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Menschenrechte stärken – Tourismus sozial gestalten


Von Alien Spiller, Leiterin Tourism Watch

Für Tourism Watch bei Brot für die Welt steht die Verantwortung von Unternehmen und Reisenden in Bezug auf soziale Nachhaltigkeit und die Einhaltung der Menschenrechte im Zentrum einer nachhaltigen Entwicklung. Im Tourismussektor liegt jedoch nach wie vor ein starker Fokus auf ökologischer Nachhaltigkeit. Es ist deutlich einfacher zu kommunizieren, wie viele Tonnen CO₂ oder Müll durch Reiseprodukte eingespart werden. Soziale Aspekte sind dagegen schwieriger messbar und in Indikatorensysteme zu integrieren.

Der Schutz unserer Umwelt sowie Klima- und Ressourcengerechtigkeit sind von großer Bedeutung, denn wir haben nur den einen Planeten. Entscheidend ist aber auch, die sozialen Auswirkungen des Tourismus zu verstehen und aktiv positiv zu gestalten. Dieses Handlungsfeld wird für die tourismuskritische Arbeit auch zukünftig hochrelevant bleiben. Durch konkrete Maßnahmen, die sowohl die Rechte der Beschäftigten als auch die der lokalen Gemeinschaften respektieren und fördern, kann der Tourismus zu nachhaltiger Entwicklung in den Zielgebieten beitragen. In diesem Zusammenhang arbeiten wir eng mit der Multi-Stakeholder-Initiative Roundtable Human Rights in Tourism zusammen. Gemeinsam mit Akteur*innen der Tourismusindustrie setzen wir uns dafür ein, dass die Menschenrechte entlang der gesamten touristischen Wertschöpfungskette gewahrt und gestärkt werden.

Human Rights Impact Assessment Südafrika

Ein zentrales Projekt ist derzeit das Human Rights Impact Assessment (HRIA) in Südafrika, das im Januar 2025 gemeinsam mit dem Roundtable Human Rights in Tourism, Fair Trade Tourism South Africa und drei europäischen Reiseveranstaltern umgesetzt wurde. Die Untersuchung konzentrierte sich auf zentrale soziale Risiken entlang der klassischen Rundreiseroute zwischen Kapstadt, Johannesburg und der Greater-Kruger-Region – insbesondere im Segment mittelpreisiger Gruppenreisen, in dem komplexe und vielfach ausgelagerte Lieferketten zusammenwirken.

Im Rahmen von 31 Vor-Ort-Konsultationen mit mehr als 80 Stakeholder*innen – darunter Beschäftigte, lokale Initiativen und touristische Servicedienstleister – wurden wichtige Einblicke in Arbeitsbedingungen, Einkommenssituationen, Beteiligungsmöglichkeiten und Risiken für potenziell besonders verletzliche Gruppen gewonnen. Diese Ergebnisse bilden eine relevante Grundlage, um gemeinsam mit der Tourismuswirtschaft Handlungsbedarfe zu identifizieren, menschenrechtliche Sorgfaltspflichten zu stärken und Empfehlungen für verantwortungsvolle touristische Angebote zu entwickeln.

Hauptrisiken entlang touristischer Lieferketten

Obwohl in Südafrika umfassende arbeits- und kinderschutzrechtliche Regelungen bestehen, zeigte das Assessment deutlich, dass deren Umsetzung in der touristischen Praxis häufig lückenhaft bleibt. Die strukturell hohe Arbeitslosigkeit – insbesondere unter jungen Menschen – verstärkt die Verwundbarkeit vieler Beschäftigter und schafft Bedingungen, in denen Menschenrechtsverletzungen begünstigt werden.

Vor diesem Hintergrund identifizierte das HRIA mehrere Risikobereiche. Besonders ausgeprägt sind die Defizite bei der Schaffung von Arbeitsplätzen und Qualifizierungsangeboten für junge Menschen. Auch die Arbeitsbedingungen sind kritisch: Fahrer, Ranger, Guides und Servicepersonal berichten von sehr langen Arbeitszeiten, teils fehlenden Verträgen und niedrigen Löhnen. Risiken im Bereich der Kinderrechte ergeben sich vor allem bei Schulbesuchen oder kulturellen Darbietungen mit Kindern. Weitere Herausforderungen betreffen faire Preisgestaltung und Vertragsbedingungen gegenüber lokalen Zulieferern sowie ökologische und soziale Faktoren wie Wasser- und Energieknappheit, die unzureichende Beteiligung lokaler Gemeinschaften an touristischer Planung und kulturelle Dynamiken im Umgang mit Geschlechterrollen.

Herausforderungen für internationale Zusammenarbeit

Die Analyse verdeutlicht mehrere strukturelle Spannungsfelder, die für eine menschenrechtsorientierte Tourismusentwicklung zentral sind. Westliche Erwartungen an klare und formalisierte Strukturen treffen in Südafrika auf komplexe Realitäten, geprägt von fragmentierten Lieferketten und informellen Arbeitsverhältnissen. Gleichzeitig besteht ein starkes nationales Selbstverständnis bezüglich der progressiven Gesetzgebung, die als wichtige Grundlage im Kontext der Unternehmensverantwortung anerkannt werden sollte.

Die Kluft zwischen Vorgaben europäischer Reiseveranstalter und gelebter Praxis zeigt sich deutlich: Menschenrechtsprinzipien werden teils als abstrakt oder extern vorgegeben wahrgenommen. Sensibilisierung muss daher stärker an kulturelle Kontexte und alltagsnahe Beispiele anschließen. Zudem treten Zielkonflikte auf, etwa wenn die Priorisierung von Arbeitsplatzschaffung zulasten der Einhaltung sozialer Mindeststandards geht.

Nächste Schritte: Zusammenarbeit mit Reiseveranstaltern

Aus dem Assessment lassen sich mehrere konkrete Handlungsfelder ableiten, an denen der Roundtable Human Rights in Tourism gemeinsam mit Reiseveranstaltern weiterarbeiten wird. Vorrangig geht es darum, arbeitsrechtliche Mindeststandards entlang von Reiserouten zu stärken – etwa durch realistische Tagesprogramme, die überlange Arbeitszeiten für Fahrer*innen, Ranger*innen oder Guides vermeiden, sowie durch klare Anforderungen an sichere Arbeitsbedingungen und die Vermeidung von Kinderbeteiligung in touristischen Darbietungen. Hier haben europäische Reiseanbieter ausreichend Handlungsspielräume, diese Vorgaben wirksam an Subunternehmen in den Zielgebieten weiterzugeben.

Darüber hinaus sollen Veranstalter darin unterstützt werden, lokale Realitäten stärker in ihre Sorgfaltspflichten zu integrieren, beispielsweise durch Schulungen zu Menschenrechten und Kinderschutz im Kontext von „Just Transition“-Ansätzen. Ein weiterer Schwerpunkt ist die systematische Einbindung von Beschäftigten, Gemeinschaften und zivilgesellschaftlichen Akteur*innen in Monitoring- und Entscheidungsprozesse, um soziale Risiken frühzeitig zu erkennen und umsetzbare Lösungen zu entwickeln. Ein eher langfristiges Ziel ist die gemeinsame Verantwortung von Unternehmen, Regierung und NGOs, um Fortschritte überprüfbar zu machen und Schutzlücken zu schließen – damit touristische Entwicklung mit mehr sozialer Sicherung einhergeht.