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"In Indien ißt man kein Fleisch"


Seit der BSE-Krise tingelt die ehemalige Schauspielerin Barbara Rütting durch Fernseh-Diskussionen, in denen sie ihre Küchenphilosophie zum Besten geben darf. Ihre Qualifikation: Als ökologisch bewußte Bürgerin und Vegetarierin schrieb sie ein vegetarisches Kochbuch und kreierte ein Vollkornbrot. Als Beweis für den hohen Stellenwert vegetarischer Kost führt sie stets Indien an, wo man kein Fleisch esse. Diese Pauschalisierung ist schlichtweg falsch, wie jeder Tourist leicht selbst beobachten kann. Korrekt wäre: Hochkastige Hindus essen überhaupt kein Fleisch, alle gläubigen Hindus kein Rind. Für gläubige Muslime, die zwölf Prozent von einer Milliarde Inder ausmachen, ist Schwein tabu. Die Mehrheit der Inder ißt Fleisch, kann es sich jedoch aus finanziellen Gründen oft nicht leisten. Besonders beliebt sind Ziegen- und Hammelfleisch sowie Hähnchen, die nicht unbedingt zum Fleisch gerechnet werden. Wie in vielen anderen Ländern gilt als "Fleisch" nur rotes Muskelfleisch.

Richtig wäre: Indien ist ein Paradies für Vegetarier, weil kein anderes Land der Welt eine vielseitigere fleischlose Kost bietet. Die indische Küche gibt es ohnehin nicht. Jede Region hat ihre eigenen Gerichte.

Das Kochbuch von Barbara Rütting sollte man immer dann mit spitzen Fingern anfassen, wenn es ausländisch wird. Ihre "indischen" Gerichte beispielsweise beschränken sich auf die Zugabe von Curry-Pulver und haben sonst mit Indien herzlich wenig zu tun. Das betrifft die Art der Zubereitung, die Zutaten und, nebenbei bemerkt, auch viele andere Kochbücher. Auf dem gesamten indischen Subkontinent kocht niemand mit dem uns bekannten Curry-Pulver. Dieses 08/15-Einheitsgewürz ist eine Bastardisierung der indischen Küche und ein koloniales Erbe der Engländer. Stattdessen verwendet man "Massala", meistens selbst hergestellte Gewürzmischungen in unterschiedlichen Zusammenstellungen. "Curry" dagegen ist ein gulaschähnliches Gericht aus Fleisch, Fisch, Eiern oder Gemüse.

Und zu guter Letzt: Kalkutta liegt nicht am Ganges. Hier irrte der Schlagersänger Vico Torriani. Die kürzlich in Kolkata zurückbenannte Stadt erstreckt sich längs des Hooghly.

(2.169 Anschläge, 28 Zeilen, Juni 2001)