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Neue Völkerschauen in Europa?

Reinhold Messner will "interaktiv" lebende Menschen ausstellen - Proteste gegen "afrikanisches Pygmäendorf" in Belgien


Der Südtiroler Bergsteiger Reinhold Messner (58), der aus Altersgründen keine Extremtouren mehr plant, will in seiner Heimat Menschen aus fremden Ländern ausstellen. In seiner derzeitigen "Lebensphase" als Ausstellungsmacher möchte er in seiner Museumskette "Messner Mountain Museum" neben Bergtourismus, Kunst und Kultur auch lebende Bergvölker präsentieren.

Wie er dem Bayerischen Fernsehen (am 17. August 2002 im Kulturmagazin "Capriccio") erzählte, plant er, über einen Zeitraum von 30 Jahren Menschen aus fernen Bergregionen ausstellen. Dazu will er "interaktiv Familien herholen, aus den Anden, aus dem Kaukasus und dem Himalaya, die dann ein paar Monate bleiben". Durch ihr "praktisches Wissen sollen sie uns zeigen, wie sie es schaffen, im Gebirge zurechtzukommen". "Natürlich" müssten sie dann wieder zurückgehen. Pro Jahr denkt er an "zwei, maximal drei Familien". Es könnten aber durchaus auch "Einzelne oder Pärchen" sein. Am Schluss habe er "die Bergvölker rund um die Erde vorgestellt".

Erst wenige Tage zuvor hatte er im "ZDF-Nachtstudio" zum Thema "Sinn der Berge" (11.August 2002) von "primitiven Völkern" gesprochen. Als die Diskutanten nach der Deutung des Wortes "Berg" suchten, meinte er, "in diesem Zusammenhang" werde der Berg "mindestens bei den primitiven Völkern - unter Anführungszeichen primitiven Völkern - fast immer männlich gesehen. Der Kailash zum Beispiel, für die Tibeter der heilige Berg, ist ein phallisches Symbol". Seine unzutreffenden Begriffe "fast immer männlich", "phallisch" und "primitive Völker", mit oder ohne Anführungszeichen, erregten den Zorn zahlreicher Bergfreunde, Buddhisten und Hindus.

Bereits in seinem 1998 erschienenen Buch über den Yeti, den "unheimlichen Schneemenschen", betitelte Messner ein Bild in besonders diskriminierender Weise. Über einen Bergbauern im Wald heißt es da: "In der Dämmerung konnten auch Einheimische als große Menschenaffen oder Wildmenschen erscheinen". (Vgl. TW 15, S. 20). 

Vom Yeti zur Leni

Kritiker vermuten, seine abwertende Einstellung könne mit seiner Verehrung für Leni Riefenstahl zusammenhängen, die im August ihren 100. Geburtstag feierte, und die er als "beste Bergsteigerin ihrer Zeit" für einen Fernsehfilm wiederentdeckt hatte. "In Bewunderung für Deine Kletterkunst und mehr noch für Deine Lebensleistung",   schrieb er Hitlers Lieblingsregisseurin in einen Dolomiten-Bildband. Die Nazi-Verdrängungsweltmeisterin hatte zuvor in der ARD ("Kulturreport", 4.8.2002) und im Schweizer Fernsehen ("10 vor 10", 6.8.2002) dreist erklärt, sie habe "nicht mehr gesehen als Frau Meier oder Frau Müller. Ich hab doch Hitler nicht gekannt! Woher sollte ich mehr wissen? Ich hab ihn doch nicht gekannt! Das sind doch alles Legenden, die mit der Wirklichkeit nichts zu tun haben, leider."

Der Beitrag im "Kulturreport" der ARD war überschrieben mit "Nuba, Nazis, Neopren - Hauptsache das Bild ist schön". (Neopren bezieht sich auf ihre dritte Karriere als Taucherin, vorwiegend auf den Malediven.) Riefenstahl hatte nach dem Krieg durch ihre heroischen Bilder über die Volksgruppe der Nuba großes Aufsehen erregt und ihren durch Nazi-Propaganda-Filme erlangten weltweiten Ruhm erneuert. Niemand scheint jedoch nachzufragen, wie es den Nuba heute geht. Im Südsudan herrscht seit 20 Jahren ein blutiger Bürgerkrieg. Erst in diesen Tagen erschien auf Deutsch das Buch "Sklavin", in der die Nubierin Mende Nazer (22) über ihre traumatisierende Zeit als Sklavin berichtet, zunächst im Sudan selbst, später als Leibeigene in der sudanesischen Botschaft in London.

Menschenausstellung durch Tourismusverband in Belgien/Provinz Namur

In Yvoir in Belgien führte im Sommer 2002 die Ausstellung eines "exotischen" Pygmäen-Dorfes samt Bewohnern zu einer heftigen Debatte. Das "Zur-Schau-Stellen" der Afrikaner sei eine Beleidigung der menschlichen Rasse, zitierte dpa den Verband der Einwanderer, der gemeinsam mit Menschenrechtsorganisationen eine sofortige Schließung verlangte. Das Pseudo-Dorf erinnere an die "schrecklichen Kolonialschauen", hieß es. "Wir wollen die Besucher auf die Not der Pygmäen in Kamerun aufmerksam machen", sagte laut dpa der Veranstalter Louis Raets vom örtlichen Tourismusverband. 30 Prozent der Einnahmen würden in Projekte wie den Bau einer Schule und Wassersammelstellen fließen.

Ähnliche Argumente waren bereits zur Zeit der entwürdigenden "Großen Völkerschauen" zu vernehmen, die in den vergangenen Jahrhunderten in Europa und in den USA stattfanden. Häufig waren die "Eingeborenendörfer" Bestandteil von Weltausstellungen oder Zoologischen Gärten, darunter bis 1932 bei Hagenbeck in Hamburg und bis 1935 im Baseler Zoo. Nicht wenige dieser "Exoten", die als "missing link" zwischen Affe und Homo Sapiens vermessen und rassenideologisch klassifiziert wurden, mussten auch nach ihrem Tod noch als Ausstellungsobjekt dienen. Andere wurden von Wissenschaftlern seziert.

(5.037 Anschläge, 69 Zeilen, Oktober 2002)

Anm. d. Redaktion: Zur Vertiefung des Themas empfiehlt sich u.a. das sehr lesenswerte Buch von Balthasar Staehelin: "Völkerschauen im Zoologischen Garten Basel, 1879 - 1935", Basler Afrika Bibliographien, (Postfach 2037, CH-4001 Basel), Basel 1993, 181 S., ISSN 0171-1660/ISBN 3-905141-57-4. Martin Baer, Olaf Schröter: "Eine Kopfjagd. Deutsche in Ostafrika", Christoph Links Verlag, Berlin 2001, 220 S. ISBN 3-86153-248-4.