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Deutsche Auswanderung

Wohin es Landsleute zog und zieht - USA immer an vorderster Stelle


In ihrem Buch "Ausgewandert" betont Kerstin Finkelstein, dass es auf die Frage, wie viele Deutsche im Ausland leben, keine eindeutige Antwort gibt. Der Grund: mangelnde Statistiken (selbst bei uns) und unklare Definitionen (auch im Selbstverständnis zahlreicher Auswanderer). Ist ein Deutscher am Pass erkennbar oder an seiner Herkunft? Sind die Kinder eines "Deutschstämmigen" immer noch "Deutsche"? Was ist mit den Bindestrich-Deutschen, z.B. Deutsch-Argentiniern, den Deutsch-Türken in der Türkei, den Russland-Deutschen? Auf keinen Fall darf man das heute noch zu eng sehen.

Die Auswanderung nach Übersee begann vor über 175 Jahren. Zwischen 1830 und 1974 verließen über 7 Millionen das Land. (Zwischen 1880 und 1893 fast 1,8 Mio.). Eine weitere Welle gab es zwischen 1919 und 1932 mit rd. 600.000 AuswanderInnen, davon im Jahr 1923 allein 115.431. Im Gegensatz zu heute wurden die meisten Menschen von der blanken Not zum Verlassen der Heimat gezwungen. Ein Zurück gab es praktisch nur, wenn der Einwanderungsbeamte in den USA die Einreise verweigerte, die erst bei der Ankunft erteilt wurde.

(Heute wandern die Deutschen aus vielfältigen Gründen und Motiven freiwillig aus, - im Gegensatz zu Flüchtlingen und Arbeitsmigranten aus der "Dritten Welt", die ihrerseits versuchen, ähnlichen Zuständen wie einst in ganz Europa zu entfliehen, um bei uns ein neues Leben zu beginnen.)

Ein Thema für sich ist die Zeit des Nationalsozialismus von 1933 – 1945, die viele Deutsche, vor allem jüdische Deutsche, zu Flüchtlingen machte. Im Oktober 1941 wurde die Auswanderung komplett verboten. Einschließlich der Massenzwangswanderungen kann von mindestens 60 Millionen Flüchtlingen, Vertriebenen und Deportierten im gesamten "Dritten Reich" ausgegangen werden.

Zwischen 1946 und 1961 wanderten 780.000 Deutsche aus (mit Spitzen in den Jahren 1952 bis 1954 sowie 1956/1957). Von da an war es ein leichtes, wieder zurückzukommen.

Aussteigen, umsteigen

In der 60er Jahren begann auch die Zeit des "Aussteigens", häufig in Urlaubs- und Null-Bockstimmung als "Hippie" an "exotischen" Plätzen. Wer blieb und beruflich in irgendeiner Form "einstieg", wurde zum "Umsteiger". Reisen auf eigene Faust wurde möglich, die "Globetrotter", heute "Traveller", wurden geboren. Ab Mitte der 70er Jahre konnte fast jeder weit wegreisen, denn Flüge wurden langsam erschwinglich. Erstmals war es leicht möglich, ein angepeiltes neues Land vorher zu inspizieren. Viele erkennen jedoch bis heute dabei nicht, dass die Bedingungen von Urlaub und Alltag gänzlich unterschiedlich sind.

Eine neue Auswanderungswelle setzte 1989 mit jährlich über 100.000 Personen ein. Finkelstein swchreibt, dass Experten die offiziellen Angaben mit der Zahl zwei oder drei multiplizieren, man also leicht auf über 200.000 oder 300.000 Auswanderer pro Jahr komme. Allerdings wandern auch sehr viele wieder zurück, manchmal dieselben Personen gleich mehrfach. Eingerechnet würden die Spätaussiedler (mit stark abnehmender Tendenz), was die Bilanz ebenfalls veränderte.

Zur Zeit gehen pro Jahr rund 100.000 Deutsche ins Ausland, ebenso viele kehren aber auch wieder zurück, Spät-Aussiedler nicht mitgerechnet.

Eine jährliche Brutto-Auswanderung von heute errechnete Kerstin Finkelstein an Beispielen:

USA: 13.000 wandern im Schnitt ein, 11.000 kommen zurück.Schweiz: 10.000 wandern hin, fast die Hälfte kommt zurück. Österreich: 6.000 wandern hin, 3.500 zurück. Spanien: 7.000 gehen hin, 5000 kehren zurück.

Traumziel USA

Damals wie heute zog und zieht es die meisten deutschen Auswanderer in die USA, im 19. Jahrhundert rund 90 Prozent, im 20. Jahrhundert bis in die 30er Jahre gute 70 Prozent, nach dem 2. Weltkrieg rund die Hälfte. Vor dem 2. Weltkrieg waren ebenfalls Argentinien, Australien, Brasilien und Kanada angesagt. Danach (bis zur Wende 1989) konnten nur noch die Westdeutschen nach Übersee auswandern. Zwischen 1946 und 1961 gingen 384.700 "Wessis" in die USA, 243.300 nach Kanada, 80.500 nach Australien, 80.200 in andere Länder.

Laut einer repräsentativen Umfrage des Marktforschungsinstituts Marplan im Sommer 2005 würden über fünf Prozent der Bundesbürger gerne dauerhaft in den USA leben, an zweiter Stelle in Spanien, an dritter Stelle in Australien. (2004: 1. Australien, 2. Spanien, 3. USA). Am Ende der Rangliste stehen Asien und Afrika, wenngleich zahlreiche Deutschstämmige in Namibia und Südafrika leben. Nur knapp 58 Prozent der 2513 Befragten gaben an, auf jeden Fall in Deutschland bleiben zu wollen (2004: fast 64 Prozent)!

2004 kehrten gut 150.000 Abwanderer Deutschland den Rücken, so das Statistische Bundesamt. Das sei die höchste Zahl in der Nachkriegszeit. Die meisten zog es in die USA, in die Schweiz und nach Polen, wobei das Statistik-Problem erneut auftaucht. Von den knapp 10.000 Deutschen, die jährlich nach Polen auswandern, kommen offiziell nur 2.500 als Deutsche an. Die Überzahl dürfte schlicht als polnisch-stämmige Rückkehrer gezählt werden.

Nach Recherchen von Kerstin Finkelstein gibt es z.Z. folgende "Pass-Deutsche" in:

USA: gut 400.000, Kanada: 225.000, Schweiz: 117.700, Argentinien: über 100.000, Österreich: 74.200, Spanien: 62.500, Holland: 55.600, Belgien: 34.700, Australien: 30.000. Im gesamten asiatischen Raum: knapp 30.000.

Zum Vergleich die Schweiz (knapp 7,3 Mio. Einwohner):

Die meisten der 623.000 Auslandsschweizer, die am 1.1.2005 bei Schweizer Vertretungen registriert waren, 71 Prozent davon mit Doppelpass, leben in Frankreich (166.000), Deutschland (70.500), USA (71.400), Italien (45.500), Kanada (35.800), Großbritannien (26.600), Spanien (21.500), Australien (20.800), Argentinien (14.400), Brasilien (13.500), Österreich(13.000), Israel (11.100), Südafrika (8.800)

(Zahlen gerundet, zitiert nach "Globetrotter",Zürich, Sommer 2005)

Quellen: Kerstin Finkelstein: Ausgewandert - Wie Deutsche in aller Welt leben, Ch. Links Verlag, Berlin 2005

Klaus J. Bade/Jochen Oltmer: Normalfall Migration,Bundeszentrale für politische Bildung, Bonn/Berlin 2004, www.bpb.de

(5.987 Anschläge, 88 Zeilen, September 2005)