Blog

Tourismus von und für Dorfgemeinschaften

Das brasilianische Netzwerk "Turisol"


Um die Diskussion über die Tourismusauswirkungen und die in Brasilien schon existierenden Ansätze des Solidaritätstourismus zu stärken, wurde 2003 inoffiziell das Brasilianische Netzwerk für solidarischen und gemeindebasierten Tourismus ("Rede Brasileira de Turismo Solidário e Comunitário – Turisol") gegründet. Das Netzwerk besteht aus brasilianischen Organisationen, die Solidaritätstourismusprojekte entwickeln, durch Erfahrungsaustausch existierende Initiativen unterstützen und weitere Dorfgemeinschaften für die Entwicklung eines anderen Tourismus gewinnen wollen.

Tourismusauswirkungen in Brasilien

Auch wenn der Tourismus als Entwicklungsinstrument betrachtet werden kann, erzeugt er auch negative Wirkungen. Verschiedene gesellschaftliche Gruppen werden ausgeschlossen und es kommt zur Zentralisierung von Macht. Es entsteht ökonomische Abhängigkeit von einer nicht-traditionellen und häufig saisonbedingten Aktivität. Die Natur, die gleichzeitig die Ressourcenbasis darstellt, erleidet Schäden. Das Einkommen aus dem Tourismus konzentriert sich in den Firmen, die diesen Sektor beherrschen und die geschaffenen Arbeitsplätze kommen selten der lokalen Bevölkerung zugute. Öffentliche Investitionen konzentrieren sich jetzt auf den Tourismus. Andere, traditionellere Sektoren der lokalen Wirtschaft werden dabei vernachlässigt. Die Gewinne, die den Menschen in den touristischen Zielgebieten bleiben, sind gering, verglichen mit den Gewinnen der transnationalen Tourismusunternehmen. Es sind zudem die lokalen Dorfgemeinschaften, die unter den negativen Folgen der Tourismusentwicklung am stärksten leiden.

Gemeindebasierte Projekte als Alternative

Vor dem Hintergrund dieser Auswirkungen begann in Brasilien eine Diskussion über die Notwendigkeit, neue Tourismusformen zu schaffen, die auf einem gerechten Modell basieren, das die Umwelt respektiert, die lokale Bevölkerung ins Zentrum der Planung, Durchsetzung und Kontrolle der Touristenaktivitäten stellt und so Arbeitsplätze und Einkommen für die lokale Bevölkerung schafft.

Die Erfahrungen in Brasilien haben gezeigt, dass die Menschen von dieser Art Tourismus stärker profitieren. Um solche Erfahrungen aktiv zu verbreiten und um Strategien für einen gerechten Tourismus zu entwickeln, bei dem die Menschen im Mittelpunkt stehen, wurde "Turisol" gegründet.

"Turisol"-Prinzipien

Nach den Richtlinien von "Turisol" wird ein Tourismus gefördert, der folgenden Prinzipien entspricht:

1. Die lokale Dorfgemeinschaft soll Inhaberin der Tourismusunternehmen sein und den Tourismus gemeinschaftlich verwalten.

2. Die lokale Dorfgemeinschaft soll Hauptnutznießerin des Tourismus sein, der zu ihrer Entwicklung und Stärkung dient.

3. Haupttouristenattraktion ist der Lebensstil der Dorfgemeinschaft, ihre Organisationsform, die sozialen Projekte, die Gemeinschaftsmobilisierung, kulturelle Traditionen und wirtschaftliche Aktivitäten.

4. Es werden Aktivitäten geschaffen, um den Besuchern kulturellen Austausch und Lernen zu ermöglichen. Es handelt sich nicht um kulturelle Folklore-Vorträge, sondern um Alltagsaktivitäten, die die Touristen kennen lernen sollen.

5. Die Reiserouten respektieren die Normen zur Erhaltung der Umwelt des Gebietes. Sie dürfen nur möglichst wenige Auswirkungen auf die Umwelt haben.

6. Transparenz bei der Mittelverwendung. Die Dorfgemeinschaft und die Besucher beteiligen sich an der gerechten Verteilung des finanziellen Gewinns.

7. Soziale Partnerschaft mit Reiseagenturen. Es wird versucht, mit dem gemeinschaftlichen Gewinn alle Teilnehmer der touristischen Wertschöpfungskette zu begünstigen.

Netzwerkkonsolidierung

Ende 2007 führten die Organisationen und Gemeinden Projeto Bagagem, Acolhida na Colônia, Prainha do Canto Verde, Stiftung Casa Grande, Institut Terramar, Grãos de Luz e Griô und das Umweltministerium ein Treffen durch, um "Turisol" zu stärken. Etwa zeitgleich zeigte auch das Tourismusministerium erstmals Interesse an dem Thema und organisierte ein Treffen mit einigen der NGOs. Gemeinsam mit dem Virtuellen Tourismusinstitut der Universität von Rio de Janeiro (UFRJ) wurde ein Vorschlag zur Schaffung eines brasilianischen Netzwerks für gemeindebasierten Tourismus vorgestellt. Auch das Umweltministerium und das Ministerium für Landwirtschaftsentwicklung waren beteiligt.

Da ein solches Netzwerk jedoch bereits existiert, entschied das Tourismusministerium, nicht noch ein neues zu schaffen. Stattdessen lancierte es im Juni 2008 eine Ausschreibung für gemeindebasierte Tourismusprojekte. Einige Mitglieder von "Turisol" organisierten sich, um sich mit einem Projekt für das Netzwerk zu bewerben. Jedes Mitglied koordinierte einen Arbeitsbereich, was schließlich zum "Turisol"-Arbeitsplan führte.

"Turisol"-Aktivitäten

Einer der wichtigsten Arbeitsbereiche von "Turisol" ist der Bereich Schulung und Ausbildung. Es werden Bildungsveranstaltungen auf lokaler, nationaler und internationaler Ebene organisiert. Didaktisches Material wird zu den Themen erstellt, die in den Veranstaltungen behandelt wurden, und zu den Methoden, die von den Netzwerkmitgliedern erfolgreich angewendet werden.

Ein weiterer wichtiger Bereich ist die Lobbyarbeit. Der Dialog mit den Ministerien und Behörden – Sitzungen, Vorschläge, die Erarbeitung von Projektausschreibungen sowie die Teilnahme als Netzwerk an diesen Ausschreibungen. Ein weiteres Standbein ist der Marketing-Bereich. Mit gemeinsamen Marketingprodukten und -strategien werden die einzelnen, von den "Turisol"-Mitgliedern angebotenen Zielgebiete beworben.

Eine ganze Reihe von Aktivitäten konnte bereits umgesetzt werden. So wurden bereits sieben Verwaltungsmodelle für gemeindebasierten Tourismus entwickelt, und drei für Unterkünfte in den Dorfgemeinschaften: Unterkünfte in Gastfamilien und in Lodges und Pousadas, die der Gemeinschaft gehören. Zum Beispiel hat Acolhida na Colônia eine Vorgehensweise im Bereich Agrotourismus entwickelt und systematisiert, die vom Tourismusministerium als Referenz im Sektor "ländlicher Tourismus" anerkannt wird. Das "Tucum"-Netzwerk im Nordosten Brasiliens hat systematisiert, wie gemeindebasierter Tourismus umgesetzt und gefördert werden kann. Projeto Bagagem und Grãos de Luz e Griô haben ein Integrationsprojekt zwischen gemeindebasiertem Tourismus und dem formalen Schulsystem entwickelt, das aber noch finanziert werden muss.

Entsprechend dem Aktionsplan bis 2010, der vom Tourismusministerium genehmigt wurde, sollen nationale und internationale Produkte mit allen Projekten der Netzwerkmitglieder geschaffen werden und gemeinsam vermarktet werden. Momentan besteht "Turisol" aus neun Mitgliedern in sieben brasilianischen Bundesstaaten und beteiligt 59 Gemeinden. Ziel ist es, das Netzwerk bis 2010 von neun auf 50 Mitglieder zu erweitern.

Cecilia Zanotti ist Gründungsmitglied und Präsidentin von "Projeto Bagagem", einer Nichtregierungsorganisation, die sich für die Förderung des gemeindebasierten Tourismus ("Turismo Comunitário") in Brasilien einsetzt.

Der Beitrag wurde von Ana Gabriela da Cruz Fontoura in ausführlicherer portugiesischer Fassung auf dem Weltsozialforum im Januar 2009 in Brasilien präsentiert.

Übersetzung aus dem Portugiesischen: Esther Neuhaus

Weitere Informationen: www.fboms.org.br. Dort ist auch der Original-Beitrag eingestellt.

(6.833 Anschläge, 98 Zeilen, März 2009)