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Inklusives Reisen für gesellschaftlichen Wandel

TO DO-Menschenrechtspreis 2025


Von Neha Arora

Stellen Sie sich vor, Sie sitzen im Rollstuhl, besuchen ein 1000 Jahre altes historisches Gebäude und müssen feststellen, dass Sie es von innen gar nicht besichtigen können, weil es nur über eine Treppe zugänglich ist. Oder stellen Sie sich vor, Sie sind schwerhörig oder taub und können mit ihrem Guide nicht kommunizieren, dabei verfügt das Angebot, das Sie gebucht haben, doch immerhin über eine rollstuhlgerechte Toilette.

Für Menschen mit Behinderungen kann Reisen anstrengend und herausfordernd sein. Berücksichtigt man auch deren Freundeskreis und Familie, gilt dies für mehr als 25 Prozent der Weltbevölkerung. Meine Mutter ist Rollstuhlfahrerin. Mein Vater ist blind und trägt aufgrund von altersbedingter Schwerhörigkeit ein Hörgerät. Kürzlich wurde bei ihm zudem Parkinson diagnostiziert. Dass ich als Kind nie in die Ferien fahren konnte und meine Eltern bis vor einigen Jahren auch noch nie im Urlaub waren, hat mich sehr mitgenommen.

Erst als ich angefangen hatte zu arbeiten und Geld gespart hatte, machten wir unseren ersten Familienurlaub. Und erst dann wurde mir klar, dass es gar nicht so sehr darum ging, sich das Reisen leisten zu können. Die eigentlichen Probleme waren der Mangel an Informationen über Barrierefreiheit in der Urlaubsregion, die physische Infrastruktur, die Unzugänglichkeit der Kommunikationskanäle, die fehlende digitale Barrierefreiheit sowie die gesellschaftliche Stigmatisierung und Vorurteile. Niemand scheint von Menschen mit Behinderungen zu erwarten, dass sie reisen, weil davon ausgegangen wird, dass sie nicht arbeiten und kein Geld haben.

Motivation zum Handeln

Diese Wahrnehmung wollte ich ändern und Lösungen entwickeln, und ich wollte mich selbst davon überzeugen, dass dies eine finanziell tragfähige Geschäftsidee sein könnte. Also begann ich mit meinen Recherchen. Dazu gehörte auch, dass ich an verschiedenen Flughäfen saß, um die dort ankommenden Reisenden mit Behinderungen zu zählen. Ich begann in meinem Heimatland Indien und war auf dem Weg, zur Tourismusunternehmerin mit der vermutlich geringsten Reiseerfahrung zu werden.

Andere Unternehmen im Bereich barrierefreies Reisen, die ich im Internet fand, konzentrierten sich in der Regel auf nur eine Art von Behinderung, was für mich wenig Sinn ergab. Wenn eine Behinderung darüber entscheidet, mit wem, wann und wohin man reist, dann ist das doch wieder Diskriminierung. Warum sollte jemand mit einer oder mehreren Behinderungen in Bezug auf Reisen keine freie Wahl haben?

Das inklusive Modell

So entstand Planet Abled. Von Anfang an nahmen an all unseren Gruppenreisen Menschen mit unterschiedlichen Behinderungen und Menschen ohne Behinderungen gemeinsam teil. Was das bewirkt, hätte selbst ich niemals erwartet. Viele unserer Reisegäste schlossen Freundschaften. Einige kamen und erzählten uns, dass sie ihr Büro barrierefrei gestalten und Menschen mit Behinderungen einstellen wollten. Ein anderer Reisegast ohne Behinderung berichtete, dass er vorher schon mal am selben Urlaubsort gewesen sei, den Ort jedoch als Mitreisender eines Menschen mit Behinderung ganz neu wahrnehmen würde. Ein blinder Mann, der sich auf einer der Reisen nicht mit einem gehörlosen Mädchen verständigen konnte, begann sogar, eine Handy-App zu entwickeln, die Zeichen in Sprache und Sprache in Zeichen umwandeln kann. Der Tourismus wurde plötzlich zu einem Instrument für gesellschaftliche Veränderungen.

Unsere Vorgehensweise

Ich möchte es in meinem Leben schaffen, Barrierefreiheit und Inklusion in der Tourismusbranche auf breiter Front umzusetzen. Alles, was die Branche braucht, ist gute Vorbereitung, Schulungen und einen transparenten Informationsaustausch. Wir haben mit unserer Arbeit in Indien begonnen, arbeiten nun international und haben auch in Wien ein Büro.

Die Destinationsentwicklung umfasst die Prüfung des Reiseziels in Bezug auf unterschiedliche Anforderungen an die Barrierefreiheit. Sie beinhaltet die Schulung von Mitarbeitenden, Reiseleiterinnen und Reiseleitern, Fahrerinnen und Fahrern und weiteren Akteurinnen und Akteuren an allen Berührungspunkten der Reise sowie deren Unterstützung bei der Verbesserung der Barrierefreiheit. Ebenfalls erwähnenswert ist die Lobbyarbeit, die wir bei Behörden betreiben.

Im Laufe der Jahre haben wir uns nicht nur auf Urlaubsreisen beschränkt, sondern haben auch internationale Parasportteams, Nobelpreisträger, Paralympioniken und Konferenzteilnehmende betreut und Reisedienstleistungen und Logistik für sie organisiert. Barrierefreies Reisen gibt es in allen Formen und Größenordnungen.

Konsultation bei den Vereinten Nationen in Wien

Um der Frage auf den Grund zu gehen, warum Menschen mit Behinderungen auf Reisen immer noch unangenehme Erfahrungen machen, führte Planet Abled 2023 eine Konsultation mit verschiedenen Akteursgruppen bei den Vereinten Nationen in Wien durch. Als wichtigstes Ergebnis kam dabei heraus, dass zwischen dem, was eine Organisation formalen Ansprüchen genügend als barrierefrei betrachtet, und den Erwartungen und Bedürfnissen von Reisenden mit Behinderungen eine große Lücke klafft. Als Branche müssen wir darauf hinarbeiten, diese Lücke zu schließen.

Barrierefreiheit auf breiter Front umsetzen

Um dies zu erreichen, berät, schult und zertifiziert Planet Abled Tourismusakteurinnen und -akteure. Dies beinhaltet auch die Überwachung von Wirkungskennzahlen über einen bestimmten Zeitraum, um erreichbare Benchmarks für die Rentabilität ihrer Investitionen in die Barrierefreiheit zu haben. In den Unternehmen werden Verantwortliche für Barrierefreiheit benannt, um den Staffelstab intern weiterzutragen.

Die Tourismusbranche braucht nicht extra Reiseunternehmen für Menschen mit Behinderungen. Wir müssen Barrierefreiheit auf breiter Front umsetzen, damit Menschen mit Behinderungen freie Wahlmöglichkeiten haben, damit Informationen zur Barrierefreiheit verfügbar sind und damit die Servicequalität durch echten Willen und nicht nur durch die Einhaltung von Vorschriften bestimmt wird.

Nachdem wir Barrierefreiheit und Inklusion im Tourismus sieben von 17 Zielen für nachhaltige Entwicklung (SDGs) zugeordnet haben, können wir nicht über nachhaltigen Tourismus sprechen, ohne auf Barrierefreiheit einzugehen. Jeder Mensch ist wahrscheinlich irgendwann im Leben mit Behinderung konfrontiert, sei es von Geburt an, durch einen Unfall, aufgrund einer Krankheit oder im Alter. Dazu können auch chronische Schmerzen, Long-Covid, Demenz oder Depressionen gehören, die unsichtbar sind und dadurch zusätzliche Probleme mit sich bringen.

Wenn wir einen wirklichen Wandel herbeiführen und dafür sorgen wollen, dass Menschen mit Behinderungen genauso problemlos reisen können wie Menschen ohne Behinderungen, müssen wir gemeinsam an diesem inklusiven Modell arbeiten. Wir müssen aus barrierefreiem Reisen als „Problem“ der Tourismusbranche einen Anspruch machen und darum konkurrieren, wer die besseren Dienstleistungen anbietet.

 

Neha Arora, Gründerin von Planet Abled, ist eine Pionierin für inklusives Reisen für Menschen mit Behinderungen und Seniorinnen und Senioren. Sie ist Preisträgerin des TODO Award Human Rights in Tourism 2025.

Die Preisverleihung für den TO DO Award auf der ITB Berlin wird am 5. März 2025 um 18 Uhr auf der eTravel-Bühne in Halle 6.1 stattfinden.

Weitere ITB-Veranstaltungen mit Neha Arora:

Podiumsdiskussion “Travelling Together: Embracing Inclusivity for Industry Growth” am 4. März 2025 um 11.45 Uhr auf der grünen Bühne in Halle 7.1b.

BMZ und UN Tourism Special Session: “Breaking Barriers. Pathways to Inclusive Employment and Accessible Tourism” am 5. März 2025 um 16 Uhr auf der blauen Bühne in Halle 7.1b