Von Christina Kamp, freie Autorin
Digitale Technologien haben sich für die Tourismusbranche als disruptiv erwiesen und verändern die Branche. Ob diese Veränderungen zu Verbesserungen beitragen und Nachhaltigkeit befördern, hängt stark davon ab, wie und wofür sie genutzt werden. Denn ebenso besteht die Gefahr, dass sie Probleme verschärfen oder neue schaffen. Einige der aktuellen Tech-Trends im Tourismus und damit verbundene Chancen und Risiken beleuchten Tourism Watch und Partner*innen in der neuen Publikation „Digitale Trends im Tourismus – zwischen Algorithmus und Ausbeutung“.
Die Beiträge zeigen die Vielfalt an Implikationen von sozialen Medien, Reiseportalen und Apps, künstlicher Intelligenz (KI) und virtueller Realität (VR) im Tourismus. Reisende mit ihren individuellen Wünschen haben heute völlig neue Möglichkeiten, sich selbst personalisierte Reiseprogramme zusammenzustellen und diese auch nachhaltig zu gestalten. Doch können sie der KI vertrauen? Sheikh Mastura Farzanas Beitrag zeigt am Beispiel von ChatGPT, welche Gefahren in der Nutzung generativer KI-Systeme lauern. Zwar werden die Modelle nach und nach besser, reproduzieren aber immer noch Stereotypen und liefern viele falsche und irreführende Informationen, die Nutzer*innen unbedingt nachrecherchieren sollten.
Susanne Egermeier und Claudia Mitteneder vom Studienkreis für Tourismus und Entwicklung zeigen, wie Reisende mit digitalen Reiseführern und Apps unabhängiger und flexibler geworden sind. Doch diese Tools hätten auch blinde Flecken, vor allem bei Reisen in den Globalen Süden. Wo kulturelle Codes komplex sind, Infrastrukturen nicht immer reibungslos funktionieren und Begegnungen mit Menschen oft mehr bedeuten als der Blick auf Sehenswürdigkeiten, stießen Apps und KI-Systeme schnell an ihre Grenzen. Der Studienkreis-Beitrag „Digitale Reiseführer versus persönliche Reiseleitung“ ist ein Plädoyer für Reiseleiter*innen vor Ort, die nicht nur helfen, Wissen zu vertiefen und Perspektiven zu erweitern, sondern auch aktiv daran arbeiten, Vorurteile abzubauen und interkulturelles Verständnis und Empathie zu fördern – was digitale Guides nicht leisten können.
Risiken und Chancen durch soziale Medien
Die interkulturellen und zwischenmenschlichen Dimensionen im Tourismus sind umso wichtiger vor dem Hintergrund der Wirkungsmechanismen sozialer Medien. Reiseinfluencer*innen bewerben fotogene, „instagrammable“ Destinationen meist eher als Kulissen zur Selbstdarstellung statt als Orte für interkulturelle Begegnungen. Das bringt Risiken mit sich, zeigt Lea Thin in ihrem Beitrag „Wie Social Media das Reisen verändert“ – von verzerrten Darstellungen bis hin zu Overtourism in den so beworbenen Orten und Regionen. Allerdings sähen sich immer mehr Influencer*innen durchaus auch in der Verantwortung, nachhaltiges Reisen zu fördern. Indem sie Ökotourismus, faire Unterkünfte und lokale Initiativen bewusst präsentieren, können sie dazu motivieren, ressourcenschonender zu reisen. Soziale Medien seien also zugleich Risiko und Ressource – je nachdem, wie bewusst sie eingesetzt würden.
In Bezug auf den Schutz von Kindern überwiegen jedoch die Risiken, warnt Antje Monshausen, Geschäftsführerin von ECPAT Deutschland e.V., in ihrem Beitrag „Digitale Anbahnung, lokale Ausbeutung“ über sexualisierte Gewalt gegen Kinder im Tourismus. Die sexuelle Ausbeutung von Kindern und Jugendlichen ist eine der gravierendsten Menschenrechtsverletzungen im Tourismus. Digitale grenzüberschreitende Kommunikationsmöglichkeiten haben die Risiken noch erheblich erhöht. Denn soziale Medien, Online-Spiele mit Chatfunktionen oder Dating-Plattformen erleichtern reisenden Täter(*innen) – ca. 85 Prozent von ihnen sind männlich – die Anbahnung von Kontakten, ermöglichen die Ausübung von Kontrolle und verlängern das Leid der Kinder in Ausbeutungssituationen. Auf sozialen Netzwerken und im Darknet gelingt es reisenden Sexualstraftätern(*innen), sich zu vernetzen und Informationen und Darstellungen sexualisierter Gewalt auszutauschen. Um Kinder zu wirksam zu schützen, gelte es, die Prävention und Interventionen im digitalen Raum zu verstärken – durch mehr Unternehmensverantwortung in Tech-Konzernen und Tourismusunternehmen, verbesserte Medienkompetenz von Eltern und Kindern und konsequentere Strafverfolgung.
Mehr Tech als Mensch
Während im Tourismus bislang vor allem natürliche Standortvorteile wie schöne Landschaften, authentische Kultur oder historische Stätten Gäste anzogen, führt der digitale Trend zu so genannten „immersiven“ Ausstellungen in künstliche, kuratierte Erlebniswelten. Sehenswertes wird nicht mehr mit allen Widrigkeiten wie langen Warteschlangen, Hitze oder wundgelaufenen Füßen erlebt, sondern mit Hilfe virtueller Realität und Animationen in ausgedienten Fabrik- oder Lagerhallen. Immersive Formate sind weniger authentisch, bieten aber innovative Ansätze, Kunst zu vermitteln, Kulturerbe zu bewahren oder sonst kaum erreichbare Destinationen zu erleben. Auch für den internationalen Kulturaustausch und die Bildungsarbeit zu nachhaltiger Entwicklung eröffnen sie neue Chancen.
Wie im sich der technische Wandel im Bereich der Arbeit im Tourismus auswirkt, beschreibt Ernest Cañada von der katalanischen Organisation Alba Sud. Er zeigt, wie durch Digitalisierung in der Hotellerie Beschäftigte entlastet, aber auch stärker kontrolliert oder schließlich „wegrationalisiert“ werden können. Aufgaben wie der Check-in werden – natürlich unbezahlt – an die Gäste selbst delegiert, die oft nur noch über einen Code am Schlüsselkasten in ihre Unterkunft gelangen. Gastfreundschaft werden sie auf diese Weise kaum erleben. Ohnehin schon prekäre Arbeitsplätze laufen Gefahr, abgeschafft zu werden, und der personalintensive Tourismus wird in Zukunft weniger mit der Schaffung von Arbeitsplätzen punkten können.
Strom- und Wasserverbrauch: Elefanten im virtuellen Raum
Die Beiträge machen deutlich, wie an vielen Stellen im Tourismus menschliche Arbeit durch digitale Technologien ersetzt wird. Dies hat weitreichende Konsequenzen, die über den Tourismussektor selbst hinausgehen. Viele digitale Technologien erfordern enorme Rechenleistung, verursachen erhebliche CO2-Emissionen und treiben weltweit den Klimawandel voran. Die Anwendungen im Tourismus tragen zur Nachfrage nach ressourcenintensiven Supercomputing-Zentren bei, die sowohl Daten speichern als auch Rechenleistungen erbringen. Solche Zentren benötigen neben dem Wasserbedarf der stromproduzierenden Kraftwerke ebenso enorme Mengen an Kühlwasser. Auch die Probleme im Zusammenhang mit den steigenden Mengen an Elektronikschrott sind bislang ungelöst.
Noch sind nicht alle dieser Tech-Trends im Globalen Süden im gleichen Umfang angekommen wie im Norden. Zuweilen vielleicht zum Glück: Wenn Beschäftigte noch nicht so schnell durch Technik ersetzt werden und zwischenmenschliche Kontakte und Gastfreundschaft ihren Wert behalten. Aber die ökologischen Folgen treffen die Länder des Südens unverhältnismäßig stark, unabhängig davon, ob sie von dem profitieren, was sie ausgelöst hat, oder nicht.




