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"Schmuddelthema"? Tourismus in der Entwicklungszusammenarbeit mit Lateinamerika


"Wir schreiben das Jahr 2030. Der Tourismus ist ein Schwerpunkt in der deutschen Entwicklungszusammenarbeit. Die Kriterien dafür sind längst definiert und allgemein gültig..." So führte Moderatorin Tiana Roth in das Podiumsgespräch "Tourismus in der Entwicklungszusammenarbeit mit Lateinamerika" ein, das "TOURISM WATCH" und "Turismovision" in Berlin veranstalteten. Wie weit wir von dieser Vision entfernt sind, wurde schnell deutlich, denn der Tourismus ist alles andere als ein entwicklungspolitischer Schwerpunkt.

Damit begründete das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) seine Absage. Wegen notwendiger Konzentration der Kapazitäten werde der Bereich Tourismus im BMZ nur nachrangig bearbeitet, hieß es wörtlich. Schnell machte der Begriff vom Tourismus als "Schmuddelthema" die Runde. In der Entwicklungszusammenarbeit müsse sich der Tourismus immer ein Deckmäntelchen umhängen - meistens das des Ökotourismus -, um überhaupt in Erwägung gezogen zu werden. Marketingmaßnahmen, von den Partnern im Süden recht häufig gewünscht, würden in der Regel jedoch nicht gefördert.

Als eine Ausnahme von dieser Regel präsentierte Karola Tippmann, Mitarbeiterin der Gesellschaft für technische Zusammenarbeit (GTZ) in Nicaragua, das zentralamerikanische Projekt FODESTUR (Förderung der nachhaltigen Entwicklung durch Tourismus in Zentralamerika). FODESTUR ist ein regionales, sieben Länder umfassendes Netzwerk, das über den Tourismus den staatlichen und den privaten Sektor einbindet. Schwerpunkt der Produktentwicklung und Vermarktung ist die Maisstraße ("Ruta de Maís"). In einer "Ruta Verde", der Grünen Route, geht es zudem um die Zusammenarbeit mit attraktiven Natur- und Nationalparks. Ziel ist es, die Bevölkerung in diesen Regionen zu halten und Einkommensmöglichkeiten zu schaffen. Das 1999 begonnene Projekt hat eine Laufzeit von 3,5 Jahren. Danach hoffe man, sich überflüssig zu machen. Als eines der wichtigsten übergeordneten Ziele strebe FODESTUR an, den Friedensprozess in den untereinander zerstrittenen Ländern zu befördern. Der Tourismus sei als ein unvorbelastetes Thema dafür besonders geeignet.

Auch Umwelt- und Landschaftsplanerin Leida Buglass, die im Auftrag des Deutschen Entwicklungsdienstes (DED) in der Dominikanischen Republik arbeitet, machte ähnliche Erfahrungen. "Der Ökotourismus ist ein Geschäft", sagt sie. "Aber wir wollen, daß die lokale Bevölkerung partizipiert und die Natur geschont wird." Es gebe bislang erst wenige Erfahrungen auf Seiten kommunaler Gruppen und Kleinunternehmer. Bei aller Vorsicht dürfe der Tourismus in der Entwicklungszusammenarbeit aber nicht vernachlässigt werden. Wirtschaftliche Aktivitäten, die zerstörerische Auswirkungen haben, ob in der Land- oder Holzwirtschaft, der Fischerei oder eben im Massentourismus, bedürften einer "problemmindernden Unterstützung" durch die Entwicklungszusammenarbeit.

Die Bischöfliche Aktion Adveniat spürt in Lateinamerika ebenfalls die Auswirkungen des Tourismus - positiv wie negativ, erläuterte Michael Sommer, stellvertretender Direktor von Adveniat. Der Tourismus sei kein Arbeitsschwerpunkt, aber die Hilfsorganisation werde in vielen Projekten um Unterstützung gefragt, wo es auch um Tourismus ginge. Als Beispiele nannte er Zwangsumsiedlungen in Brasilien, oder eine Projektanfrage zu Straßenkindern, die Opfer der Prostitution werden. Die Kirche sei jedoch kein Reparaturbetrieb, betonte Sommer. Andererseits würden auch positive Auswirkungen des Tourismus gerade innerhalb einzelner Regionen deutlich. So führe die Ausgabefreudigkeit argentinischer Touristen in einigen Kirchen in Uruguay zu hohen Kollekte-Einnahmen. Adveniat bekomme aus solchen Gemeinden deutlich weniger Projektanträge.

Eine Zusammenarbeit zwischen den einzelnen Diensten vor Ort gebe es bereits, stellten die Podiumsteilnehmer fest. Dies gelte auch für den Tourismus. Dahinter stehe aber kein Konzept. Es könnte sinnvoll sein, eine gemeinsame Plattform anzudenken und einen Erfahrungsaustausch zu fördern, nicht zuletzt, um dem Tourismus in der Entwicklungszusammenarbeit in Zukunft mehr Aufmerksamkeit zu verschaffen.

(4.251 Anschläge, 55 Zeilen, Juni 2001)

(Vgl. TW 22, S.10-12)