In Chile, im Land der Mapuche, hat ein gemeindebasiertes Tourismusunternehmen für einige seiner Mitglieder eine neue Einkommensquelle geschaffen. Die Dorfbewohner:innen forsten auf, mit Bäumen, die sie selbst angepflanzt haben. Das Projekt greift auf das traditionelle Wissen der Mapuche zurück.
Die vergangenen 16 Monate in Chile waren hart. “El Estallido Social” – der Protest gegen soziale Ungleichheit im Land – eskalierte am 18. Oktober 2019 in Massendemonstrationen und schweren Ausschreitungen. Nur kurze Zeit später führte die Corona-Pandemie zu wirtschaftlicher und gesellschaftlicher Unsicherheit. Doch in den südlichen Anden lebt ein Volk, das es versteht, immer wieder auf die Beine zu kommen. Im Anpflanzen von Bäumen hat eine kleine Gruppe von Dorfbewohner:innen in diesen unsicheren Zeiten Widerstandskraft gefunden.
2016 gründete eine Gruppe von Familien, die meisten von ihnen indigene Mapuche, das gemeindebasierte Tourismusunternehmen Rutas Ancestrales Araucarias (RAA), das touristische Dienstleistungen in Curarrehue in der Region Araucanía anbietet. Zur Gestaltung der Touren greifen die Mapuche auf ihr über Generationen überliefertes Wissen zurück. Durch die Pandemie gingen die Besucherzahlen von 600 im Jahr 2019 auf nur 53 in den vergangenen 12 Monaten zurück. Aufgrund der Corona-Beschränkungen entschied RAA schließlich, den Tourismusbetrieb erst einmal auszusetzen.
„Wir hatten gehofft, die Pandemie würde nicht so lange dauern und wir könnten nach den ersten Monaten wieder zu einer gewissen Normalität zurückkehren. Leider war dem nicht so und wir hatten fast ein Jahr lang keine Gäste”, berichtet Romà Martí (55), Mitbegründer von RAA. Er ist zugleich Koordinator von ‘Wiñolfe Anumka’, dem neuen Projekt, dass die Firma organisiert und mit dem, durch das Anpflanzen einheimischer Baumarten, neues Einkommen generiert werden soll.
Vor zwei Jahren bat ein Tourismusunternehmen aus Pucón, einem der beliebtesten Touristenziele in Chile unweit von Curarrehue, RAA um einen Vorschlag zur Aufforstung, um seinen eigenen CO2-Fußabdruck zu kompensieren. Das war der erste Schritt zur Erweiterung der Aktivitäten von RAA über den Tourismus hinaus. Zehn der mit RAA verbundenen Familien gründeten ’Wiñolfe Anumka’, ein Baumschulen-Netzwerk, in dem alle Mitglieder einheimische Baumarten anpflanzen, verkaufen, CO2-Kompensation anbieten und so ein Einkommen erzielen. Einzelpersonen, Unternehmen und Organisationen können demnächst den CO2-Rechner auf der Webseite von ’Wiñolfe Anumka’ nutzen, um ihren CO2-Fußabdruck zu messen und sie können die Aufforstungskampagnen unterstützen.
„Einige unserer Mitglieder haben Erfahrung mit der Vermehrung einheimischer Baumarten und alle haben Erfahrung mit Gemüsegärten und Pflanzenzucht. Sie leben in der Nähe des heimischen Waldes, wo die Bedingungen für dieses Projekt die besten sind”, erklärt Martí. Das Netzwerk hat bereits zwei Baumschulen eingerichtet und will im März drei weitere bauen. Mit fünf Baumschulen hofft RAA pro Jahr 2.500 Bäume großzuziehen und etwa 1,5 Hektar zu bepflanzen.
Reisende Bäume
‘Wiñolfe Anumka’ bedeutet ‘reisende Bäume’. Bei dem Treffen, auf dem die Teilnehmenden einen Namen für das Baumschulnetzwerk wählten, waren sie sich einig: „Wir wollen, dass die Bäume Curarrehue verlassen und sich an den Orten wieder ansiedeln, wo sie verschwunden waren”. Der Wald ist ein Schlüsselthema im Weltbild der Mapuche und der Sinn der Aufforstung besteht nicht nur darin, mehr Geld zu verdienen. Die Mapuche forsten auf, um das Leben ihres Volkes und des Planeten zu schützen.
Raquel Marillanca (60) ist in Curarrehue geboren und gehört zu den zehn Familien, die mit der Aufforstung begonnen haben. In ihrem riesigen Garten wird sie Bäume anpflanzen und sich um sie kümmern. „Die Verbindung zur Natur ist sehr wichtig für uns. Ohne Bäume gibt es kein Leben. Wir hätten keinen Sauerstoff und kein Wasser und die Mapuche würden eine Verbindung zur Natur verlieren. Ohne diese Verbindung hätten wir keine Energie, keine Kraft und wir wären nicht glücklich. Es muss weitergehen mit der Aufforstung”, sagt Raquel.
Obwohl sich die Wälder rund um Curarrehue insbesondere dank der staatlich geschützten Nationalparke in gesundem Zustand befinden, sind die Auswirkungen der Rinderzucht und des nicht nachhaltigen Feuerholzhandels auf Privatgrundstücken offensichtlich. Die RAA-Teammitglieder wissen, dass der Wald und die schöne Landschaft, in der sie leben, ihre wichtigste Lebensgrundlage ist.
Auch Juana Faúndez (68) macht bei dem Projekt mit. Sie sagt sie sei besonders traurig, diese Saison nicht mit ihren Nachbar:innen und Gästen verbringen zu können. Doch die Aufforstung bringe ihr frischen Wind. „Mir ist der Wald sehr wichtig. Wir pflanzen nur einheimische Arten an, keine Kiefern oder Eukalyptus,” sagt Juana mit Blick auf die tausenden Hektar Plantagen mit fremden Baumarten in Chile. In vielen Fällen zieht die CO2-Kompensationswirtschaft solche fremden Arten in Betracht, die jedoch die Böden auslaugen und die Bodenqualität verschlechtern. Juana dagegen ist stolz auf ihre Pflanzungen mit 14 verschiedenen einheimischen Arten.
International gehen Wissenschaftler:innen davon aus, dass die Corona-Pandemie ihren Ursprung im Kontakt des Menschen mit wilden Tieren haben könnte, der auf die globale Zerstörung der Wälder zurückgeht. Die zehn Familien in Chile arbeiten an der Wiederherstellung des Ökosystems. ‘Marichiweu!‘ lautet der Schlachtruf aus der Vergangenheit der Mapuche, doch heute bekommt er in schwierigen Zeiten neue Bedeutung: „Zehnmal werden wir es schaffen!”
Christian Borgeaud ist chilenischer Journalist und Familientherapeut und lebt in Uruguay. Derzeit arbeitet er mit Rutas Ancestrales Araucarias (RAA) zusammen. RAA ist der Gewinner des TODO Awards Sozialverantwortlicher Tourismus 2021. Die virtuelle Preisverleihung findet am 9. März 2021 ab 14:00 Uhr statt und kann über das Streaming-Portal der Internationalen Tourismusbörse ITB NOW (Stream Nr. 2) verfolgt werden.
Übersetzung aus dem Englischen: Christina Kamp