Dossier Menschenrechte

Das Wachstums des Kreuzfahrtsektors für die Verbesserung der Arbeitsbedingungen nutzen

Interview mit Fabrizio Barcellona von der Internationalen Vereinigung der Transportarbeiter


Die Kreuzfahrtindustrie ist zwar einer der am stärkten regulierten Wirtschaftssektoren. Trotzdem ist eine kritische Betrachtung notwendig, weil falsche Interpretationen der internationalen Regulierungen, zur Benachteiligung von Seeleuten in Form von schlechten Arbeitsbedingungen an Bord von Kreuzfahrtschiffen führen. Die Internationale Transportarbeiter Föderation (ITF) vereinigt mehr als 900.000 Seeleute und hilft verbundenen Gewerkschaften die Arbeitsbedingungen auf Schiffen zu verbessern ­– auch auf Kreuzfahrtschiffen. Fabrizio Barcellona, stellvertretender Sekretär der Abteilung Seeleute, Fischerei und Binnenseefahrt bei der ITF, gab uns in einem Interview Einschätzungen über die internationalen juristischen Instrumente und ihre Auswirkungen auf die Arbeitsbedingungen auf Kreuzfahrtschiffen.

TW: Im Jahre 2013 wurde das Seearbeitsübereinkommen (Maritime Labour Convention, MLC) von der Internationalen Arbeitsorganisation der Vereinten Nationen (ILO), verabschiedet und in Kraft gesetzt. Was genau deckt sie ab?

Fabrizio Barcellona: Das MLC verfolgt das Ziel, minimale Arbeits- und Lebensstandards für alle Seeleute sicherzustellen und dabei eine einheitliche Wettbewerbssituation für alle Länder und Reedereien zu schaffen. Es handelt sich dabei um ein revolutionäres Instrument. Es ist das erste international rechtlich bindende Dokument, das sich mit dem „menschlichen“ Element der Schifffahrtsindustrie beschäftigt: mit den Seeleuten und ihrem Recht auf menschenwürdige Arbeit. Das MLC umfasst ein breites Spektrum an Standards in Bezug auf Arbeitsverträge, Arbeitszeiten, Lohnniveau, bezahlten Jahresurlaub, Rücktransport in die Heimat sowie Gesundheits- und Arbeitsschutzleistungen - um nur einige zu nennen.

Sie legt auch klar fest, dass jede Person, die auf einem Schiff arbeitet, als Seemann bzw. Seefrau gilt und dementsprechend auch die im MLC festgeschriebenen Rechte genießt. Dies ist gerade in der Kreuzfahrtindustrie relevant, wo die Mehrheit der Mitarbeitenden nicht in den klassischen nautischen Berufen arbeitet, sondern in der Hotellerie, in den Casinos, in Geschäften oder im Entertainment. Bevor das MLC in Kraft trat, waren die Rechte all jener Angestellten von keiner Konvention abgedeckt. Das MLC hat diese juristische Lücke geschlossen.

TW: Wie wird sichergestellt, dass die Seeleute tatsächlich ihre Rechte genießen können und nicht als billige Arbeitskräfte auf den sogenannten ‚sweat ships‘ ausgebeutet werden?

Fabrizio Barcellona: Zuallererst ist es die Aufgabe der Staaten, die das MLC ratifiziert haben, ihre nationale Gesetzgebung mit den internationalen Bestimmungen in Einklang zu bringen und durchzusetzen. Teil dieses Prozesses ist die Ausstellung von Zertifikaten durch die Staaten an all jene Schiffe, die eine Übereinstimmung mit den MLC-Vorschriften vorwiesen können. Zusätzlich können die staatlichen Hafenaufsichtsbehörden dieser Länder alle eingehenden Schiffe bezüglich ihrer Umsetzung der MLC-Vorschriften prüfen, ganz egal ob das jeweilige Schiff unter der Flagge eines Staates fährt, das die Konvention ratifiziert hat, oder nicht. Sollte ein inspiziertes Schiff diesen Vorschriften nicht gerecht werden, so kann die Hafenaufsichtsbehörde das Schiff so lange festhalten bis die Missstände behoben sind. Das heißt, dass die Schiffsbesitzer und Reedereien für die Einhaltung der Rechte haftbar gemacht werden können. Ein weiterer, dritter Mechanismus ist die Möglichkeit aller Mitarbeiter an Bord von Schiffen mögliche Beschwerden entweder ausgewiesenen Personen an Bord, in den Flaggenstaaten oder bei den Hafenbehörden zu melden. Zusätzlich zu diesen drei staatlichen Mechanismen gibt es noch Inspektoren der ITF, die pro Jahr rund 9.000-11.000 Schiffe, mit denen sie Gewerkschaftsvereinbarungen haben, genauer unter die Lupe nehmen.

TW: Gibt es Schwachstellen in der MLC?

Fabrizio Barcellona: Der Grad der Durchsetzung hängt stark vom politischen Willen des jeweiligen Landes, unter dessen Flagge das Schiff fährt, ab. Zum Beispiel kontrollieren einige staatliche Hafenbehörden viel intensiver als andere. Aber auch die Übertragung des MLC ins nationale Recht birgt das Risiko, dass es zu deutlichen Aufweichungen der Standards kommen kann. Insbesondere in den sog. Billig-Flaggen-Ländern gab es Versuche, die MLC-Standards in der nationalen Gesetzgebung schwach auszulegen oder nur schwach durchzusetzen. So wurde beispielsweise versucht, das Personal im Hotel- oder Shoppingbereich des Kreuzfahrtschiffs im nationalen Recht nicht als Seefahrer zu definieren und ihnen dadurch die im MLC festgeschriebenen Rechten zu verwehren. Allerdings gibt es klare  Grenzen, was als „legitimes Äquivalent“ auf nationaler Ebene gesehen werden kann und was nicht.

Eine Schwachstelle, die leider nicht von der MLC adressiert wird, ist die fehlende rechtliche Basis für eine dauerhafte Anstellung. Stattdessen sind Kurzzeitverträge zwischen drei und zwölf Monaten die Regel. Nach dem bezahlten jährlichen Heimgang gibt es für die meisten Seeleute keine Garantie auf eine nachfolgende Anstellung auf den Schiffen, was es für sie schwer macht ihr Leben und das ihrer Familien zu planen.

TW: Hat das MLC grundsätzlich die Arbeitsbedingungen auf den Schiffen verbessert? Welche Entwicklungen gab es dahingehen in den letzten Jahren?

Fabrizio Barcellona: In der Vergangenheit war es vor allem für jene Arbeitskräfte schwer ihre Rechte einzufordern, die durch externe Rekrutierungsagenturen, angestellt waren – da sie nicht direkt in Verbindung mit dem Schifffahrtsunternehmen standen. Durch das  MLC ist hier Transparenz und Rechtssicherheit geschaffen worden.

Die Arbeit auf den Kreuzfahrtschiffen dreht sich rund um die Uhr um die Zufriedenheit und das Wohlergehen der Gäste. Dementsprechend sind lange Arbeitszeiten und Überstunden weit verbreitet. Nichtsdestotrotz wird die Arbeit auf Kreuzfahrtschiffen von vielen jungen Menschen aus den Philippinen, Indonesien, Indien, Osteuropa, sowie Zentral- und Lateinamerika  immer noch als gute Möglichkeit für eine berufliche Karriere angesehen.

In den vergangenen zehn bis fünfzehn Jahren haben sich die Arbeitsbedingungen auf den Schiffen deutlich verbessert, vor allem in Hinsicht auf die Unterkünfte, den Erholungsraum als auch die Möglichkeiten zur Kommunikation außerhalb des Schiffs. Gleichzeitig aber sind neue Probleme entstanden. Aufgrund der zunehmenden Größe der Kreuzfahrtschiffe hat sich die Anzahl der Mitarbeitenden mehr als verdoppelt. Während in den Neunzigern rund 700 Seeleute an Bord der Schiffe waren, so sind es heute fast 2000. Die Mitarbeitenden leben und arbeiten  auf sehr engem Raum und haben kaum Privatsphäre oder Rückzugsmöglichkeiten. Dies kann zu Problemen zwischen den Geschlechtern führen, oder stressbedingte Probleme verschärfen. Zusätzlich kann auch die kulturelle Vielfalt der Mitarbeiter, die sich zum Teil aus über 71 Nationalitäten zusammensetzt, zum Auslöser für interkulturelle Missverständnisse werden.

TW: Worin sehen Sie die künftigen Herausforderungen für die globale Kreuzfahrtindustrie?

Fabrizio Barcellona: Das schnelle Wachstum des Sektors ist durchaus besorgniserregend. Sollte aber die Nachfrage durch Touristen und Industrie nicht in der Geschwindigkeit wachsen wie derzeit angenommen, so könnte der Markt früher oder später stagnieren und Arbeitsplätze verloren gehen. 

Auf der anderen Seite könnte das Wachstum des Sektors aber auch bedeuten, dass die Konkurrenz zwischen den einzelnen Kreuzfahrtunternehmen um Arbeitskräfte wächst. Der Mangel qualifizierter Arbeitskräfte ist bereits heute Realität und Unternehmen müssen mit verbesserten Arbeitsbedingungen an Bord werben. Dies bezieht sich nicht nur auf die Löhne, sondern auch auf Ausbildungsprogramme und Rentenmodelle. So könnte der Wachstumstrend sich schlussendlich sogar positiv auf die Arbeitsbedingungen der Seeleute an Board von Kreuzfahrtschiffen auswirken.