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Ziele für die Reichen

Drei Fragen an Chee Yoke Ling, Third World Network


Ende September werden die Vereinten Nationen neue Ziele für nachhaltige Entwicklung (Sustainable Development Goals – SDGs) verabschieden, die von allen Ländern umzusetzen sind. Chee Yoke Ling vom Third World Network hat in einer ‚zivilgesellschaftlichen Reflektionsgruppe zu globalen Entwicklungsperspektiven’ mitgewirkt. In deren Diskussionspapier "Goals for the Rich" wird der Fokus auf die Nachhaltigkeitsziele für die Länder des Nordens gelegt. Wir wollten von ihr wissen, worum es dabei genau geht und was der Tourismus beitragen kann.

TW: Die Karten müssen neu gemischt werden, heißt es in Ihrem Diskussionspapier „Goals for the Rich“. Was bedeutet das?

Chee Yoke Ling: Es geht um die Frage, wie bei der Formulierung und Umsetzung einer Entwicklungsagenda für die Zeit nach 2015 die Kosten, Verantwortlichkeiten und Chancen unter den Ländern und innerhalb der Länder fair und gerecht geteilt werden können. In den Millenniumsentwicklungszielen ging es im Wesentlichen darum, was der Süden tun sollte. Der Norden würde dafür Mittel aus der öffentlichen Entwicklungszusammenarbeit (ODA) bereitstellen. Es gab keine spezifischen Ziele und Zielvorgaben für den Norden, um z.B. grundlegende Veränderungen beim Konsum und in der Produktion vorzunehmen oder unfaire globale Strukturen und Regeln zu ändern.

"Die Karten neu zu mischen" heißt, dass in den Zielen für nachhaltige Entwicklung (SDGs) und in der Entwicklungsagenda für die Zeit nach 2015 festgelegt sein muss, dass den Reichen und Mächtigen eine besondere Verantwortung zukommt. Für die reichen Länder können wir allgemein drei Arten von Zielen und Zielvorgaben unterscheiden: Erstens Ziele von besonderer Relevanz für die nationalen Angelegenheiten aller, auch der reichen Länder, die Veränderungen bei innenpolitischen Handlungskonzepten erfordern (nationale Nachhaltigkeitsziele), zweitens Ziele zur Änderung nationaler politischer Handlungskonzepte, um negative externe Wirkungen, die über die Landesgrenzen hinausreichen, zu verringern („do-no-harm“), und drittens Ziele zu den internationalen Verpflichtungen und Verantwortlichkeiten.

TW: Was könnten und sollten die Regierungen der entwickelten Länder tun, um ihre Ziele zu realisieren?

Chee Yoke Ling:Wir identifizieren drei spezifische “Ziele für die Reichen”, die für eine nachhaltige Entwicklung weltweit von besonderer Bedeutung sind. Das Ziel, Ungleichheit zwischen und innerhalb von Ländern zu reduzieren, das Ziel, nachhaltige Konsum- und Produktionsmuster sicherzustellen, und das Ziel, die Mittel zur Umsetzung zu stärken und die globale Partnerschaft für nachhaltige Entwicklung zwischen den Staaten wiederzubeleben. Die Agenda nach 2015 wird nur dann ein Erfolg werden, wenn diese Ziele spezifische, zeitgebundene Zielvorgaben und Verpflichtungen für die Reichen enthalten, die zu den nötigen ordnungs- und fiskalpolitischen Strategieänderungen führen.

Die enormen Herausforderungen, die hinsichtlich der ökologischen, ökonomischen und sozialen Nachhaltigkeit vor uns liegen, erfordern strukturelle Veränderungen. Das bedeutet solide politische Handlungskonzepte und strenge Regeln, nicht nur freiwillige Maßnahmen ohne Rechenschaftspflicht.

Die Mittel zur Umsetzung („Means of Implementation“ – MOI) waren ein zentraler Punkt in den Verhandlungen. Deshalb gibt es dazu ein eigenes SDG und zu jedem der anderen 16 Ziele die entsprechenden Zielvorgaben. Vom Süden wird gefordert, eigene Ressourcen zu mobilisieren. Doch kann das auf sinnvolle Weise nur dann geschehen, wenn die globalen Regeln und das wirtschaftliche Umfeld die Volkswirtschaften des Südens nicht destabilisieren, und wenn die politischen Strategien des Nordens nicht dazu führen, dass Geld aus den Ländern des Südens abfließt.

TW: Was ist vom Tourismussektor gefordert, um zur Zielerreichung beizutragen?

Chee Yoke Ling: Dass der Tourismus hohe Sickerraten aufweist, ist gut dokumentiert. Kredite und Subventionen von multilateralen Institutionen und aus dem Norden gibt es meistens für Infrastruktur und für die Dienstleistungen multinationaler Konzerne und Luxusmarken. Es gelingt noch immer nicht gut, den Nutzen aus dem Tourismus dem jeweiligen Land zugute kommen zu lassen und Verteilungswirkungen zu erzielen. Zum Wiederaufbau nach dem Tsunami 2004 in Thailand und nach dem Erdbeben 2010 in Haiti wurden konventionelle Tourismusprojekte finanziert. Sie handelten sich Kritik ein, weil es durch solche Projekte nicht gelungen ist, die lokale Wirtschaft und die Lebensgrundlagen der Bevölkerung wiederherzustellen. Bestenfalls wurden geringwertige Dienstleistungsjobs für die einheimische Bevölkerung geschaffen.

In einer Welt zunehmender Ungleichheit innerhalb von und zwischen verschiedenen Ländern zeigen die Erfahrungen an der Basis, dass Tourismus in seiner gegenwärtigen dominanten Form für die SDGs potenziell kein Plus darstellt. Wenn wir nicht die ungerechten Wirtschaftsstrukturen und Machtverhältnisse als die eigentlichen Ursachen für Armut, Ungleichheit und zunehmende Umweltschäden angehen, bleibt im Tourismus im Wesentlichen alles beim Alten: Große ausländische Unternehmen setzen Tourismusprojekte ohne genaue Prüfung und ohne Rechenschaftspflicht um und maximieren ihre Gewinne, die dann an den Hauptsitz des Unternehmens und an die Anteilseigner im Norden fließen. Der Tourismus trägt nach wie vor zu Ungleichheit bei.

Es ist interessant, dass sich in den vergangenen drei Verhandlungsjahren der Tourismus nicht mehr so sehr hervorgetan hat wie in der Vergangenheit, als noch viel Hoffnung in die Entwicklungswirkungen dieses Sektors gesetzt wurde. Damit die SDGs und die Entwicklungsagenda nach 2015 erfolgreich sind, ist es von größter Bedeutung, die Rechte der breiten Bevölkerung gegenüber den Privilegien von Großunternehmen und von reichen Konsumenten und Touristen wiederherzustellen. Wir brauchen Vorschriften, die die Gemeinschaften vor Ort wirksam vor schädlicher Tourismusentwicklung schützen.

Außerdem brauchen wir Mechanismen, die dafür sorgen, dass die Tourismusbranche bei Verlusten und Schäden Wiedergutmachung leistet. Schließlich braucht es klare, transparente, zugängliche Regularien für Rechenschaftspflicht, um die Menschen in die Lage zu versetzen, zu überwachen, was Regierungen, Finanzinstitutionen, Entwicklungsorganisationen und der Privatsektor im Tourismus tun und um diese für ihr Handeln verantwortlich machen zu können.

Weitere Informationen:

Goals for the Rich. Indispensable for a Universal Post-2015 Agenda. Discussion Paper. Civil Society Reflection Group on Global Development Perspectives, Hg. Friedrich-Ebert-Stiftung, Berlin/Genf, März 2015. ISBN 978-3-95861-114-6.

Download:http://library.fes.de/pdf-files/iez/11253.pdf

(6.360 Zeichen, September 2015, TW 80)