Blog

Menschenrechtssensibel von Anfang an - Bericht zur Podiumsdiskussion "Alles was Recht ist", ITB 2011


Eine Menschenrechtspolitik in Unternehmen und präventive Folgeabschätzungen bei Investitionsprojekten im Tourismus können dazu beitragen, dass der Tourismus keinen "menschenrechtlichen Schaden" anrichtet. Dies stellten Expertinnen und Experten zu Tourismus und Menschenrechten auf einer Podiumsdiskussion auf der Internationalen Tourismusbörse (ITB) am 11. März 2011 in Berlin fest. Die Vertreterinnen und Vertreter aus Politik, Wirtschaft und Zivilgesellschaft zeigten den Rahmen auf, den das internationale Menschenrechtsinstrumentarium für den Tourismus vorgibt, und führten konkrete Beispiele an, wie der Tourismus Menschenrechte verletzt und was man dagegen tun kann.

Heinz Fuchs, Leiter der Arbeitsstelle Tourism Watch im Evangelischen Entwicklungsdienst (EED), dämpfte in seiner Einführung das Vertrauen in die Selbstregulierungsmechanismen der Tourismuswirtschaft und skizzierte die Grenzen der Freiwilligkeit. Das Recht auf menschenwürdige Arbeitsbedingungen, die Chancengleichheit für Männer und Frauen, der Schutz von Kindern vor Gewalt und sexueller Ausbeutung sowie eine ganze Reihe weiterer Rechtsgrundlagen hätten "so überhaupt nichts mit Freiwilligkeit zu tun."

Wo Menschenrechte und Tourismus zusammenstoßen

Michael Windfuhr, stellvertretender Direktor des Deutschen Instituts für Menschenrechte, machte einige der Zusammenhänge deutlich, in denen touristische Aktivitäten zu Menschenrechtsverletzungen führen. Er betonte die vorrangige Verantwortung der Regierungen im Zielland: Sie müssen zum Beispiel angemessen kontrollieren, dass ein Investor bei der Ansiedlung eines Hotel nicht einfach Leute zwangsvertreiben kann, oder dass ein Golfplatz nicht das gesamte Wasser der Region abpumpt. Sie müssen sicherstellen, dass Arbeitnehmerrechte in den Hotelanlagen berücksichtigt werden. Das große Problem im Menschenrechtsschutz sei jedoch, dass man es immer wieder mit Regierungen zu tun habe, die entweder unwillig oder unfähig sind, die Menschenrechte durchzusetzen, z.B. weil sie selbst mit profitierten oder weil sie kaum die bürokratischen Kapazitäten haben, Investoren zu kontrollieren. In solchen Fällen sei die Selbstkontrolle der Tourismuswirtschaft umso wichtiger.

Tourismusunternehmen können sich nicht einfach auf Regierungen berufen, die selbst Menschenrechte verletzen, wie es ein Tourismusanbieter in Botswana versucht (s. TW 62, März 2011) Dies zeigte Linda Poppe von der Menschenrechtsorganisation "Survival International", die sich  für die Rechte indigener Völker einsetzt. Sie berichtete auch von den Jarawa auf den zu Indien gehörenden Andamanen, die noch nicht lange Kontakt zur Außenwelt hätten. Zu ihrem Schutz (zum Beispiel vor Krankheiten wie der von Touristen eingeschleppten Grippe, gegen die sie kaum Immunität haben), sei eine Pufferzone um ihr Reservat eingerichtet worden. Ein Tourismusunternehmen habe versucht, diese Pufferzone rechtlich anzufechten, hatte damit aber keinen Erfolg. Vor dem Hintergrund dieses und weiterer Beispiele stellte Linda Poppe fest, dass Reiseunternehmen unabhängig von der nationalen Politik der Regierungen ganz zentrale Akteure sind und dass "das Thema Menschenrechte ein Thema ist, mit dem man sich beschäftigen muss".

Für eine Kultur des Hinsehens

In welcher Form zum Beispiel die TUI dies tut, erläuterte Lena Lawitschka, Referentin für Nachhaltigkeitsmanagement bei TUI Deutschland. Sie machte deutlich, wie durch den Klimawandel Menschenrechte betroffen sein können: durch die Vertreibung aufgrund von steigendem Meeresspiegel, Anpassungsschwierigkeiten oder die Konkurrenz in der Landwirtschaft durch den Anbau von Energiepflanzen zum Klimaschutz. Auf Anregung von Tourism Watch habe die TUI im vergangenen Jahr die CO2-Belastung, die bei Flügen entsteht, in die Kataloge aufgenommen.

Zum Schutz von Kindern vor sexueller Ausbeutung im Tourismus habe die TUI den entsprechenden Verhaltenskodex unterzeichnet und Hotelpartner verpflichtet, sich gegen die sexuelle Ausbeutung von Kindern zu richten. Bei Nichteinhaltung dieses Passus könnten Verträge fristlos gekündigt werden. Das Unternehmen habe die gesamte Kommunikation und Schulungen darauf ausgerichtet, eine "Kultur des Hinsehens" zu schaffen und seine Gäste dafür zu sensibilisieren, dass sie als Zeugen und Beobachter sehr wichtig sind. Dies gelte, so Lena Lawitschka, nicht nur für die sexuelle Ausbeutung von Kindern sondern generell für die Verletzungen von Menschenrechten. Doch das Nachhaltigkeitsmanagement der TUI sei darauf angewiesen, dass Gäste und Partner sie auf Missstände hinweisen.

Lena Lawitschka betonte, dass es in Deutschland zum Kinderschutz inzwischen eine starke und engagierte Brancheninitiative gebe. Aber um in diesem Bereich wirklich etwas zu bewegen, sei die Branche auf die Regierungen der jeweiligen Länder angewiesen. "Denn heute gibt es leider ein Netz aus Korruption, Seilschaften und Geld, wo auch Politiker und die Polizei verstrickt sind, und die Regierung deshalb zum Teil selber kein Interesse daran hat, tatsächlich gegen die Ausbeutung von Kindern anzugehen", so Lawitschka.

Diese Einschätzung bestätigte auch Pfarrer Shay Cullen von der Kinderschutzorganisation Preda in den Philippinen, einem Land, wo Tausende von Frauen und Kindern in die Sklaverei verkauft werden. Preda deckt Missbrauchsfälle auf und setzt sich für die Rechte der betroffenen Kinder ein. "Wenn die Hotelmitarbeiter den Gästen Kinder als Prostituierte vermitteln, muss die Hotelkette mit dieser Realität konfrontiert werden", so Shay Cullen. Die Opfer müssen unterstützt und gestärkt werden und schließlich auch in der Lage sein, als Zeugen auszusagen. Um sicherzustellen, dass die Menschenrechte im Tourismus geachtet werden, sieht Shay Cullen nur einen Weg: die strenge Überwachung von Menschenrechtsverletzungen. "Wenn Reiseveranstalter oder Hoteliers dem Missbrauch von Kindern Vorschub leisten, sollte dies aufgedeckt und international bekannt gemacht werden, so dass man diese Veranstalter und Hotels boykottieren kann."

Zwischen Strafrecht und Unternehmensverantwortung

Christoph Strässer, Mitglied des Menschenrechtsausschusses des Deutschen Bundestages, setzt zum einen auf strafrechtliche Verfolgung. Das sei jedoch nicht so einfach, denn dazu bedarf es einer intensiven Kooperation der Behörden. Zum anderen müsse die menschenrechtliche Verantwortung von Unternehmen herausgestellt werden. Die OECD-Leitsätze für multinationale Unternehmen, die gegenwärtig überarbeitet werden, seien in Bezug auf die Menschenrechte recht vage. In den neuen Leitsätzen sei ein explizit auf Menschenrechte bezogenes Kapitel vorgesehen. Doch die Leitsätze beinhalten keine Sanktionen und nichts Verbindliches zur Durchsetzung. Deutschland, so seine Forderung, müsse jetzt die Mitgliedschaft im UN-Sicherheitsrat nutzen, um die menschenrechtliche Verantwortung von Unternehmen im Rahmen der Vereinten Nationen zu stärken.

Michael Windfuhr spricht sich für Menschenrechtsfolgeabschätzungen aus, wie sie vom Sonderberichterstatter der Vereinten Nationen zum Recht auf Nahrung vorgeschlagen worden sind. "Solche systematischen Verfahren brauchen wir in höherem Maße", so Windfuhr. Damit lassen sich die potenziellen Auswirkungen von Projekten bereits im Vorfeld überprüfen, bevor es zu Menschenrechtsverletzungen kommt. "Due diligence", die größtmögliche Sorgfaltspflicht, müsse für den Tourismus erst noch definiert werden. Da könnten laut Windfuhr die Bundesregierung, aber auch Menschenrechtsorganisationen, eine Moderatorenrolle einnehmen. Im Alltagshandeln der im Tourismus Agierenden müsse verankert werden, "dass sie wirklich menschenrechtssensibel sind, von Anfang an" - und dass sich dies in ihren Aktivitäten auch praktisch widerspiegelt.

Weitere Informationen:

"Alles was Recht ist - Menschenrechte und Tourismus"

Hg. Evangelischer Entwicklungsdienst (EED) Tourism Watch, Bonn, 2011.

Zusammenfassung der Forderungen und Empfehlungen Gemeinsames Forderungspapier von Tourism Watch, Tourism Concern und Arbeitskreis Tourismus &Entwicklung (auch in englisch)

TourismWatch Informationsdienst Dritte Welt-Tourismus Nr. 62, März 2011. Schwerpunkt: Menschenrechte