich respektvoll. Seien Sie offen für neue Ideen und Erfahrungen. Seien Sie bereit, mit Einheimischen ins Gespräch zu kommen – oft sind sie genauso neugierig auf Sie und Ihre Heimat wie Sie auf sie und ihr Land. Am besten lässt sich dies mit dem IIPT-Credo zusammenfassen:
IIPT Credo der friedlichen Reisenden:
Ich bin dankbar für die Möglichkeit, die Welt zu bereisen und zu erleben. Da Frieden bei uns selbst beginnt, bekräftige ich meine persönliche Verantwortung und Verpflichtung,
- aufgeschlossen und wohlgesonnen zu reisen,
- die Vielfalt, die ich erlebe, bereitwillig und dankbar anzunehmen,
- die natürliche Umwelt, die alles Leben erhält, zu ehren und zu schützen,
- alle Kulturen, die ich kennenlerne, wertzuschätzen,
- meine Gastgeberinnen und Gastgeber zu respektieren und ihnen für ihre Gastfreundschaft zu danken,
- allen, denen ich begegne, freundschaftlich meine Hand zu reichen,
- Reiseanbieter und -anbieterinnen zu unterstützen, die diese Sichtweisen teilen und entsprechend handeln,
- mit meiner Einstellung, meinen Worten und Taten andere zu ermutigen, die Welt friedlich zu bereisen.
Ajay Prakash, Foto: ©Dipen Gosar
Ajay Prakash übernahm im September 2023 den Vorsitz des International Institute for Peace through Tourism (IIPT)von Louis D’Amore. Er ist Geschäftsführer von Nomad Travels in Mumbai, Vorsitzender der Travel Agents Federation of India (TAFI) und Vorstandsmitglied der World Travel Agents Associations Alliance (WTAAA).