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Disneyland in Machu Picchu?

Peruanisches Weltkulturerbe in Gefahr


Nach einem verlorenen Aufstand gegen die spanischen Kolonialherren im 16. Jahrhundert floh der Inkakönig Manco Capac ins unzugängliche peruanische Hochland.  Dort, in den Bergen von Cuzco, bestand bereits ein Zufluchtsort – das heutige Machu Picchu. Manco Capac gründete derweil einige weitere Städte in einer Region, die Vilcabamba genannt wurde.

Diese Festungsstädte, in denen bis zu 4000 Menschen lebten, und die so gut versteckt waren, dass eine von ihnen erst 1999 entdeckt wurde, waren vom Tal aus unsichtbar – ihre Bewohner waren geschützt. Für die Indios waren die versteckten Städte schon immer heilige Orte. Mit ihrer Hilfe fand der US-amerikanische Forscher Hiram Bingham 1911 Machu Picchu. Weil er sich aber nicht sicher war, ob es sich wirklich um den sagenumwobenen Hauptort der Region Vilcabamba handelte, benannte er den Ort nach dem heiligen Berg Machu Picchu, "Alte Bergspitze“.

Seit 1983 ist das großartige Inkaheiligtum auch von der UNESCO als Weltkultur- und Naturerbe anerkannt. Doch das schützt diesen Ort der Kontemplation offensichtlich nicht vor den Begehrlichkeiten der Tourismusindustrie. Der US-amerikanische Hotelkonzern Orient Express und eine Tochter der chilenischen Fluglinie LAN sicherten sich schon 1996 den einzigen Zufahrtsweg, eine Schmalspur-Eisenbahn von Cuzco aus, und die Nutzungsrechte am heiligen T. Damit ihre Gewinne steigen, wollen sie die Besucherzahl verdoppeln. Die Indios, aber auch Unterstützer in Peru, Süd- und Nordamerika sowie in Europa befürchten, dass bald eine Art Disneyland entsteht und zahlungskräftige Touristen mit Rolltreppen und Förderbahnen durch ihr Heiligtum geschleust werden. Schon heute schweben Reklameballons über Machu Picchu, das 2430 m hoch liegt.

Andrea Herbert:  Herr Weller, Sie sind der Gründer und Leiter der Lateinamerika-Agentur ALASEI in Bonn. Warum ist das Weltkulturerbe Machu Picchu bedroht?

Gunter Weller:  In Peru wurde unter dem Fujimori-Regime systematisch Eigentum des peruanischen Volkes an ausländische Interessenten zur wirtschaftlichen Nutzung übertragen. So 1996 auch das Inka-Heiligtum Machu Picchu, das mit bis zu 2000 Besuchern pro Tag gute Rendite abwirft. Nur hat die einheimische Bevölkerung gar nichts davon.

A.H.: Was ist denn konkret geplant?

G.W.:  Die Besucherzahl soll verdoppelt werden. Das kann die Ruinenanlage nicht verkraften. Schon jetzt ist an der Busauffahrt zum Berg Erosion festzustellen. Geplant sind außerdem eine überdimensionale Luxushotelanlage, eine Drahtseilbahn als Zufahrt für mehr Besucher, Rolltreppen und Förderbahnen innerhalb der Anlage. Die Übergangsregierung nach dem abgesetzten Fujimori hat dies zwar erst mal gestoppt – aber die neugewählte Regierung Toledo, die am 28.Juli 2001 ihr Amt antrat, nahm die Pläne wieder auf.

A.H.: Was würden die Privatisierungspläne für die Bevölkerung bedeuten?

G.W.:   Die einheimische Bevölkerung im Dorf unterhalb von Machu Picchu, in Aguas Calientes, kann momentan einen Teil ihres Lebensunterhaltes am internationalen Fremdenverkehr verdienen. Aber durch die Baupläne würde sie völlig ausgegrenzt. Sie hat massiv protestiert, und das führte zum vorläufigen Baustopp.  Mit ihr solidarisieren sich aber auch andere Menschen, in Peru und auch hier in Deutschland. In Bonn bestehen seit Dezember 2001, in Hamburg seit Mai 2002 Unterstützergruppen. Die UNESCO, deren Schutzkonvention für das Weltkulturerbe betroffen ist, entsandte 1998 eine Sachverständigen-kommission, die den Widerspruch aufzeigte. Folgen daraus sind aber nicht bekannt.

A.H.: Und wie äußert sich die peruanische Regierung dazu?

G.W.: Alejandro Toledo hat sich selbst einen Tag nach seinem Amtseid in Machu Picchu als Wiedergeburt des Inka Pachacuti, dem legendären Herrscher und möglichen Erbauer des heiligen Ortes, proklamiert. Anschließend ließ er sich in Cuzco, der alten Hauptstadt des Inka-Reiches, von seinen Anhängern feiern. Das gibt der Demokratie in Peru eine andere Dimension. Zur Annullierung des fatalen Beschlusses von 1996, in dem die Nutzungsrechte für 30 Jahre an ausländische Interessenten übertragen werden, äußerte er sich aber nicht.  Im Gegenteil – die neoliberalen Minister der Regierung Toledo setzen den Ausverkauf des Kulturerbes Peru fort. Konsequenzen für die Anwohner und die Ruinen

Was in Machu Picchu geschieht, ist kein Einzelfall. So entsteht eine Situation, die die dramatische Armut und Marginalisierung, unter der die Mehrheit der Peruaner leidet, noch weiter verschlimmert. In Aguas Calientes wird die einheimische Bevölkerung ausgegrenzt. Sie lebt vom Tourismus: kleine Dienstleistungen wie Trägerdienste, Verkauf ihres Kunsthandwerkes, als Busfahrer oder Betreiber von Imbissstuben und kleinen Pensionen. Für Letztere ist besonders die Privatisierung des einzigen Zufahrtsweges existenzbedrohend: Die enorme Erhöhung der Bahnfrachtpreise verteuert die Konsumgüter, die aus Cuzco für die Gäste heranzuschaffen sind - die Gäste bleiben weg. Durch das Großprojekt des US-amerikanischen Hotelkonzerns würde ihnen sowohl ihr Lebensunterhalt als auch ihre traditionelle Identität, die sie auf ihr kulturelles Erbe zurückführen, genommen. Entsprechende Pläne liegen vor. Auch das Weltkulturerbe an sich ist in Gefahr. Die geplanten Baumaßnahmen sind mehr für die altehrwürdigen, mysteriösen Ruinen, als sie verkraften können. Gutachten namhafter peruanischer Wissenschaftler sowie Untersuchungen der UNESCO und anderer internationaler Organisationen werden stillschweigend ignoriert. Beispielsweise befanden UNESCO-Experten, dass sich nicht mehr als 300 Personen gleichzeitig in der Ruinenanlage aufhalten können, soll diese keinen Schaden erleiden. Das zeigt, dass die gegenwärtige Besucherzahl - bis zu 2000 Personen täglich - bereits zu viel ist.

Der Untergrund rund um den heiligen Berg und in den Ruinenanlagen ist geologisch instabil und Erdrutsche drohen, besonders an der überbeanspruchten Busauffahrt. Dazu Prof. Dr .Inge Bolin, Kulturanthropologin aus Kanada: "Der Tourismus, der im Moment im Gange ist, ist schon sehr viel, und zwar nicht nur wegen der Menschen, sondern auch wegen der Erschütterungen des ganzen Berges. Die Busse fahren fast ohne Unterbrechung des ganzen Tag. Wir hatten schon einige Male Steinschlag und Erdrutsche. Außerdem ist natürlich die Verschmutzung sehr groß. Und das ist wirklich schade in einer so wunderschönen, magischen Umgebung.“

Der Fall Kuelap

Ein weiteres Beispiel dieser destruktiven Politik ist Kuelap in der peruanischen Provinz Amazonas im Nordosten des Landes. Am 20.12.2001 ratifizierte das Parlament in Lima ein Abkommen, das eine Übertragung des Geländes rund um die Festungsruine Kuelap an in- und ausländische Investoren erlaubt. Diese wollen eine touristische Infrastruktur rund um dieses archäologische Juwel errichten. Straßen und Hotels sollen dazu dienen, Kuelap in eine neue Touristenattraktion zu verwandeln. Aber die Übertragung der Nutzungsrechte bedeutet, dass die dort lebenden Bergbauern entschädigungslos enteignet wurden und anschließend vertrieben werden.

Insider bezeichnen Kuelap nach Machu Picchu als die bedeutendste archäologische Sehenswürdigkeit in Peru. Sie liegt auf rund 3000 m Höhe und ist nur schwer zugänglich. Die riesige Anlage mit Festungsmauern von bis zu 20 m Höhe stammt von einer Vor-Inka-Kultur, den Chachapoya ("blonde Andenkrieger“), und wurde wegen ihrer Abgeschiedenheit von den spanischen Eroberern nicht entdeckt.

Die Regierung gibt an, im Namen der Archäologie und des Tourismus zu handeln. Dabei missachtet sie die Rechte und Bedürfnisse der einheimischen Indio-Bevölkerung – angefangen damit, dass sie die Anwohner über vorliegende Pläne nicht informiert hat. Die Bauern waren völlig überrascht, als sie von Vertretern einer Schutzkonvention über die bevorstehenden Bauvorhaben auf ihrem Land und an ihrem kulturellen Erbe informiert wurden. Zu keinem Zeitpunkt wurden die Anwohner gefragt oder gar um ihre Zustimmung gebeten.

Da die Situation am Ort ziemlich angespannt ist, gehören Drohungen und Übergriffe der Behörden zum Alltag der leidgeprüften Bauern. Im November 2000 drang die Direktorin des peruanischen Kulturinstituts (INC) in Begleitung von Polizei und anderen Behördenvertretern ohne Erlaubnis in die Wohnungen und Anbaugebiete der Bauern ein, um die ersten der geplanten Enteignungen vorzunehmen. Im selben Monat vernichtete ein mysteriöser Brand Felder und Waldgebiete. Das peruanische Kulturinstitut beschuldigte die Eigentümer der verbrannten Gebiete, die Brände selbst gelegt zu haben. Diese Anschuldigung ist jedoch völlig abwegig, denn die Anwohner würden kaum ihre eigenen Felder niederbrennen, welche ihr einziges Einkommen darstellen. Zudem war der Friedhof mitbetroffen, auf dem ihre Vorfahren ruhen.

Tourismusentwicklung muss nachhaltig sein

Nachhaltige Tourismusförderung ist das Zauberwort – nicht über die Köpfe der Anwohner und einheimischen Bevölkerung hinweg, nicht zu Lasten der Kultstätte Machu Picchu oder anderer Sehenswürdigkeiten und nicht taub und blind gegenüber sozialen, kulturellen und ökologischen Konsequenzen.

Die Regierung Toledo ist zwar demokratisch legitimiert, aber das Sagen haben in dieser Regierung die neoliberalen Minister. Sie setzen die rücksichtslose Wirtschaftspolitik des Fujimori-Regimes fort. Tourismusentwicklung muss sich zu Gunsten, nicht zu Lasten oder auf Kosten der einheimischen Bevölkerung vollziehen – mit ihrer Zustimmung und in Zusammenarbeit. Sie ist nachhaltig, wenn sie die Bedürfnisse der Gegenwart einlöst, ohne die zukünftigen Generationen zu beeinträchtigen.

Auch wenn die US-Regierung unter Bush in Washington, der Weltwährungsfonds und andere internationale Finanzinstitutionen, die Perus Außenschulden mit Wucherzinsen eintreiben, dies so nicht unterstützen – die Wahrung der eigenen Identität und die Verbesserung der Lebensbedingungen der einheimischen Bevölkerung gehen vor. Perus kulturelles Erbe gehört dem peruanischen Volk. Es muss erhalten und geschützt werden. Was in Machu Picchu geplant ist, beleidigt das peruanische Volk und schadet ihm. Seine Kommerzialisierung ist aber auch unannehmbar für alle, die Machu Picchu als ein Kultur- und Naturerbe der Menschheit anerkennen und bewundern. Diese Kulturstätte darf kein Disneyland werden!

(10.370 Anschläge, 148 Zeilen, Juli 2002)

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