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Wachstum ohne Grenzen?

Die "Green Economy" im Tourismus


Sie wird dem "weiter wie bisher" gegenübergestellt, zumindest rhetorisch: Die "grüne Wirtschaft" – eines der Themen, die auf der Rio+20-Konferenz Ende Juni ganz oben auf der Tagesordnung stehen. Das Konzept hat jedoch deutliche Schwachstellen. Es stellt das vorherrschende Wachstumsparadigma nicht in Frage und vernachlässigt die fundamentalen Herausforderungen globaler Gerechtigkeit und menschlicher Entwicklung.

Das Umweltprogramm der Vereinten Nationen (UNEP) hat einen Bericht veröffentlicht, der unter dem Titel "Towards a Green Economy" Wege zu nachhaltiger Entwicklung und zur Überwindung der Armut aufzeigen soll. Ein Kapitel ist dem Tourismus gewidmet. Es entstand in Zusammenarbeit mit der Welttourismusorganisation (UNWTO). In der "Green Economy" – der ökologischen Marktwirtschaft (so die UNEP-Übersetzung) – wird dem Tourismus damit eine wichtige Rolle zugewiesen.

Effizienter weiter wie bisher?

In dem Tourismuskapitel werden Investitionen in einen ökologischeren und nachhaltigen Tourismus "zur Schaffung von Arbeitsplätzen und zur Minderung der Armut bei gleichzeitiger Verbesserung der Umweltergebnisse" befürwortet. Im Wesentlichen stützt der Bericht unverändert das Wachstumsparadigma und suggeriert, dass mehr Energieeffizienz, ein geringerer Wasserverbrauch und ein besseres Abfall-Management in irgendeiner Weise die Probleme lösen würde – und dass der Tourismus weiter wie vorhergesagt wachsen könne: von 980 Millionen internationalen Ankünften 2011 auf etwa 1.6 Milliarden 2020. Hinzu kommen rund vier Milliarden Reisen innerhalb einzelner Länder im Jahr 2008 – eine Zahl, die ebenfalls deutlich wachsen wird.

Um eine global nachhaltige Entwicklung zu erreichen, die einer Weltbevölkerung von neun Milliarden Menschen im Jahr 2050 ausreichend Lebensgrundlage bietet, kann und darf ein solches Wachstum nicht das Ziel sein. In vielen Ländern der Welt ist der ökologische Fußabdruck schon längst viel zu groß. In der Rio-Erklärung über Umwelt und Entwicklung 1992 wurden die Staaten aufgerufen, nicht nachhaltige Produktionsweisen und Konsumgewohnheiten abzubauen und zu beseitigen.

Eine Verringerung des Ressourcenverbrauchs (bei Erhalt oder Steigerung der Lebensqualität) ist selbst auf dem jetzigen Niveau schwierig und unter Berücksichtigung der Wachstumsraten noch viel schwieriger. Wie können immer mehr Menschen, die immer mehr Reisen und immer weitere Strecken zurücklegen, zu weniger Energieverbrauch und weniger CO2-Emissionen führen als heute (oder in einem bestimmten Basisjahr in der Vergangenheit)? UNEP und UNWTO geben zu, dass das nicht der Fall sein wird.

Wenn davon die Rede ist, dass ein "grünes" Investitionsszenario bedeutenden Nutzen für die Umwelt bringt, so liegt die Betonung auf dem Vergleich mit einem "weiter wie bisher" – wobei "weiter wie bisher" das vorhergesagte Wachstum bedeutet. Danach wird das Tourismuswachstum bis 2050 dazu führen, dass der Energieverbrauch um 111 Prozent zunimmt, die Treibhausgasemissionen um 105 Prozent, der Wasserverbrauch um 150 Prozent und das zu entsorgende Abfallaufkommen um 252 Prozent. Das "grüne" Szenario soll diese Werte lediglich um 18 Prozent beim Wasserverbrauch, 44 Prozent beim Energieverbrauch und um 52 Prozent bei den CO2-Emissionen unterschreiten – was noch immer enorme Opfer an Umweltqualität bedeutet.

Besonders besorgniserregend ist, dass diese Opfer die Folge von Luxus-Konsum sind, nicht des Entwicklungsbedarfs der Armen, die unter dem Gebot globaler Gerechtigkeit ihren Konsum erhöhen dürfen und müssen, um einen menschenwürdigen Lebensstandard zu erreichen. Den Tourismus zu einem "Schlüsselsektor" für nachhaltige Entwicklung zu erklären bedeutet, die nicht nachhaltigen Konsummuster der Reichen zu fördern – angeblich (aber keineswegs nachgewiesenermaßen) zum Nutzen der Armen.

Ökologisierung, nicht mehr Tourismus

In ihrem Bericht bemühen sich UNEP und die UNWTO sichtlich, den Schwerpunkt auf eine "Ökologisierung des Tourismus" – zum Beispiel durch Investitionen in die Energieeffizienz – zu legen. Das ist jedoch nicht dasselbe wie Investitionen in einen ökologischen Tourismus, die sehr leicht als neue Tourismusförderungsstrategie (miss-) verstanden werden können. Es besteht das Risiko, dass genau diese Förderungsstrategie im Ergebnis der Rio+20-Konferenz festgeschrieben wird.

Gleichzeitig werden die nicht einfach zu lösenden Umweltprobleme heruntergespielt und die Verteilungswirkungen zu Lasten der Armen ausgeblendet. Zum Beispiel betont der Bericht, dass eine "Ökologisierung" sich wirtschaftlich rechne, da Kosten gespart würden und Urlaubsgebiete attraktiver würden. Gleichzeitig werden Subventionen befürwortet und die hohen Opportunitätskosten ignoriert. Werden in Entwicklungsländern öffentliche Mittel zur Unterstützung der Tourismusbranche eingesetzt, verzerrt dies die Entwicklungsprioritäten. Es sind Mittel, die nun nicht in menschliche Entwicklung investiert werden können, zum Beispiel in das Gesundheits- oder Bildungswesen.

Landrechtsfragen, die für die Armen in Entwicklungsländern von überlebenswichtiger Bedeutung sind, lesen sich in der Tourismusförderungsstrategie von UNEP und UNWTO so: "Die Grundstückspreise an Standorten, die für Touristen wünschenswert sind, werden durch die Konkurrenz mit anderen Landnutzungsformen bestimmt, die (aufgrund höherer Renditen) womöglich mehr zahlen können". Oder weniger (was im Bericht allerdings nicht erwähnt wird), so dass der Tourismus andere Landnutzungsformen verdrängt, die vielleicht weniger profitabel, aber nachhaltiger sind. In der Regel geschieht dies zu Lasten der einheimischen Bevölkerung.

Während einige, aber meist nicht die Ärmsten der Armen, vom Tourismus profitieren mögen, werden andere, oft marginalisierte Bevölkerungsgruppen, vertrieben und ihrer Lebensgrundlage beraubt. Ignoriert man solche Wirkungen des Tourismus, kann das nicht zu Nachhaltigkeit führen, denn die gewünschten Ergebnisse werden ausbleiben. Da greift auch das Fazit zu kurz, zu dem UNEP und UNWTO kommen: "Ohne 'grüne' Investitionen wären die durch den Tourismus verursachten Umweltschäden noch viel höher". Schließlich geht es um die Gestaltung der "Zukunft, die wir wollen".

Weitere Informationen: UNEP (2011): Towards a Green Economy: Pathways to Sustainable Development and Poverty Eradication.

Das Tourismus-Kapitel zum Download:
www.unep.org/greeneconomy/Portals/88/documents/ger/GER_11_Tourism.pdf

(6.147 Zeichen, 84 Zeilen, Juni 2012)