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Tourismus, Ernährungssouveränität und ein ’gutes Leben’

Der Kartoffelpark in Peru


Touristen und Bäuerinnen im Potato Park

Der Kartoffelpark vereint fünf andine Gemeinschaften in der peruanischen Region Cusco. Angesichts der ländlichen Armut in den Anden eröffnet er neue Perspektiven. Agro-Ökotourismus im Park trägt dazu bei, die sozioökonomische Lage zu verbessern. Mit einem Gemeinschaftsfonds wird sichergestellt, dass das Einkommen aus dem Tourismus gerecht verteilt wird. Weitere Vorteile gehen über die rein monetären hinaus: bessere Bildungschancen, Unterstützung der Ernährungssouveränität und das Gefühl, ’gut zu leben’.

Eine Gruppe andiner Gemeinschaften – Amaru, Chawaytire, Pampallaqta, Paru Paru und Sacaca – schloss sich 1998 im ‘Área de Conservación del Patrimonio Bio-Cultural Indígena‘ (Schutzgebiet für indigenes biokulturelles Erbe) zusammen und gründete den ‘Parque de la Papa‘ (Kartoffelpark). Der Park liegt im Pisaq-Distrikt, etwa 45 Minuten von der Stadt Cusco entfernt, und umfasst etwa 9.820 Hektar. Die beteiligten Dörfer liegen zwischen 3.200 m und 5.000 m über dem Meeresspiegel.

Die sozioökonomische Situation in der Region Cusco ist besorgniserregend, wie Daten zur Armut, Unterernährung von Kindern oder Defiziten im Bildungsbereich belegen. Die in höheren Lagen lebenden Gemeinschaften sind tendenziell anfälliger für Klimaeinflüsse. Der Klimawandel verschärft die Situation, denn er schadet insbesondere heimischen Kartoffelsorten, weil dadurch zum Beispiel Krankheiten und Schädlinge auftreten, die bislang in dieser Gegend unbekannt waren. Wie ein Dorfbewohner aus Paru Paru erzählt, konnten vor etwa 40 Jahren noch heimische Kartoffeln auf einer Höhe von 3.700 m in großen Mengen geerntet werden. Um heute vergleichbare Ernteerträge zu erzielen, müsse man die Kartoffeln auf 4.100 m Höhe anbauen. Dieses Problem kann in tiefer gelegenen Gemeinschaften wie Sacaca zu einem gewissen Grad abgefedert werden, denn dort können andere Feldfrüchte, wie zum Beispiel Mais, geerntet werden.

Im Kartoffelpark wie auch in anderen andinen Gemeinschaften bestehen Subsistenz- und Geldwirtschaft nebeneinander. „Wir können die Landwirtschaft nicht außer Acht lassen. Wir leben immer davon. Doch wir müssen immer auch arbeiten gehen. Die Landwirtschaft allein reicht nicht aus, sie reicht nur für das Essen”, sagt ein Homestay-Anbieter aus Paru Paru.

Agro-Ökotourismus im Kartoffelpark

Der Name ‘Kartoffelpark‘ bezieht sich auf die biologische Vielfalt des Geländes, und dabei insbesondere auf seine über 1.000 Sorten an ‘papas nativas‘, wie die heimischen Kartoffeln vor Ort genannt werden. Der Park entstand aus einer Initiative der Nichtregierungsorganisation ANDES (Asociación para la Naturaleza y el Desarrollo Sostenible). In Kooperation mit dem Internationalen Kartoffelzentrum, einer entwicklungsbezogenen Forschungsinstitution mit Sitz in Lima, wurden heimische Kartoffelsorten im Park wieder eingeführt und Maßnahmen zu ihrem Erhalt vor Ort initiiert.

Im Jahr 2007 wurde das Agro-Ökotourismusprojekt offiziell auf den Weg gebracht. Die Nichtregierungsorganisation ANDES spielt eine Schlüsselrolle in der Logistik und der Organisation sowie in der Aus- und Fortbildung der touristischen Akteure im Park. Den Vorsitz über den Park haben die fünf Dorfvorsteher, die den Gemeinschaftsverbund Kartoffelpark (ACPDP) koordinieren. Dieser Verbund stellt durch einen Gemeinschaftsfonds die faire Verteilung der Gewinne aus dem Tourismus auf die fünf teilnehmenden Gemeinschaften sicher. Er speist sich aus Eintrittsgeldern der Besuchenden und anderen Quellen - zum Beispiel Spenden - sowie in geringerem Umfang durch Beiträge in Höhe von zehn Prozent der Tourismuseinnahmen der im Park arbeitenden Gruppen. Dazu gehören ‘Pututeros‘ (Musiker) und ‘Varayoq‘ (traditionelle lokalpolitische Persönlichkeiten), lokale Fachleute und sieben wirtschaftlich tätige Gruppen: lokale Guides, ‘Papa Arariwas‘ (Fachleute für heimische Kartoffeln), eine Heilpflanzen-Gruppe, eine Kunsthandwerksgruppe (Weberinnen), eine Gastronomie-Gruppe, eine Homestay-Gruppe sowie einer Gruppe, die für die botanischen Gärten zuständig ist.

Die heimischen Kartoffeln sind die Touristenattraktion des Parks. Die ‘Papa Arariwas‘ (Kartoffelexperten) zeigen den Touristen die enorme Sortenvielfalt und erläutern die Auswirkungen des Klimawandels auf die Kartoffeln. Die in der Gastronomie-Gruppe aktiven Frauen kochen verschiedene Gerichte, für die sie heimische Kartoffeln und andere lokale Erzeugnisse verwenden. Im Rahmen der ‘Turismo vivencial‘ (Homestay)-Erlebnisse können die bei Bauernfamilien untergebrachten Gäste beim Anbau oder bei der Kartoffelernte mitmachen.

Ernährungssouveränität

Der Agro-Ökotourismus setzt die heimischen Kartoffeln nicht nur touristisch in Wert, sondern fördert auch ihre Verwendung vor Ort. Dies hat positive Wirkungen auf die Ernährungssouveränität und geht über einfache Ernährungssicherheit hinaus (die sich auch durch staatliche Programme zur Verteilung von Lebensmitteln an arme Gemeinschaften erreichen ließe): Die Menschen kontrollieren und entscheiden selbst, was sie essen.

Im Alltag der Gemeinschaften sind Kartoffeln das ganze Jahr über ein Grundnahrungsmittel. Es können daraus sogar ‘chuño‘ und ‘moraya‘ (Produkte, die durch Gefriertrocknung von Kartoffeln entstehen) hergestellt und so Jahresvorräte angelegt werden. Gleichzeitig ermöglicht der Agro-Ökotourismus ebenso wie andere einkommensschaffende Aktivitäten, dass die Dorfbewohnerinnen und -bewohner andere Nahrungsmittel wie Reis, Nudeln oder Zucker kaufen können. Damit  können sie ihre Ernährung vielseitiger gestalten.

Da die Besucherströme unregelmäßig sind und ein Rotationssystem den verschiedenen Akteuren im Tourismus eine relativ gleichberechtigte Beteiligung ermöglicht, bleibt genug Zeit, um Landwirtschaft zu betrieben. Das Bareinkommen aus dem Agro-Ökotourismus trägt dazu bei, dass Nutztiere wie Meerschweinchen angeschafft und zu einem späteren Zeitpunkt gegessen werden können.

Die Vorstellung vom ’guten Leben’

Da der Agro-Ökotourismus im Park selbst stattfindet, können die Bauern die touristischen Aktivitäten leicht mit der Landwirtschaft kombinieren und müssen nicht abwandern, um Beschäftigung zu finden. Zwar stellen die Gewinne aus dem Tourismus nicht unbedingt ein ausreichendes Einkommen dar, doch betrachten die Tourismusakteure im Park diese Möglichkeit als wichtigen Aspekt, der mit ihrer Vorstellung vom ’guten Leben’ zusammenhängt. „Als Träger muss man frieren und auf dem Boden schlafen. Als Guide vor Ort kann man in seinem Dorf bleiben, seine Gewohnheiten beibehalten und bei seiner Familie sein”, sagt ein lokaler Guide aus Paru Paru. Der Agro-Ökotourismus hilft den Dorfbewohnern sogar, in die Ausbildung ihrer Kinder zu investieren.

Es ist diese Verknüpfung zwischen Tourismus und Landwirtschaft, die dem Agro-Ökotourismus im Park zum Erfolg verhilft. Sie wirkt sich sowohl sozioökonomisch als auch finanziell positiv aus. Da die Kartoffeln die Hauptattraktion des Parks sind und ein heimisches Produkt par excellence, fördert die biologische Vielfalt heimischer Kartoffeln den Tourismus ebenso wie die Landwirtschaft.

Cristian Terry absolvierte sein Master-Studium am Institut für Internationale und Entwicklungsstudien in Genf und promoviert derzeit im Bereich Sozialwissenschaften an der Universität Lausanne. Schwerpunkt seiner Forschungsarbeit ist die Tourismusdynamik in der Region Cusco, insbesondere unter der indigenen andinen Bevölkerung.

Übersetzung aus dem Englischen: Christina Kamp