Dossier Digitalisierung

Gewinner und Verlierer von Tourismusplattformen

Digitalisierung im indischen Tourismus


Titelbild der Studie: Techno-Dispurtions in Travel and Tourism.

Flight ticket booking concept with person using a white smartphone

Indien ist einer der am stärksten digitalisierten Reisemärkte der Welt. Statt internationaler Top-Player wie Booking, HRS und Airbnb dominieren hier vor allem nationale Plattformen den Markt. Doch davon profitiert nicht jeder. In einer Studie für Tourism Watch hat die Organisation IT for Change die Auswirkungen von Plattformen auf den indischen Tourismussektor untersucht. Die leitende wissenschaftliche Mitarbeiterin und Autorin der Studie, Deepti Bharthur, berichtet über die wichtigsten Ergebnisse im Interview mit Lea Thin.

Lea Thin (LT): Deepti, Plattformen dominieren den Tourismusmarkt in Indien. Wer ist der große Gewinner dieser Entwicklung und wer verliert?

Deepti Bharthur (DB): Die größten Gewinner sind die Plattformen selbst. Sie bedienen einen riesigen Markt und haben sich einen Wettbewerbsvorteil verschafft, der kaum zu überbieten ist. Besonders die großen Plattformen verfügen über Risikokapital, mit welchem sie Rabatte ausgleichen und so ihren Kund*innen sehr attraktive Preise anbieten können. Für kleine und mittlere Hotels sind die Plattformen jedoch ein Problem. Durch die starken Rabatte sind ihre Umsätze gesunken. Auch lokale Reiseveranstalter, insbesondere im Bereich des Abenteuertourismus, haben zu kämpfen. Sie sind in der Regel an abgelegenen Orten, wie den Bergen, tätig und können die digitale Infrastruktur daher nur begrenzt nutzen. Sie sind online kaum sichtbar und können nur viel langsamer reagieren als die große Konkurrenz auf den Plattformen. In Kombination mit den Rabatten, werden die Plattformen als Buchungsinstrument für Kund*innen damit attraktiver.

LT: Können Tourismusanbieter in Indien heute noch ohne Plattform erfolgreich sein?

DB: Das ist unterschiedlich. Gerade indische Reisende sind eher preisbewusst. Daher sind vor allem im Inlandstourismus Plattformen mit ihren günstigen Preisen schwer zu schlagen. Trotzdem sind alternative Geschäftsmodelle vorstellbar. Der Tourismussektor in Indien ist so groß, dass ganz unterschiedliche Akteure ein Stück vom Kuchen abhaben können. Wir haben das vor allem bei älteren Unternehmen beobachtet, die schon seit vielen Jahren in der Branche mitmischen. Sie haben sich schon lange bevor es Plattformen gab eine treue Kundenbasis aufgebaut. Aber auch neuere Akteure, die auf Nischenangebote spezialisiert sind, soziale Medien gekonnt nutzen und sich mit ihrer Marke einen Namen gemacht haben, können erfolgreich sein. Die meisten Anbieter*innen wünschen sich jedoch die bestmögliche Sichtbarkeit im Internet. Das beinhaltet in der Regel auch die Präsenz auf einer Plattform.

LT: Können Plattformen kleine und mittelständische Unternehmen (KMU) auch stärken und damit einen Beitrag zu nachhaltiger Entwicklung leisten?

DB: In unserer Studie schlagen wir einige Maßnahmen vor. Plattformen könnten etwa lokale Unternehmen vorrangig präsentieren, ihre positiven Auswirkungen auf ihr Umfeld sichtbar machen und ihre Daten mit lokalen Tourismusagenturen teilen. Insbesondere im Globalen Süden verfügen private Plattformen über enorme Datenmengen aller Art, angefangen von Verkehrsströmen bis hin zum ökologischen Fußabdruck. Diese Daten sollten eigenhändig an lokale Behörden und kleine Unternehmen weitergegeben werden, damit dieses Wissen auch Eingang in deren Entscheidungen findet. Das kann KMU stärken und ihre Wettbewerbsfähigkeit im Zeitalter digitaler Tourismusplattformen verbessern. Plattformen können zudem Tourist*innen dabei helfen, nachhaltige Entscheidungen zu treffen, die die lokale Wirtschaft fördern anstatt sie zu zerstören. Zum Beispiel sollten Unterkünfte nicht nur nach Standort und Sauberkeit bewertet werden können, sondern auch nach der Qualität der Arbeitsbedingungen für ihre Mitarbeiter*innen. Erhalten sie faire Bezahlung, faire Verträge? Agieren die Betreiber umweltfreundlich? Sind Männer und Frauen gleichberechtigt? All diese Informationen könnten prominent auf Plattformen angezeigt werden.

LT: Was kann die Politik tun, damit für KMU keine einseitige Abhängigkeit von Plattformen entsteht und das Machtungleichgewicht langfristig ausgeglichen wird?

DB: Plattformregulierung ist ein sektorübergreifendes Thema. Monopolbildung, Steuervermeidung, Abschaffung der sozialen Sicherheit von Arbeitnehmer*innen oder unfaire Preismechanismen sind Probleme, die es auch in den Bereichen E-Commerce, Mobilität und Verkehr oder bei Lieferservices gibt. Daher brauchen wir umfassende politische Reformen. Zwei Punkte sind dabei entscheidend: Erstens müssen die bestehenden Rahmenbedingungen für Wettbewerb und Kartellrecht untersucht werden, um festzustellen, wie und wo die neue Problematik der Plattformdominanz berücksichtigt werden kann. Aktuell orientieren sich Regulierungen im Onlinemarkt hauptsächlich am Wohl der Verbraucher*innen, so dass sie Marktverzerrungen häufig nicht erfassen. Das muss sich ändern. Der Umgang mit Daten ist der zweite wichtige Bereich. Ohne Richtlinien, die Schutz für personenbezogene Daten gewährleisten und deren Weitergabe regeln, nützen Daten, die auf privaten Tourismusplattformen gewonnen werden, nur einigen wenigen Akteuren während andere mit immer größeren Informationsdefiziten zu kämpfen haben.

LT: Digitale Buchungsplattformen leisten einen enormen Beitrag zum Tourismuswachstum. Neben wirtschaftlichen Auswirkungen, zieht dieser Boom auch Konsequenzen für die Umwelt nach sich. Was können Reiseziele wie Indien tun, um hier einzugreifen?

DB: Die Auswirkungen des „overtourism“ selbst müssen von den lokalen Regierungen reguliert werden. Sie müssen Studien durchführen und ihr Ressourcenmanagement in Bezug auf Wasser, Landnutzung und Degradierung untersuchen. Plattformen sind nicht unbedingt in der Lage, das Problem des „overtourism“ zu lösen. Sie können jedoch ganz neue touristische Orte erschaffen. Mit ein paar schönen Bildern und einer Liste von „unentdeckten Orten, die man gesehen haben muss“,  können neue Reiseziele viral gehen. Das kann eine Strategie sein, um besonders stark besuchte Orte zu entlasten und die Tourist*innen aus überfüllten Gebieten umzuverteilen. Das kommt auch der lokalen Wirtschaft dieser neuen Tourismusorte zugute. Dies muss jedoch sehr bewusst und in enger Zusammenarbeit mit lokalen Akteuren geschehen.

Lea Thin ist Geographin und freiberufliche Journalistin aus Berlin. In ihrer Arbeit beschäftigt sie sich vor allem mit den Themen Nachhaltigkeit, Klima- und Entwicklungspolitik sowie Gender.