„Workations“ werden immer beliebter. Nicht nur Freiberufler:innen, die von den schönsten Orten der Welt aus arbeiten, sondern auch immer mehr Angestellte verlagern ihr Homeoffice ins Hotel oder die Ferienwohnung. Dieser Trend birgt Risiken in den Destinationen, auch für Kinder und Jugendliche.
Workation – ein Wohlstandstrend
In seiner „Global Digital Nomad Study 2022“ hat der Reiseblog „A brother abroad“ 4.000 digitale Nomaden aus der ganzen Welt befragt. Die Umfrage kommt zu dem Ergebnis, dass weltweit aktuell 35 Millionen Menschen Arbeiten und Reisen kombinieren. Das entspricht fast der Bevölkerung Marokkos. Im Schnitt halten sie sich sechs Monate in einem Land auf. Doch wer kann sich den Lebensstil zwischen Strand und Hotelschreibtisch leisten? Die beliebtesten Workation-Spots befinden sich mit 34 Prozent aller Aufenthalte in Südostasien, gefolgt von Lateinamerika mit 29 Prozent. Ganz weit oben auf der Liste der beliebtesten Destinationen rangieren Mexiko, Thailand, Indonesien, Kolumbien und Vietnam. Während sich die Workation-Hotspots also vor allem in Ländern des Globalen Südens befinden, stammen digitale Nomaden selbst meist aus Westeuropa und den USA. Mit einem monatlichen Budget von 1.875 US-Dollar steht digitalen Nomaden dabei in der Regel wesentlich mehr Einkommen zur Verfügung als dem Durchschnittseinwohner des Landes, in denen sie ihre Arbeitszeit verbringen. Würden sie einen Staat gründen, wäre ihr Land sogar auf Platz 38 der wohlhabendsten Länder – direkt nach Saudi Arabien und Portugal.
Unerkannte Risiken für den Kinderschutz
Schon im Rahmen ihrer Global Study on Sexual Exploitation of Children in Travel and Tourism von 2016 machte ECPAT International darauf aufmerksam, dass Expats, also Menschen die längere Zeit im Ausland leben, eine relevante Gruppe unter den reisenden Sexualstraftätern und -täterinnen sind. Die lange Aufenthaltsdauer und ihr hohes Wohlstandsniveau ermöglichen es ihnen, das Vertrauen von Kindern und Jugendlichen zu gewinnen. Die hohe digitale Affinität der digitalen Nomaden verstärkt die Risiken noch, denn durch die Pandemie sind immer mehr Kinder im digitalen Raum unterwegs, immer häufiger kommt es zu sexueller Ausbeutung. So zeigt eine Studie der Kinderrechtsorganisation Thorn, dass im Jahr 2020 jedes siebte Kind zwischen 9 und 12 Jahren ein Nacktbild von sich übers Internet verschickt hat, 41 Prozent davon wissentlich an einen Erwachsenen. Im Jahr 2019 war es noch jedes 20. Kind. Bei Sexualstraftäter:innen, die als digitale Nomaden besonders viel Zeit alleine in einem Land verbringen, ist das Risiko besonders groß, online mit Kindern in Kontakt zu treten und diese direkt um die Ecke zu treffen. In ihren Gästehäusern oder angemieteten Apartments sind sie anonym und können unentdeckt Straftaten begehen – auch an Kindern und Jugendlichen.
Destinationen reagieren auf Workation-Trend
Destinationen machen es digitalen Nomaden immer leichter, ihren Arbeitsalltag in Hotels und Ferienwohnungen zu verlagern. Bislang haben 28 Länder Long-stay-Visa für Langzeitreisende eingerichtet, mit denen sie sechs Monate oder länger in der Destination bleiben dürfen. Auch auf Mauritius und in Georgien sind Workations nun nur mit wenigen Hürden möglich. Dabei ist leider nicht auszuschließen, dass sich unter den Langzeitreisenden auch Sexualstraftäter:innen befinden, die die Situation der Länder ausnutzen wollen. Denn wie viele andere Destinationen haben auch diese beiden Länder diverse Kinderrechtsprobleme. Eine Mitschuld daran trägt der Tourismus, denn in Mauritius ist Kinderarbeit im Reisesektor weit verbreitet. Die Insel gehört zudem zu den zehn Hotspots für Sextourismus – auch Kinder werden Opfer sexueller Ausbeutung durch Reisende. Sie nutzen die Verwundbarkeit der vielen Straßenkinder, besonders aus ärmlichen ländlichen Regionen oder kreolischen Gemeinschaften, aus. Die meisten von ihnen sind zwischen 11 und 16 Jahre alt und gehen nicht zur Schule. Ähnlich sieht es in Georgien aus. Fast ein Fünftel aller georgischen Kinder muss arbeiten, um ihre Familien finanziell zu unterstützen. Sexualstraftäter und -täterinnen, die sich als digitale Nomaden länger im Land befinden, können sich das Vertrauen von Kindern und ihren Familien erschleichen und ihre finanzielle Notlage ausnutzen. Doch nicht nur georgische Kinder leiden unter Ausbeutung im Zuge des Tourismus. Das Kaukasusland entwickelt sich zunehmend zu einem Zielland des Menschenhandels. Minderjährige Mädchen, vor allem aus Zentralasien und dem Nordkaukasus, werden ins Land gebracht und zur Prostitution gezwungen.
Sensibilisierung im Tourismussektor bislang unzureichend
Workations sind also nicht nur ein lukrativer Trend, sondern bergen auch Risiken für Kinder. Politik und Tourismuswirtschaft sind gefordert, Kinderrechtsverletzungen zu verhindern. Der Kinderschutzkodex The Code hat Kriterien entwickelt, die gerade auch für Tourismusunternehmen mit speziellen Workation-Angeboten relevant sind. So müssen etwa Angestellte im und um den Tourismussektor für Kinderrechte sensibilisiert werden und Verdachtsfälle niedrigschwellig melden können. Selbiges gilt für Reisende, die unangemessenes Verhalten anderer Reisender beobachten. Sie sollten vorab Informationen über die Rechte von Kindern in ihrer Urlaubsdestination erhalten und über Meldemöglichkeiten bei Verdachtsfällen Bescheid wissen. Auch die Herkunftsländer der digitalen Nomaden sind gefragt, das Thema aufzugreifen, etwa in den Reise- und Länderinfos der Botschaften und Außenministerien. Denn zu viele reisende Sexualstraftäter:innen gehen davon aus, dass das Ausland für sie eine rechtsfreie Zone ist. Der sexuelle Missbrauch von Kindern ist eine Straftat und wird auch in Ländern wie Mexiko, Thailand, Mauritius oder Georgien verfolgt. Darüber hinaus drohen nicht nur Verurteilungen im Tatland, sondern auch in ihrer Heimat.