Von Lea Thin, freie Autorin
Reisen ist für viele Menschen mit Behinderungen eine Herausforderung – doch ein inklusiver Freiwilligendienst kann Barrieren abbauen und neue Möglichkeiten schaffen. Das weltwärts-Programm des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, an dem sich auch Brot für die Welt mit Projekten in drei Ländern beteiligt, bietet jungen Menschen mit Behinderung die Chance, sich insbesondere im Globalen Südens für soziale Gerechtigkeit, Bildung, Umwelt- und Menschenrechte einzusetzen. Gleichzeitig profitieren Menschen mit Behinderungen in den Einsatzländern, wenn gezielte Inklusionsprojekte langfristig barrierefreie Strukturen verbessern und mehr gesellschaftliche Teilhabe ermöglichen. Ein Freiwilligendienst wird so zu einem nachhaltigen Austausch, der Sichtbarkeit schafft und Perspektiven erweitert. Tourism Watch hat mit drei Beteiligten über Inklusion beim Freiwilligendienst weltwärts gesprochen.
Gespräch mit Alice, Freiwillige aus Deutschland.
Alice, du arbeitest seit sechs Monaten bei der Organisation Tierra Nueva in Ecuador mit behinderten Kindern und Jugendlichen. Welche Vorgaben musstest du dafür erfüllen?
Das Kindermissionswerk verfolgt eine Kinder- und Jugendschutzpolitik. Teil der Vorgaben war eine Selbstverpflichtungserklärung, in der man sich beispielsweise dazu bereit erklärt, alle Bedenken, Anschuldigungen, Vorkommnisse oder Hinweise über Gefährdungen des Kindeswohls den Verantwortlichen zu melden. Bei meiner Bewerbung waren Erfahrungen zwar gewünscht, aber nicht Voraussetzung. Viel wichtiger waren Offenheit und die Bereitschaft, sich auf die Aufgabe einzulassen. Es handelt sich bei Freiwilligen in der Regel um junge Leute, die in ihrem Dienst viele verschiedene Facetten unserer Welt kennenlernen und dann vielleicht später auch selbst in einem sozialen Beruf arbeiten werden. Gerade durch Freiwilligenarbeit bekommt man einen guten Einblick, das fördert Toleranz. Auch ich habe wirklich schnell gemerkt, dass es sich bei den Jugendlichen um ganz normale Menschen mit ganz normalen Problemen handelt.
Was hat dich in Ecuador im Umgang mit behinderten Menschen besonders überrascht?
Es gibt ein paar positive Aspekte: Eltern mit einem geistig behinderten Kind bekommen vom Staat zum Beispiel 50 Dollar pro Monat, was relativ viel in Ecuador ist. Menschen mit Behinderung müssen auch manchmal weniger zahlen, zum Beispiel im öffentlichen Nahverkehr. Jedoch wäre es nicht möglich, mit einem Rollstuhl Bus zu fahren. Die Metro hingegen ist weitestgehend barrierefrei, und es gibt dort Angestellte, die behinderten Menschen helfen. Insgesamt ist die Barrierefreiheit in Quito jedoch sehr schlecht. Gerade bei der Arbeitsintegration muss noch viel getan werden. Es gilt zwar eine Quote, nach welcher vier Prozent der Stellen in einem Unternehmen an Behinderte gehen müssen, aber kaum einer hält sich daran.
Daran arbeitet auch Tierra Nueva?
Tierra Nueva ist eine sehr fortschrittliche Organisation mit mehreren Zentren und Krankenhäusern. Ein Ziel ist die Integration von Kindern und Jugendlichen mit Behinderungen in den Alltag und auch in den Arbeitsalltag. Vormittags geht es darum, die Feinmotorik zu stärken. Gerade haben wir Valentinstagsrosen gebastelt. Dabei wird geübt, Kreise zu zeichnen und auszuschneiden. Es gibt auch eine große Schreinerei. Nachmittags werden Lesen, Schreiben und Rechnen geübt. So entsteht die Möglichkeit, dass die Jugendlichen nach nur zwei Jahren im Zentrum in den Arbeitsmarkt integriert werden. Ein Jugendlicher wurde jetzt als Reinigungskraft im Krankenhaus von Tierra Nueva eingestellt. Bei anderen dauert es länger, je nach Können und Grad der Behinderung.
Gespräch mit Camila, Freiwillige aus Kolumbien.
Camila, du machst aktuell einen Freiwilligendienst bei der Organisation World-Horizon in Deutschland. Hattest du wegen deiner körperlichen Einschränkungen Bedenken, dich zu bewerben?
Ich hatte mit 16 Jahren einen Schlaganfall und bin daher auf meiner linken Seite teilweise gelähmt. Hinzu kommen Probleme mit meiner Blase. Trotzdem fühlte mich sicher, mich zu bewerben, weil die Organisation World-Horizon mit meiner Schule in Kolumbien zusammenarbeitet. Allerdings hatte ich Zweifel, ob ich wirklich eine Zusage bekomme. Als ich dann das erste Interview hatte, hatte ich richtig Angst, von meinen Einschränkungen zu erzählen. Besonders, weil ich medizinische Hilfsmittel wie Katheter benötige. Aber es kam völlig anders: Alle waren sehr freundlich und haben mich nie anders behandelt. Sie machten von Anfang an klar, dass meine Behinderung kein Hindernis für den Freiwilligendienst darstellt. Ab dem ersten Moment der Zusage hat World-Horizon alle nötigen Vorkehrungen getroffen, damit ich alles bekomme, was ich brauche.
Wie sind deine Erfahrungen in Deutschland? Welche Unterschiede in Bezug auf Barrierefreiheit hast du im Vergleich zu deinem Heimatland, Kolumbien, bemerkt?
Deutschland ist in vielerlei Hinsicht sehr anders als Kolumbien. Es ist sicherer für mich, hier auf den Straßen unterwegs zu sein, denn es wird viel mehr Rücksicht auf Fußgänger genommen, Zebrastreifen und Fußgängerampeln werden respektiert. Andererseits habe ich hier auch Diskriminierung erfahren, weil ich eine Latina bin – manchmal wollen mir die Leute keinen Sitzplatz geben, was mir in Kolumbien nie passiert ist. Aber ich habe auch viele hilfsbereite Menschen getroffen, die mir bei Dingen wie meinem Koffer geholfen haben oder mir ihren Platz im Bus angeboten haben.
Was nimmst du von deinem Freiwilligendienst mit nach Hause?
Die Zeit in Deutschland hat mir mehr gebracht, als ich je erwartet hätte. Ich habe neue Dinge gelernt, bin unabhängiger geworden. Ich habe mich neuen Herausforderungen im Alltag gestellt und habe eine starke und mutige Seite von mir hervorgebracht. Mein Ziel ist es, einen bleibenden Eindruck zu hinterlassen und anderen Menschen mit Behinderung zu zeigen, dass die Grenzen nur im Kopf existieren. Und ich hoffe, dass ich mit meinen Erfahrungen andere motivieren und ermutigen kann, ihre Träume zu verfolgen.
Gespräch mit Maria Noel Gonzalez Weisz, Direktorin der Organisation Instituto de Buena Voluntad in Uruguay.
Maria Noel, die Organisation Instituto de Buena Voluntad arbeitet mit Jugendlichen und jungen Erwachsenen mit Behinderung aus einem Armenviertel von Montevideo. Welche Herausforderungen erleben diese jungen Menschen?
Menschen mit Behinderung aus sozial schwachen Familien erleben deutlich mehr Diskriminierung und werden oft vom öffentlichen Leben ausgeschlossen. Ein großes Problem ist der eingeschränkte Zugang zu Dienstleistungen – insbesondere im medizinischen Bereich. Die Wartezeiten für Diagnosen sind enorm, und auch auf unterstützende Angebote wie Pflege müssen Familien lange warten, wenn sie sich keine private Hilfe leisten können.
Wie sieht es mit dem Zugang zu Bildung aus?
Leider haben gerade behinderte Kinder aus armen Familien große Schwierigkeiten, eine angemessene Schulbildung zu erhalten. Schulen in ärmeren Vierteln sind oft nicht inklusiv genug. Es fehlt sowohl an baulicher Barrierefreiheit als auch an den notwendigen pädagogischen Ressourcen, um spezielle Betreuungs- und Lernbedarfe zu erfüllen. Das schränkt die Zukunftschancen massiv ein.
Sie arbeiten mit Freiwilligen aus dem Ausland. Welche Anforderungen stellen Sie an sie?
Ein wichtiges Kriterium ist die spanische Sprachkompetenz, um sich angemessen mit den jungen Menschen in unserer Einrichtung aber auch mit unseren Pädagog*innen verständigen zu können. Wir arbeiten immerhin in einem sehr sensiblen Bereich. Unsere Freiwilligen müssen sich zudem flexibel auf wechselnde Situationen im Arbeitsalltag einstellen können und in der Lage sein, schnelle pragmatische Lösungen finden. Besonders wichtig sind Geduld und die Fähigkeit, Ruhe zu bewahren, wenn sich die Jugendlichen nicht wie erwartet verhalten.
Wie werden die Freiwilligen auf ihre Arbeit mit behinderten Menschen vorbereitet?
Wir arbeiten nicht mit schwerbehinderten Jugendlichen, so dass sensible Aufgaben wie Unterstützung beim Toilettengang oder bei der Nahrungsaufnahme nicht anfallen. Stattdessen unterstützen uns die Freiwilligen bei der Betreuung, helfen bei spielerischen und pädagogischen Aktivitäten und fördern die Kinder in ihrer Entwicklung. Über das weltwärts-Programm gibt es vorbereitende Seminare. Diese beschäftigen sich zwar weniger mit unserer konkreten Arbeit, dafür aber mit dem lateinamerikanischen Kontext insgesamt.
Gibt es auch Dinge, die Freiwillige nicht tun dürfen?
Es ist jedoch wichtig zu betonen, dass unsere Freiwilligen keine festangestellten Mitarbeitenden ersetzen. Sie sind niemals allein mit den Kindern – unsere Sozialarbeiter*innen sind immer anwesend, um sie auf wichtige Aspekte hinzuweisen. Darüber hinaus legen wir großen Wert auf ein professionelles, institutionelles Vertrauensverhältnis. Deshalb ist es Freiwilligen nicht erlaubt, nach ihrer Zeit bei uns privaten Kontakt zu den Kindern und Jugendlichen zu halten. Das dient dem Schutz vor Missbrauch und Ausnutzung.