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Handelskrieg um CO2-Emissionen aus dem Flugverkehr?


(Bonn, 30.12.2011) Europäischer Gerichtshof bestätigt Pläne der EU, den Flugverkehr ab 2012 in den Emissionshandel einzubeziehen - USA und China drohen mit Gegenmaßnahmen.

Der seit Jahren schwelende internationale Konflikt um das Vorhaben der EU, den Flugverkehr in den europäischen Emissionshandel einzubeziehen, eskaliert. Mit Beginn des neuen Jahres legt die EU Obergrenzen für die Emissionen aus allen Flügen fest, die in EU-Ländern starten oder landen. Als Referenz dienen die Jahre 2004 bis 2006. Die Fluggesellschaften erhalten kostenlose Emissionsrechte im Umfang von 85 Prozent ihrer durchschnittlichen Emissionen in diesem Zeitraum. Emittieren sie mehr, müssen sie zusätzliche Emissionsrechte kaufen oder durch Klimaschutzmaßnahmen im Rahmen des "Clean Development Mechanism" generieren. Da die Emissionen aus dem Flugverkehr in den letzten fünf Jahren stark gestiegen sind (der Flugverkehr ist der Sektor mit dem größten Emissionsanstieg) und die meisten Maßnahmen zur Emissionsbegrenzung sehr teuer sind, werden dies praktisch alle Airlines tun müssen.

Zu internationalen Spannungen führt vor allem, dass nicht nur innereuropäische Flüge erfasst werden, sondern auch alle Starts nach und Landungen von außereuropäischen Zielen. Dabei werden die Emissionen angerechnet, die während des gesamten Flugs entstehen. Dadurch werden auch außereuropäische Fluggesellschaften in den Emissionshandel einbezogen, sie müssen ihre Emissionen aus den Flügen in die EU an die dortigen Behörden melden und höchstwahrscheinlich Emissionszertifikate kaufen. Dagegen sind Flüge, die EU-Gebiet überqueren, aber dort nicht starten oder landen, nicht betroffen.

Fluggesellschaften vor allem aus den USA, China und Indien laufen gegen dieses "unilaterale Handelshemmnis" Sturm. Amerikanische Airlines hatten in Großbritannien eine Klage gegen die einschlägige EU-Verordnung angestrengt, die das zuständige Gericht an den Europäischen Gerichtshof weiterleitete. Der EuGH kam in seinem Urteil vom 21.12.2011 zu dem Schluss, dass die Verordnung weder gegen internationale vertragliche Verpflichtungen der EU noch gegen das Völkergewohnheitsrecht verstoße. So werde nicht zwischen Unternehmen aus verschiedenen Ländern diskriminiert. Da es sich beim Emissionshandel nicht um eine Steuer handelt (sondern die Airlines sogar theoretisch Einnahmen erzielen können, wenn sie die ihnen zugeteilten Zertifikate verkaufen), liege auch kein Verstoß gegen das Open Skies Abkommen zwischen EU und USA vor, das Steuern und Gebühren beschränkt.

WTO spielt vorerst keine Rolle

Damit bleiben den Fluggesellschaften und den sie unterstützenden Regierungen kaum mehr juristische Möglichkeiten, um den Emissionshandel für den Flugverkehr zu stoppen. Ein Streitfall in der WTO hätte keine Aussicht auf Erfolg. Der Flugverkehr ist zwar an sich vom Dienstleistungsabkommen GATS erfasst, der einschlägige Anhang befasst sich aber nur mit der Reparatur und Wartung von Flugzeugen und Buchungs- und Reservierungsdiensten. Die EU ist auch nur für diese Teilsektoren Liberalisierungsverpflichtungen eingegangen. Bei den eigentlichen Flugdienstleistungen hat sie daher noch einen relativ großen Politikspielraum. Dies erweist sich nun als Glücksfall, da sich in den allgemeinen Ausnahmen zum GATS-Abkommen kein Bezug zum Schutz natürlicher Ressourcen findet. Im älteren Güterhandelsabkommen GATT wurde diese Bestimmung erfolgreich genutzt, um umweltpolitische Maßnahmen mit Handelseffekten zu verteidigen. Im GATS wäre dies nicht möglich.

Drohungen auf vielen Ebenen

Obwohl oder vielleicht gerade weil ihnen praktisch keine rechtlichen Möglichkeiten mehr zur Verfügung stehen, fahren die außereuropäischen Regierungen rhetorisch schwere Geschütze auf: US-Außenministerin Clinton forderte in einem Brief mehrere EU-Kommissare auf, die Verordnung zurückzunehmen oder zumindest auszusetzen. Andernfalls werde die USA "Gegenmaßnahmen" ergreifen. Welche Gegenmaßnahmen dies sein könnten, wird nicht weiter beschrieben. Auch der Spruch des EuGH hat laut einer Stellungnahme des US-Außenministeriums die amerikanischen Bedenken nicht ausgeräumt. Das US-Repräsentantenhaus hat schon im Oktober in einer in letzter Zeit sehr raren parteiübergreifenden Zusammenarbeit ein Gesetz verabschiedet, das es US-amerikanischen Fluggesellschaften verbietet, am europäischen Emissionshandel teilzunehmen. Bevor es in Kraft tritt, muss es allerdings noch vom Senat und vom Präsidenten unterzeichnet werden. Sollte dies geschehen, hätten vor allem US-amerikanische Airlines ein Problem, da sie vor der Wahl stünden, entweder amerikanisches oder europäisches Recht zu brechen. Der einzig legale Ausweg wäre womöglich, die kostenlos zugeteilten Zertifikate selbst zu verbrauchen und keine zuzukaufen, was aber zu weniger Flügen und entsprechend weniger Umsatz führen würde.

Indien initiierte eine Resolution bei der Internationalen Organisation für zivile Luftfahrt (ICAO), in der der Plan der EU als diskriminierend bezeichnet wird, da er gegen die nationale Souveränität anderer Staaten verstoße. China, Russland und mehr als 20 weitere Staaten unterstützten die Resolution, die damit in der nur 36 Länder umfassenden ICAO eine klare Mehrheit fand. Die Resolution betont - wie auch die USA und China - der Schritt der EU behindere eine notwendige internationale Debatte zur Emissionskontrolle im Rahmen der ICAO. Dass diese seit Jahren nicht voran kommt, wird dabei natürlich nicht erwähnt.

EU will hart bleiben

Bislang zeigt sich die EU-Kommission von den Drohungen wenig beeindruckt. Sie will die Verordnung wie geplant umsetzen. US-Gesellschaften haben schon angekündigt, sich unter Protest zu beteiligen und kostenlose Zertifikate beantragt. Für alle Gesellschaften wird der Emissionshandel erst im Laufe des Jahres relevant, wenn sie die kostenlosen Zertifikate aufgebraucht haben. Auch dann steigt der Preis für ein Ticket in die USA nach Schätzunge von Experten um weniger als 20 US-Dollar.

Auch aus den Mitgliedstaaten wird die Kommission unterstützt - in Deutschland spricht sich nur die FDP dafür aus, den Emissionshandel für den Flugverkehr zunächst auszusetzen. Nervöser sind die Airlines, die befürchten, von den angedrohten Gegenmaßnahmen als erste betroffen zu werden, etwa durch neue Abgaben.

In der Auseinandersetzung zeigt sich tendenziell eine ähnliche Konstellation wie in den Klimaverhandlungen insgesamt: Die EU, die wenigstens behutsame Schritte Richtung Klimaschutz gehen will, unterstützt von kleinen und verletzlichen Entwicklungsländern einerseits, und die USA und die großen Schwellenländer, die fürchten, Klimaschutz könnte ihrer Wirtschaft schaden, auf der anderen Seite. Bis sich zumindest in einer signifikanten Minderheit aus dieser Gruppe die Erkenntnis durchsetzt, dass die Wirkungen des Klimawandels die Wirtschaft weitaus stärker belasten als Klimaschutzmaßnahmen, besteht kaum Hoffnung auf echte Bewegung.

Umso wichtiger ist es, dass die EU ihre Vorreiterrolle beibehält und ausbaut. Der Streit um den Flugverkehr wird daher wohl nicht der letzte internationale Handelsstreit um Klimaschutz bleiben.

Michael Frein, Tobias Reichert