Dem Tourismus verdankt der Inselstaat Kapverden seinen Aufstieg zu einem Land mit mittlerem Einkommen. Wenngleich die ehemals portugiesische Kolonie auf dieser Liste der "middle income countries" auf den unteren Rängen rangiert, kann es doch ein im Vergleich zu seinen afrikanischen Nachbarn hohes Durchschnittseinkommen, geringe Kindersterblichkeit und hohe Lebenserwartung vorweisen. Wo der Reisesektor lange als Heilsbringer galt, wird die Abhängigkeit dem Land jetzt zum Verhängnis. Eine bessere Verteilung der Wirtschaft auf alle neun bewohnten Inseln könnte dem Land aus der Misere helfen – doch dafür gilt es erst noch Probleme im Binnenverkehr zu beheben.
Nicht nur Tourismus leidet unter Reisebeschränkungen
Wie viele kleine Inselstaaten mit traumhaften Sandstränden und ganzjährig warmen Temperaturen hat auch Kapverden für seinen wirtschaftlichen Wohlstand alles auf Tourismus gesetzt. Bis zur Pandemie ist das Land auch gut damit gefahren. Der Tourismus stellte 40 Prozent der formellen Arbeitsplätze und trug 26 Prozent zum Bruttoinlandsprodukt bei. Doch nun zeigt sich auch auf dem Urlaubsparadies vor Westafrika, wie schnell eine solch einseitige Wirtschaft zusammenbrechen kann. Das BIP sank im Pandemiejahr 2020 um 15 Prozent, angetrieben durch direkte Einnahmeausfälle im Tourismus, jedoch auch in abhängigen Wirtschaftszweigen. Denn von den Reisebeschränkungen und dem Einbruch internationaler Ankünfte seit Ausbruch des Coronavirus sind nicht nur Hotels und Reiseveranstalter betroffen. Es werden auch kaum mehr Taxis gebraucht, die Läden sind leer und auf den Märkten in der Stadt gibt es kaum noch Kundschaft. Die starke Verankerung des Tourismus in anderen Wirtschaftsbereichen ist hier Fluch und Segen zugleich. Wenn der Tourismus gut läuft, verteilen sich die Einnahmen auf viele Schultern. Wenn es zum Einbruch kommt, leiden alle mit.
Der Aufbau einer starken, vom Tourismus unabhängigen Wirtschaft könnte dem Land wieder auf die Beine helfen, doch so einfach ist das nicht: Der Inselstaat hat mit bedeutenden Standortnachteilen zu kämpfen. Kapverdev verfügt kaum über natürliche Ressourcen, seine neun bewohnbaren Inseln liegen abgelegen und isoliert vom afrikanischen Festland, manche sind durch aktive Vulkane bedroht, Landwirtschaft ist aufgrund des trockenen Klimas nur begrenzt möglich. Auch die Forderung des Wirtschaftsberaters Carlitos Fortes von der Bank Banco Caboverdiano de Negócios sich stärker auf den Fischfang zu konzentrieren ist nur begrenzt umsetzbar, da das Anlegen der Boote an den Steilküsten schwierig ist. Eine Skalierung des Fischfangs ist daher kaum möglich. Stattdessen haben gerade die Fischer mit dem Einbruch des Tourismus zu kämpfen. Ohne Gäste kaufen Restaurants und Händler ihren Fang nicht mehr ab.
Dezentralisierungspläne schwer umsetzbar
Ein Schritt, den die Regierung der Kapverden nun gehen will, ist die Dezentralisierung des touristischen Angebots. Damit sollen einerseits soziale und wirtschaftliche Ungleichheiten zwischen den bewohnten Inseln des Landes abgebaut werden. Auf der anderen Seite könnte dadurch auch die starke Abhängigkeit der Inseln Sal und Boavista vom Tourismus entschärft werden. Cabo Verde Empresas äußert im Interview mit der kapverdischen Tourismuszeitung TuriMagazine im August 2022 Bedenken bezüglich der Infrastrukturpläne der Regierung. Der Interessensverband für kleine und mittlere Unternehmen von Kapverden vertritt Mitglieder aus dem Tourismus, aber auch aus dem Einzelhandel sowie Firmen aus ganz anderen Bereichen, etwa dem Software- und Finanzsektor. Zwar begrüßt der Verband grundsätzlich die Pläne, das touristische Angebot auf alle neun bewohnbaren Inseln auszuweiten. Den aktuellen Plan des Tourismusministeriums hält er aber unter den aktuellen Umständen nicht für realisierbar. Schuld sei das Binnenverkehrsnetz, das schlecht organisiert und zudem zu teuer sei. Denn auch wenn die meisten Reisegäste von auswärts kommen, spielt der Inlandsverkehr auch für die internationalen Urlauber eine entscheidende Rolle. Reiseveranstalter etwa können keine Investitionen planen, die nicht auf den Inseln Sal und Boavista getätigt werden, da sie sich durch die Unzuverlässigkeit der Verkehrsmittel nicht ausreichend abgesichert fühlen. Infolge steigender Transportkosten haben erste Reisende diesen Sommer bereits ihre Buchungen storniert. Ein Schlag für die lokale Wirtschaft, die sich über die Rückkehr des Tourismus gefreut hatte.
Binnenverkehr entscheidend für Diversifizierung der Wirtschaft
Doch funktionierende Mobilität und verlässliche Transportwege sind nicht nur Grundlage für die touristische Entwicklung. Sie ist auch Voraussetzung für die industrielle und wirtschaftliche Entwicklung des Landes. Händler müssen etwa in der Lage sein, ihre Waren innerhalb von 24 Stunden an jeden beliebigen Punkt des Archipels zu liefern. Nur so können sie auf nationaler Ebene wettbewerbsfähig sein, unabhängig davon, auf welcher Insel sie ihre Produktions- oder Handelstätigkeit ansiedeln. Aktuell führt die wirtschaftliche Isolierung einiger Inseln dazu, dass diese zunehmend abhängig von Importen werden. Cabo Verde Empresas fordert daher vom kapverdischen Verkehrsministerium eine Regulierung des Markts, damit verlässliche und bezahlbare Verbindungen zwischen den Inseln aufgebaut werden können.
Recht auf Mobilität – auch für Einheimische
Der Inlandsverkehr der Kapverden ist nicht nur für die Wirtschaft von Bedeutung, sondern vor allem auch eine soziale Frage, warnt Cabo Verde Empresas. Wenn die Preise für den Luftverkehr über dem Mindestlohn liegen und der Seeverkehr so beschwerlich ist, dass nicht jeder aufgrund seines Alters oder seines Gesundheitszustands ihn in Anspruch nehmen kann, vernachlässige der Staat seine Pflichten gegenüber der Bevölkerung. Im August war etwa bei einem medizinischen Notfall auf der Insel Brava die einzige Möglichkeit zur Evakuierung ein Privatboot, das eine Panne hatte. Es gab keinen alternativen Notfalltransport und die Evakuierung endete in einer Tragödie. Beispiele wie dieses zeigen, dass das Recht auf Mobilität auf Kapverden nicht immer gewährleistet werden kann, so der Verband. Ein Ausbau der Infrastruktur auf den Inseln ist daher nicht nur für Wirtschaft und Gäste unverzichtbar, sondern auch für die Lebensbedingungen der Einheimischen.