Von Lea Thin, freie Autorin
Machu Picchu, eine der beeindruckendsten Weltkulturerbestätten, ist mehr als nur eine architektonische Meisterleistung. Für die indigenen Völker der Anden, insbesondere die Quechua, hat dieser Ort eine tiefgreifende spirituelle Bedeutung. Ihre Verbindung zu Machu Picchu ist fest in der „Andinen Kosmovision“ verankert – einer Weltanschauung, die Harmonie zwischen Mensch, Natur und Kosmos betont. Doch der zunehmende Massentourismus und die Pläne für einen neuen Flughafen in der Region gefährden diese heilige Verbindung.
Heiliges Erbe und Energieknotenpunkt
Für die Quechua und andere indigene Völker der Region ist Pachamama, die Mutter Erde, eine göttliche Instanz, die Fruchtbarkeit und Schutz gewährt. Sie wird in Ritualen verehrt, bei denen häufig Coca-Blätter, Blumen oder andere Opfergaben dargebracht werden. Ebenso bedeutsam sind die Apus, die Schutzgeister der Berge, die den Menschen spirituelle Kraft verleihen. Die Architektur Machu Picchus spiegelt diese spirituelle Weltanschauung wider: Tempel, Terrassen und Observatorien sind so ausgerichtet, dass sie kosmische Prinzipien verkörpern. Für die indigene Bevölkerung ist Machu Picchu ein energetisches Zentrum – ein Ort, an dem Rituale und Gebete die Verbindung zwischen den Welten stärken. Das 30.000 Kilometer lange Inka-Straßennetzwerk, der Qhapaq Ñan, verbindet Machu Picchu zudem mit anderen heiligen Stätten und symbolisiert den Übergang zwischen der physischen und der spirituellen Welt.
Tourismus: Bedrohung für die indigene Spiritualität
Derzeit besuchen jährlich etwa 1,5 Millionen Menschen Machu Picchu – doppelt so viele, wie von der UNESCO als tragfähig eingestuft. Die wirtschaftlichen Vorteile des Tourismus in der Region sind unbestreitbar: Der Sektor schafft Arbeitsplätze und fördert Investitionen in Bildung, Gesundheitswesen und Infrastruktur. Dieser Fortschritt darf jedoch nicht auf Kosten der indigenen Kultur und Spiritualität erfolgen. Dr. Jean-Jacques Decoster, Anthropologie-Professor an der UNSAAC-Universität in Cusco und Experte für immaterielles Kulturerbe, betont die Notwendigkeit, Perus kulturelles und natürliches Erbe zu bewahren: „Die Tragfähigkeit von Machu Picchu muss streng überwacht werden, um den Respekt vor der Stätte zu gewährleisten.“
In den letzten Jahren hat die peruanische Regierung Maßnahmen ergriffen, um den Druck auf Machu Picchu zu bewältigen, darunter die Einführung lizenzierter Guides, feste Besuchszeiten und höhere Eintrittspreise. Gleichzeitig hat die Regierung jedoch wiederholt die tägliche Besucherobergrenze angehoben, zuletzt auf 4.094 Personen pro Tag – getrieben von wirtschaftlichen Interessen. Während der Tourismus vielen Menschen eine Lebensgrundlage bietet, bleiben indigene Perspektiven oft unberücksichtigt. Decoster warnt, dass die Kommerzialisierung indigener Traditionen die heilige Bedeutung des alten Wissens verwässert: „Die steigenden Besucherzahlen stören die Fähigkeit indigener Gemeinschaften, ihre Rituale in Frieden und Würde durchzuführen. Zeremonien, die einst intime, tief spirituelle Akte waren, werden heute oft für touristische Unterhaltung inszeniert und dadurch ihrer wahren Bedeutung beraubt.“
Ein neuer Flughafen in Chinchero: Chance oder Risiko?
Pläne für den neuen internationalen Flughafen Chinchero (AICC) nahe Cusco, der historischen Hauptstadt der Inka, haben heftige Debatten ausgelöst. Der Flughafen soll den Zugang zu Machu Picchu verbessern und die Touristenzahlen potenziell verdoppeln. Während die Tourismusbranche jubelt, äußern Archäolog*innen und Umweltschützer*innen ernste Bedenken. Die mehr als 40.000 Quadratmeter umfassenden Start- und Landebahnen, Terminals und Frachtanlagen bedrohen laut Decoster das ökologische Gleichgewicht der Region sowie die Kulturlandschaft, einschließlich ihrer Terrassenfelder und Inka-Wege. „Die steigenden Besucherströme werden voraussichtlich die bestehenden Herausforderungen im Management weiter verschärfen, wie etwa die Überschreitung der Tragfähigkeit. Ohne angemessene Planung und Überwachung könnte dies die Zerstörung archäologischer Stätten beschleunigen. Zudem könnte der Bau neuer touristischer Infrastruktur, wie Zugangsstraßen, Parkplätze und zusätzliche Dienstleistungen, erforderlich werden, ebenso wie Arbeiten zur Bereitstellung grundlegender Versorgungsdienste wie Wasser, Abwasser, Strom und mehr. Teile des Qhapaq Ñan könnten sich verschlechtern, Ökosysteme beeinträchtigt werden, und Lärm ist bereits jetzt ein Problem.“
Indigener Widerstand: Kampf um Rechte und Anerkennung
Die neuen Einkommensmöglichkeiten durch den Flughafen dürften unkontrolliertes urbanes Wachstum in nicht genehmigten Gebieten nach sich ziehen. Dies erhöht das Risiko von Naturkatastrophen für die überwiegend indigene Bevölkerung, die oft unter prekären Bedingungen lebt. Zudem könnte der Zugang zur Llacta (Heiligtum) für Einheimische zugunsten des lukrativeren Tourismus eingeschränkt werden. Dadurch hätte die indigene Bevölkerung von Cusco weniger Möglichkeiten, Machu Picchu zu besuchen – ein Umstand, der Konflikte auslösen und die Entfremdung von ihren eigenen Wurzeln verstärken könnte.
Indigene Organisationen wie ONAMIAP und COICA setzen sich aktiv für den Schutz heiliger Stätten ein und kritisieren Projekte, die die spirituelle Verbindung indigener Gemeinschaften gefährden. Zu ihren Forderungen gehören die rechtliche Anerkennung von Landrechten, die Einbindung in touristische Entscheidungsprozesse und die Achtung ihrer spirituellen Praktiken. In der Vergangenheit haben Initiativen wie TINKU versucht, den Dialog zwischen indigenen Gemeinschaften und Tourismusakteuren zu fördern. Ihr Ansatz zielte darauf ab, alternative Tourismusmodelle zu entwickeln, die die indigene Spiritualität und die Umwelt respektieren. Wie Decoster, Gründer von TINKU, betont: „Interkultureller Dialog ist entscheidend, um sicherzustellen, dass die heiligen Traditionen der andinen Völker nicht durch Massentourismus untergraben werden.“
Ein Balanceakt zwischen Tradition und Moderne
Machu Picchu bleibt ein Symbol für die tiefe Verbindung zwischen den Andenvölkern und ihrer Umwelt. Doch die Herausforderung besteht darin, diese heilige Bedeutung zu bewahren und gleichzeitig die wirtschaftlichen Potenziale des Tourismus zu nutzen. Dr. Decoster fasst zusammen: „Es ist die Pflicht der peruanischen Nation, ihr kulturelles und natürliches Erbe vor Schäden, Veränderungen oder Zerstörungen zu schützen, da solche Bedrohungen nicht nur die Umwelt, sondern auch die Identität der Gesellschaft und ihrer Gemeinschaften gefährden.“
Nachhaltige Lösungen für Machu Picchu erfordern einen sensiblen Ansatz, der indigene Gemeinschaften respektiert und die Kultur sowie die Umwelt der Stätte schützt. Zu den wichtigsten Maßnahmen sollten die Begrenzung der Besucherzahlen gehören, um die physische und spirituelle Integrität des Ortes zu erhalten und Überfüllung sowie Umweltverschmutzung zu vermeiden. Die Einrichtung heiliger Zonen, die ausschließlich für indigene Rituale vorgesehen sind, könnte den Quechua und anderen Gruppen ermöglichen, ihre spirituellen Praktiken ungestört fortzusetzen. Dies wäre ein Zeichen des Respekts gegenüber ihrer Tradition und ihrer Verbindung zu Pachamama und den Apus. Die aktive Einbindung indigener Gemeinschaften in das Tourismusmanagement ist ebenfalls entscheidend, um sicherzustellen, dass sie wirtschaftlich profitieren und eine zentrale Rolle bei der Entwicklung nachhaltiger Praktiken spielen. Nur durch einen respektvollen und ausgewogenen Ansatz kann Machu Picchu sowohl als Touristenattraktion als auch als spirituelles Herzstück für die andinen Völker erhalten bleiben.