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Surftourismus weltweit

Von der neokolonialen Aneignung zur kulturellen Weiterentwicklung


Zaun aus Surfbrettern

Für die Kanaka Maoli, die indigene Gemeinschaft der Inselgruppe Hawaii, ist Carissa Moore mehr als nur die erste Olympiasiegerin im Wellenreiten. Der Gewinn ihrer Goldmedaille beim olympischen Debut der Sportart 2021 in Tokio ist eine bestärkende Kraft für die indigene Gemeinschaft, die noch immer mit ihrer Kolonialgeschichte und deren heutigen Folgen zu kämpfen hat und in der das Wellenreiten eine wichtige Rolle spielt.

Von kolonialer Vergangenheit zu kommerzialisierter Gegenwart

Wellenreiten ist eine jahrtausendalte Tradition der polynesischen Inseln, die vor allem in Hawaii gut dokumentiert ist. Dabei war das Surfen nicht nur ein spaßiger Zeitvertreib, sondern auch ein spiritueller Akt. Die Hawaiianerinnen und Hawaiianer feierten damit das Leben und ihre Verbundenheit zum Ozean. Wenn ein Baum ausgewählt und für den Bau eines Surfbrettes gefällt wurde, wurden Opfergaben für die Götter gebracht. Die Herstellung des Surfbretts wurde von Priestern mit religiösen Zeremonien begleitet. Surfwettbewerbe dienten dazu, Streitigkeiten zwischen Inselbewohnerinnen und Inselbewohner zu schlichten und soziale Hierarchien innerhalb der Gemeinschaft zu bestimmen.

Im Zuge der christlichen Missionierung wurde die Sportart im 19. Jahrhundert aber verboten und verschwand beinahe völlig. Es waren Reisende wie Mark Twain, die durch Berichte über diesen traditionellen Zeitvertreib der Hawaiianerinnen und Hawaiianer den Grundstein dafür legten, dass das Surfen ans US-Festland gelangte. Anfang des 20. Jahrhunderts sorgte insbesondere Duke Kahanamoku aus Hawaii, mehrfacher Olympiasieger im Schwimmen, für eine Verbreitung der Sportart in der ganzen Welt. Ab den 1960er-Jahren begann der Einzug des Surfens in die US-amerikanische und australische Populärkultur. Durch Kommerzialisierung und die Darstellung kultureller Stereotypen wurde die Sportart jedoch in dieser Zeit nachhaltig von ihren kulturellen und religiösen Ursprüngen entkoppelt. Sie wurde Teil einer weiß dominierten (wenn auch braungebrannte), kapitalistischen Kultur.

Inzwischen ist Surfen eine Milliarden-Dollar-Industrie. Es gibt weltweit schätzungsweise 30-35 Millionen Wellenreiterinnen und Wellenreiter - gesurft wird auf allen Kontinenten. Selbst in wellenarmen Ländern, wie Deutschland, verwandelt sich die Sportart vom Nischen- zum populären Breitensport. Zwar gibt es hier kaum gute Wellen zum Surfen, dafür verreisen immer mehr Menschen, um einen Surfurlaub zu machen.

Surftourismus als Chance, neokolonialen Strukturen entgegenzuwirken

Auf der ganzen Welt gibt es Surfschulen und Surfcamps, in denen sowohl die praktische Ausführung der Sportart als auch theoretische Inhalte gelehrt werden. Neben Vorträgen über Wellenkunde oder über den Einfluss der Gezeiten bestünde hier die Möglichkeit, auch Informationen zum kulturellen Ursprung und der spirituellen Bedeutung der Sportart zu vermitteln. So könnte der Grundstein gelegt werden, die jahrtausendalte Tradition wieder mit ihrem kulturellen Ursprung zu vereinen. Denn um von kultureller Aneignung zu anerkennendem kulturellem Austausch zu gelangen, ist es notwendig, sich aktiv mit den traditionellen Bräuchen, der kolonialen Vergangenheit und der neokolonialen Gegenwart des Wellenreitens auseinanderzusetzen. Durch eine Integration dieser Themen in Surfkurse können Surfschulen und –Camps niedrigschwellig viele Menschen erreichen, sie beeinflussen und somit eine wichtige Rolle einnehmen. Leider wird jedoch in der Regel diese Chance verpasst. Stattdessen wird die gängige neokoloniale Erzählung einer „exotischen“ Sportart für Weiße weitervermittelt. Hawaiianische Surfschulnamen oder Hibiskusblüten auf Websites imitieren einfach nur gewinnbringend den kulturellen Ursprung.

Von Costa Rica über Marokko und Sri Lanka bis nach Indonesien – überall gibt es Surf-Hostels und -Camps, die in ausländischer Hand sind. Die oft kleinen Orte, in denen sie sich niedergelassen haben, dienen nur als Kulisse zur Ausübung des Sports. Das einheimische Personal übernimmt häufig nur Hilfsarbeiten. So bleiben wirtschaftliche Entwicklung und lokale Wertschöpfung gering und auch der kulturelle Austausch zwischen Reisenden und den lokalen Gemeinschaften findet zu selten auf Augenhöhe statt. Durch die fehlende lokale Einbettung des surftouristischen Angebots setzt sich auf diese Weise ein klassisches neokoloniales Konzept fort.

Eine intensivere Auseinandersetzung mit der kolonialen Überprägung des traditionellen Surfsports wäre eine Chance, auch den Surftourismus zu verändern, der heute zu oft selbst Teil von neokolonialen Machtstrukturen ist.

Der Autor Johannes Klinge absolviert derzeit im Rahmen seines Masters „Sporttourismus und Destinationsmanagement“ in Köln ein Praktikum bei Tourism Watch. Er ist passionierter Surfer und hat langjährige Erfahrung als Surflehrer.