In den vergangenen Jahren wurden wichtige Schritte unternommen, die den Schutz von Kindern vor sexueller Ausbeutung beim Engagement für Nachhaltigkeit im Tourismus in den Fokus rücken. Dazu gehören auch bessere Gesetze und Kooperationen mit der Wirtschaft. Die Corona-Pandemie hat Fortschritte ausgebremst, doch der Neustart im Tourismus bietet auch Chancen, es in Zukunft besser zu machen.
Die sozio-ökonomische Verwundbarkeit von Kindern ist in Folge der Pandemie, politischer Instabilität und Naturkatastrophen dramatisch gestiegen. Während sich der internationale Tourismus inmitten zunehmender wirtschaftlicher und geopolitischer Herausforderungen von den Auswirkungen der Pandemie erholt, wächst das Machtungleichgewicht zwischen den Reisenden und den verarmten Gemeinschaften vor Ort. Wo Gemeinschaften aufgrund der Krise finanziell zu kämpfen haben, ist die Lage für Täter und Täterinnen aus dem In- und Ausland günstig, um noch leichter Zugang zu ihren Opfern zu bekommen.
Zugleich verändern sich die Trends im Tourismus: Inlandstourismus, gemeindenaher Tourismus und die zunehmende Nutzung von Technologien eröffnen Tätern neue Wege, um Kontakt zu Kindern aufzunehmen und sie sexuell auszubeuten. Sie nutzen dazu auch die Infrastruktur und Dienstleistungen der Tourismuswirtschaft – sei es in Form von Unterkünften, Transportdienstleistungen oder Ausflugsangeboten.
Erkenntnisse aus Globaler Studie
Einige dieser Trends zeichneten sich bereits vor der Pandemie ab. In der ersten Globalen Studie zu sexueller Ausbeutung von Kindern im Tourismus, die ECPAT International 2016 veröffentlichte, stellte sich heraus, dass die meisten Opfer die Täter bzw. Täterinnen kannten und die Mehrheit Gelegenheitstäter sind. Die meisten Straftaten werden von Einheimischen oder von Tätern aus der Region begangen. Immer öfter werden Online-Arrangements genutzt und auch Jungen werden zu Opfern. Die Studie zeigte, dass wir es mit einem wirklich globalen Phänomen zu tun haben. Sie beinhaltet klare Empfehlungen für konzertiertes Handeln.
Risiken durch touristische Aktivitäten
Die Empfehlungen der Studie richten sich auch an Tourismusunternehmen. Denn viele Tourismusangebote, die ungeregelt Zugang zu Kindern bieten, sind nicht nur schädlich für die kindliche Entwicklung, sondern können Kinder auch dem Risiko sexueller Ausbeutung aussetzen. In den vergangenen Jahren haben mehr und mehr Unternehmen beschlossen, keine Waisenhausbesuche mehr anzubieten. Eine Reihe von Voluntourismus-Angeboten ermöglicht jedoch immer noch unkontrollierten Zugang zu Kindern.
Auch andere, zum Teil informelle touristische Dienstleistungen werden im Rahmen von Pauschalangeboten angeboten oder von Individualreisenden direkt genutzt. Dazu gehören zum Beispiel Homestays, Privatvermietungen, kleine Hotels, ungeregelter ‘Slum-Tourismus’ oder Besuche bei Gemeinden, die Kontakte zu Einheimischen (einschließlich indigener Gruppen) ermöglichen. Auch Angebote der sharing economy, wie private Zimmerangebote, die über Internet-Plattformen oder Apps vermittelt werden, müssen in den Blick genommen werden.
Neue Gesetzgebungen
In den vergangenen Jahren gab es neue Entwicklungen in der Gesetzgebung, darunter auch Lieferkettengesetze. In Deutschland wird zum Beispiel 2023 das Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz in Kraft treten. Solche Gesetze zur unternehmerischen Sorgfalt spiegeln jedoch vor allem die Verantwortung großer Unternehmen in ihren direkten Lieferketten wieder und vernachlässigen informelle Lieferanten und Partner in den Destinationen. Das deutsche Gesetz macht deutlich, dass es für Unternehmen wichtig ist, sich der Risiken bewusst zu sein, doch es verpflichtet sie nicht, Informationen einzuholen oder indirekte Zulieferer aktiv zu überwachen.
Eine Analyse der Auswirkungen des deutschen Lieferkettensorgfaltspflichtengesetzes auf die sexuelle Ausbeutung Minderjähriger in der Reise- und Tourismusbranche hat gezeigt, dass die meisten Unternehmen in Bezug auf die Anzahl ihrer Mitarbeitenden nicht groß genug sind, um die entsprechenden Sorgfaltspflichten einhalten zu müssen. In der Reise- und Tourismusbranche in Deutschland fallen zunächst weniger als eine Handvoll der etwa 3000 Reiseveranstalter unter das neue Gesetz. Mangels verpflichtender Regeln für die anderen bietet ECPAT mit The Code Unterstützung bei der Umsetzung von Maßnahmen im Tourismus, unter anderem durch Risikoanalysen.
Hohes Bewusstsein bei Deutschen
ECPAT International hat dieses Jahr eine Umfrage unter der deutschen Bevölkerung durchgeführt, um deren Einstellungen zum Schutz von Kindern im Tourismus zu ermitteln. Danach ist für fast zwei Drittel der Erwachsenen Umweltschutz das entscheidende Merkmal von ‘nachhaltigem und verantwortlichem Tourismus’. Fast die Hälfte findet aber den Schutz von Kindern vor sexueller Ausbeutung ebenso wichtig. 20 Prozent der Befragten meinen sogar, dass alle deutschen Reiseunternehmen gesetzlich verpflichtet sein sollten, Tourismusfachleute darin zu schulen, Verdachtsfälle von Kindesmissbrauch zu melden. Das sind klare Botschaften an Politik und Wirtschaft.
Welttourismustag 2022
Unter dem Motto „Rethinking Tourism“ findet am 27. September 2022 der Welttourismustag statt. Dabei geht es um Themen wie Umwelt, ländliche Entwicklung, Bildung, Geschlechtergerechtigkeit und Jugend. Doch das Recht von Kindern, frei von Ausbeutung zu leben, wird nicht ausreichend hervorgehoben, obwohl das Rahmenübereinkommen zu Tourismusethik unter dem Dach der Welttourismusorganisation (UNWTO) ein breites Spektrum ethischer Aspekte abdeckt. Es umfasst ausdrücklich auch den Schutz von Kindern vor sexueller Ausbeutung.
ECPAT International möchte, dass die Akteure im Tourismus dieses Prinzip in konkretes Handeln umsetzen. Wir müssen die Sichtweise ändern, dass der Umgang mit sexueller Ausbeutung von Kindern etwas Negatives ist, mit dem die Tourismuswirtschaft nicht in Verbindung gebracht werden will. Der Fokus sollte als erstes auf Prävention liegen, das ist ein positives Narrativ. Zielgebiete können sich von anderen abheben, indem sie sich für soziale Anliegen engagieren und eine Führungsrolle einnehmen. Sinnvolle und transparente Maßnahmen sind eine Gelegenheit zur Markenbildung. Um Kinder wirksam zu schützen, muss ein breites Spektrum an Akteuren und Akteurinnen mobilisiert werden.
Guillaume Landry übernahm im November 2021 die Geschäftsführung von ECPAT International in Bangkok. Er ist Experte für Kinderschutz mit über 20 Jahren Berufserfahrung in den Bereichen Organisationsentwicklung, behördenübergreifender Zusammenarbeit und multidisziplinärer Forschung zu Kinderschutz und Kinderrechten.
Übersetzung aus dem Englischen: Christina Kamp